Kreml vs. Kiew: Flugzeugabschuss in Russland durch deutsche Raketen Typ Iris-T?

Ein russisches Militärtransportflugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 ist in der Nähe der ukrainischen Grenze abgestürzt. Bild: Screenshot Video

Zwei Versionen für den Absturz. Ukrainische scheint weniger glaubwürdig. Warum russische Militärexperten deutsches Abwehrsystem verantwortlich machen.

Wie immer, wenn im Ukrainekrieg etwas passiert, so gibt es auch beim Absturz und mutmaßlichen Abschuss eines russischen Transportflugzeugs vom Typ Iljuschin Il-76 bei der südrussischen Stadt Belgorod zwei sich widersprechende Versionen.

Versionen beider Seiten widersprechen sich

Die russische Seite, allen voran Kremlsprecher Peskow, bezichtigt die Ukraine des Abschusses. Dieser sei eine, wie Peskow meint, "abscheuliche Tat".

An Bord seien nach russischen Quellen ukrainische Kriegsgefangene und eine Besatzung aus der russischen Orenburgregion gewesen. Laut der Nachrichtenagentur RIA Nowosti sei die Blackbox des Flugzeugs geborgen worden und in gutem Zustand.

Die Auswertung werde entsprechende Beweise erbringen. Regionale Veröffentlichungen aus Orenburg bestätigen die dortige Stationierung und benennen die Opfer unter der Besatzung aus der Gegend.

Selenskyj: Flucht nach vorn

Die Ukraine wiederum versucht aktuell, die russische Version des Geschehens infrage zu stellen. Der ukrainische Geheimdienst meint, an der Absturzstelle seien laut den Videos fast keine menschlichen Überreste gefunden worden.

Obwohl die Russen sagen, es seien 74 Menschen an Bord gewesen, seien nur fünf Leichen in die örtliche Leichenhalle eingeliefert worden. Zum Urheber des Abschusses schweigt die ukrainische Seite.

Präsident Selenskyj trat derweil die Flucht nach vorn an und forderte eine internationale Untersuchung des Vorfalls. Währenddessen verbreitete der ukrainische Geheimdienst, ein hoher Beamter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB sei kurz vor dem Abschuss von Bord gebracht worden.

Das Ziel dieser Kampagne ist klar: Der Absturz oder Abschuss soll von ukrainischer Seite als russische Inszenierung dargestellt werden.

Zweifel an ukrainischen Dementis

Beim aktuellen Vorkommnis ist die ukrainische Version jedoch relativ schwach. Auch die in Lettland beheimatete, exilrussische Onlinezeitung Meduza, in Russland selbst verboten, zweifelt an den ukrainischen Dementis.

Bei einem Absturz einer Boeing aus ähnlicher Höhe im Jahr 2016 seien zum Beispiel über 4.000 Fragmente von Leichenteilen gefunden worden, die man dann 63 Personen zuordnen konnte. Dazu habe man wegen der starken Fragmentierung die Genetik bemühen müssen.

So sei das Nichtvorhandensein sichtbarer Leichen am Absturzort der Il-76 kein Beleg dafür, dass die russischen Angaben falsch seien.

Weißes Haus hält sich auffällig bedeckt

Bezeichnend ist auch, dass das Weiße Haus als treuer Verbündeter Kiews nicht versucht, die ukrainische Version des Geschehens zu stützen. "Die Ukraine sagt das eine, Russland sagt das andere: Wir wissen nicht genug" zog sich der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats in Washington, John Kirby, auf eine scheinbar neutrale Position zurück.

Man kann davon ausgehen, dass die USA bei Beweisen für eine ukrainische Unschuld diese umgehend an die Öffentlichkeit gebracht hätten, während Bestätigungen der russischen Version durch die umfangreiche Satellitenüberwachung der Amerikaner unter Verschluss bleiben würden.

Deutsches Iris-T oder amerikanisches Patriot-System?

Neben der Schuldzuweisung an die Ukraine kam in der russischen Politik recht schnell auch eine an Deutschland auf. Deutschland und die USA seien Komplizen beim Abschuss gewesen, greift der Ständige UNO-Vertreter Russlands die beiden Staaten an, da der Abschuss entweder mit dem von den Deutschen an die Ukrainer gelieferten Raketensystem Iris-T oder US-amerikanischen Patriot-Raketen erfolgt sein müsse.

Russland würde alles dafür tun, die Verantwortlichen zu bestrafen.

Der Ex-Militär und Vorsitzende des Staatsduma-Verteidigungsausschusses, Andrej Kartapolow, wird konkreter: Es seien drei Iris-T oder Patriot-Raketen gewesen, mit denen die Ukrainer das Flugzeug vom Himmel geholt hätten.

Von der russischen Nachrichtenagentur Iswestja befragte Experten sehen sogar eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass das deutsche Iris-T Ursache des Abschusses war, als das System der US-Amerikaner.

Iris-T ist mobiler als Patriot

"Iris-T ist mobiler. Es kann nah an die Kontaktlinie herangebracht werden, Patriot ist weniger mobil (…) Mit Iris-T ist es durchaus möglich, eine Position in einem Wald bei Charkow einzunehmen, auf die Il-76 zu warten und sie abzuschießen" (Militärexperte Alexej Leonkow gegenüber Iswestja)

Zur Erläuterung: Charkow (russische Bezeichnung, ukrainisch: Charkiv), in der Ostukraine in Regierungshand, und Belgorod, der Ort des Absturzes, sind weniger als 100 Kilometer voneinander entfernt.

Sollte sich ein Abschuss des russischen Transporters durch das Iris-T-Systems bewahrheiten, ist eine weitere Verschärfung der schon feindseligen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin nicht auszuschließen.

Auch die deutsche Diskussion um die Waffenlieferungen in Kiew dürfte sie befeuern. Diese tobte bisher kaum bei Luftabwehrsystemen angesichts der brutalen Angriffe der russischen Seite aus der Luft auf ukrainische Städte mit Drohnen und Raketen.

Waffensysteme können unterschiedlich verwendet werden

Auch diese zahlte Kiew inzwischen mit gleicher Münze, aber geringerem Umfang durch entsprechende Angriffe auf Belgorod und andere russische Städte heim.

Zur Abwehr russischer Angriffe auf ukrainische Städte erfolgte auch die Lieferung von Iris-T. Eingesetzt werden kann sie natürlich, wie jedes Waffensystem, auch ganz anders.

So gibt es zahlreiche Berichte darüber, dass Russland Luftabwehrraketen des Typs S-300 auch gegen ukrainische Bodenziele verwendet, obwohl ihre Technik hierfür nicht optimiert ist.

In einem Krieg ist vieles erlaubt und nur weniges zu verhindern. Das gilt immer für beide Seiten.