Kotze, Sperma und Inventur im Weltraum

Die Künstlergruppe monochrom dreht eine ISS-Sitcom

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Dass sich hinter der Künstlergruppe monochrom Meister des hinterfotzig-dialektischen Zusammendenkens und –fügens verbergen, bewiesen in der Vergangenheit Werke wie die André-Hitler-Plattencover, die Aktion Eigenblunzn oder das Computerspiel Sowjet Unterzögersdorf. Auch in ihrem neuen Projekt erschaffen monochrom etwas aus zwei scheinbar sehr unterschiedlichen Elementen: Der Raumstation ISS und der amerikanischen Sitcom, die bei näherer Betrachtung durchaus Anschlusspunkte aufweisen. Einer davon ist, dass die Sitcom zum allergrößten Teil im selben Wohnzimmer spielt und mit einer Handvoll Figuren auskommt, die ihr Zusammenleben irgendwie koordinieren müssen.

Insofern ist die Raumstation also ein sehr geeignetes Setting für die auf zehn Teile angelegte Sitcom monochrom's ISS, in der vier Schauspieler ein Leben im Weltall mimen, das nichts mehr mit den Projektionen zu tun hat, die die Science Fiction früher erlaubte – wodurch sich wieder eine Gemeinsamkeit mit der Sitcom ergibt, deren klassisches Vorstadt-Setting sich zur nordamerikanischen Frontier des neunzehnten Jahrhunderts verhält wie die ISS zur Final Frontier des zwanzigsten.

Die ersten vier Folgen der Serie wurden in der Wiener Garage X aufgeführt und stehen mittlerweile komplett als HD-Videos im Netz. Die Episoden fünf bis zehn entstehen am Berliner Theater Ballhaus Ost, wo heute und morgen sowie am 27., 28. und 29. Oktober Vorstellungen laufen, die mit mehreren Kameras gefilmt werden. Die Schauspieler bekommen dabei nur grobe inhaltliche Vorgaben beziehungsweise Aufgabenstellungen und improvisieren die Dialoge.

Dass das Ergebnis trotzdem weder etwas mit Schillerstraßen-Klamauk noch mit Experimentaltraditionstheaterlangeweile zu tun hat, liegt wahrscheinlich auch an der internationalen Besetzung, die weder von deutschen Schauspielschulen noch von Degeto-Regisseuren deformiert wurde. Der personelle Kern der monochrom-ISS besteht aus dem texanischen Kommandanten Ulysses van Hundsbak (gespielt von Jeff Ricketts, der vorher unter anderem in den Fernsehserien Enterprise, Buffy und Firefly mitwirkte), dem russischen Leutnant Fjodor Evgenewitsch Golenko, der kanadischen Wissenschaftlerin Dr. Claire Saint-Jacques und dem neuseeländischen Weltraumtouristen Angus Slernotzki. Von der ESOC-Bodenstation schalten sich darüber hinaus regelmäßig der (vom monochrom-Mitglied Johannes Grenzfurthner verkörperte) deutsche Ingenieur Bodo Holtzmann und der Israeli Mordecai Finkelstein zu (der in einem palästinensischen Imbiss "wenigstens halal" isst, weil er in Darmstadt kein koscheres Restaurant findet).

Das aus viel Klebeband und Technikschrott zusammengestellte Bühnenbild vermittelt eine Atmosphäre zwischen der Sozialtristesse früher Kottan-Folgen und der Science-Fiction-Französischkursgroteske Les Gammas. In diesem Bereich bewegt sich auch die Handlung der Episoden, wo unter anderem die Schwierigkeiten beim Einsammeln von Sperma und Kotze in der Schwerelosigkeit thematisiert werden und auch die profanste unter den profanen Aufgaben, die Inventur, nicht fehlen darf.

Die zum großen Teil aus menschlichen Schwächen bestehenden Figuren fügen sich stimmig in dieses Bild ein: Der Kommandant ist die Parodie eines Helden aus einem Robert-Heinlein-Roman und träumt von einer republikanischen Präsidentschaftskandidatur gegen Barack Obama. Fjodor Evgenewitsch Golenko hat Klempner gelernt und es nur über die Mafia in den Weltraum geschafft, die als Gegenleistung Pornoaufnahmen von ihm verlangt. Dr. Claire Saint-Jacques züchtet Pilze, die ausschließlich auf Französisch angesprochen werden sollen. Und Angus Slernotzki sprengt das Downloadlimit mit Lost-Folgen, sodass die Raumstation zeitweise ohne Internet dasteht. Würde man noch mehr über die Protagonisten erzählen, und verraten, wie beispielsweise die versehentliche Koranvernichtung in Episode 2 zustande kommt, dann nähme man die Spannung aus den durchaus originellen Plots.


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