Krieg gegen ein Land im Schwarzen Medienloch
Noch gibt es keine Bilder vom Neuen Krieg, die US-Regierung und die Informationshoheit
Der Krieg gegen das Taliban-Regime oder gegen Afghanistan hat für die Angreifer gute Voraussetzungen. Hatten die Terroristen mit ihren Anschlägen gerade auf die Ästhetik des Grauens und die schnelle weltweite Verbreitung der Live-Bilder gesetzt, da sie aus dem Geheimen heraus operieren und Legitimation kein Problem darstellt, so ist die Anti-Terror-Koalition gezwungen, ihre Aktionen zu rechtfertigen, die zugleich den Zielen angemessen sein sollen. Zu diesem Zweck trifft sich gut, dass der Krieg gegen ein Land geführt wird, das sich selbst, einst mit der Unterstützung der Sowjetunion und dann mit der der USA, in einen vormedialen Zustand zurück geschraubt hat.
Wer gestern nach Bildern über die ersten "Angriffswellen" suchte, wurde enttäuscht. Es gab keine. Sehen ließen sich lediglich Aufnehmen vom Nachthimmel angeblich über Kabul, an dem Lichter aufleuchteten, die vielleicht von der Flugabwehr stammten. Die Menschen saßen nicht wie einst im Irak-Krieg mit CNN in der ersten Reihe oder konnten wie im Kosovo-Krieg die Bilder vom serbischen Fernsehen sehen. Krieg im Schwarzen Loch der Medien. Dafür zeigt das Pentagon, wie mittlerweile gewohnt, Fotos vom Abschuss einer Tomahawk-Rakete oder von Flugzeugen. Ansonsten gibt es über den Verlauf der Angriffe Gerüchte von allen Seiten.
Die Angaben des US-Verteidigungsministers Rumsfeld und des Stabchefs, General Richard Myers, über die Ziele in Afghanistan blieben vage. Vorgegangen sei man gegen Stellungen der Taliban zur Luftabwehr, Flughäfen und Einrichtungen von al-Quaida, um so durch Gewinnung der Lufthoheit Einsätze gegen die Terroristen und humanitäre Aktionen zu ermöglichen. Rumsfeld sagte, die Angriffe sollten es al-Quaida und den Taliban schwerer machen, ihren Tätigkeiten nachzugehen. An erster Stelle stünde die Botaschaft an die Taliban, dass die Unterstützung von Terroristen ihren Preis habe. Über Einzelheiten wollten sich weder Rumsfeld noch Myers auslassen. Myers beteuerte nur, dass die jetzigen Angriffe "sichtbar" seien, während dies für andere nicht zutreffen werde.
Der jetzige US-Außenminister und beim Irak-Krieg der Leiter des Kriegsstabs, General Colin Powell, hatte schon 1991 deutlich gemacht, wie stark jeder Krieg gleichfalls ein Medienkrieg ist, bei dem es darum geht, den Strom der medialen Informationen zu kontrollieren: "Wenn alle Truppen in Bewegung sind und die Kommandeure an alles gedacht haben, richte deine Aufmerksamkeit auf das Fernsehen, denn du kannst die Schlacht gewinnen oder den Krieg verlieren, wenn du mit der Story nicht richtig umgehst." Damals wurden die Berichte und Bilder von Journalisten, von denen nur wenige in die Kriegsgebiete in überwachten Gruppen durften, vor der Veröffentlichung zensiert. Diese "auserwählten" Journalisten mussten zuvor eine Erklärung unterschreiben, dass sie nichts berichten, was die eigenen Truppen gefährden könne. Im Kosovo-Krieg wurde von den Alliierten nur sehr selektiv informiert, oft genug kam es auch zur Verbreitung von falschen Informationen, um die Luftangriffe zu rechtfertigen oder zu beteuern, dass keine Zivilisten getötet wurden. Im Nachhinein stellte sich auch heraus, dass die Erfolgsmeldungen über die zerstörten Stellungen oder Panzer weit übertrieben waren. Überdies wurden während des Kriegs serbische Radio- und Fernsehsender gezielt ausgeschaltet.
"One thing we did well during the Kosovo crisis was to occupy the media space. We created a situation in which nobody in the world who was a regular TV watcher could escape the NATO message. It was essential to keep the media permanently occupied and supplied with fresh information to report on. That way, they [were] less inclined to go in search of critical stories." Nato-Sprecher Shea
Der Unterschied zum Irak-, aber noch stärker zum Kosovo-Krieg könnte nicht größer sein. Auch wenn die USA versucht haben, die Bilder und Informationen während des Irak-Kriegs zu kontrollieren, als der jetzige Vizepräsident Cheney Verteidigungsminister war, so befand sich doch CNN inmitten von Bagdad und schickte die Bilder vom Angriff in die Welt. Sowohl der Irak als auch Serbien konnten ihre Propaganda über die eigenen Medien verbreiten und ließen auch gezielt ausländische Journalisten ins Land, um für Gegenöffentlichkeit bei den Angreifern zu sorgen. Im Unterschied zum Irak, das auch beim zweiten Angriff noch weitgehend vom Internet abgekoppelt war (Der Irak - ein Schwarzes Loch im Cyberspace), konnten auch Menschen aller Parteien die auf beiden Seiten bestehenden Informationssperren durchlaufen, da der Kosovo-Krieg erstmals ein Krieg des Internetzeitalters war (Die Stärke des Internet).
Schon im Vorfeld der Angriffe machte die US-Regierung deutlich, dass die mediale Transparenz in dieser Angelegenheit nicht ihre primäre Sorge ist. Strategisch sei es wichtig, möglichst weitgehend über Einzelheiten für Stillschweigen zu sorgen, da sich die Feinde ja direkt über die Medien informieren könnten. Möglicherweise sei, so kündigte bereits Präsident Bush im Vorfeld der Angriffe an, der neue Krieg sogar geheim, auch wenn er Erfolge habe ("secret even in success"). Auf die Frage, ob er auch die Medien belügen werde, antwortete US-Verteidigungsminister während einer Pressekonferenz: "The answer to your question is, no, I cannot imagine a situation. ... There are dozens of ways to avoid having to put yourself in a position where you're lying. And I don't do it. ... The policy is that we will not say a word about anything that will compromise sources or methods. We will not say a word that will in any way endanger anyone's life by discussing operations."
Tatsächlich muss man zur Verbreitung von Propaganda nicht notwendigerweise lügen, es genügt auch, den Fluss der zirkulierenden Informationen, so weit es geht, zu beschränken. Allerdings gab es bereits kurz nach den Terroranschlägen die erste Falschmeldung von der US-Regierung. Gemeldet wurde aus dem Weißen Haus, dass nach Informationen des Secret Service nach dem WTC und dem Pentagon die Air Force One des Präsidenten das nächste Ziel sei. Damit wollte man erklären, warum Präsident Bush nach dem Anschlag erst einmal "untertauchen" musste, bis er wieder im Weißen Haus auftauchte. Laut New York Times räumte ein hoher Mitarbeiter des Weißen Hauses unlängst ein, dass die Bedrohung nicht real gewesen sei.
Natürlich ist die gezielte Steuerung von Informationen zum Zwecke der Propaganda immer schon Ziel der Kriegsparteien gewesen, die nicht nur den Feind beeinflussen wollten, sondern einen "Informationskrieg" auch an der Heimatfront gekämpft haben, um die Zustimmung aufrechtzuerhalten. Doch der Versuch, möglichst wenige Informationen an die Öffentlichkeit zu geben, ist in einer Zeit, in der eine instantane Weltöffentlichkeit durch die elektronischen Medien möglich wäre, frappierend - wobei mindestens so erstaunlich ist, dass eben just der "Neue Krieg" gegen ein Land stattfindet, aus dem mangels Medien kaum Informationen herausdringen. Die Angreifer müssen also zumindest die Informationshoheit nicht erst durch Zerstörung der Sender herstellen.
Erst vor kurzem hatte das Taliban-Regime die Benutzung des Internet selbst für Regierungsangehörige verboten. Die Taliban-Seite der UN-Botschaft in New York, die es als einzige noch gab, ist mittlerweile nicht mehr funktionsfähig, nachdem sie von Crackern mehrmals aufs Korn genommen wurde. Fernsehen und Satellitenschüsseln sind schon länger verboten, Telefone gibt es kaum. Um das Böse zu verbannen sind mittlerweile auch Musikinstrumente, Computer, Videos, Filme und Abspielgeräte für Videos, Filme und Tonbänder, aber auch Bilder von Menschen oder Spielkarten verboten. Mit einer kaum nachzuvollziehenden Fantasie haben die Taliban versucht, den heiligen Staat durch Verbannung aller missliebiger Informationen und Tötung von Menschen durchzusetzen. Möglicherweise ist der Krieg gegen die Ungläubigen dann noch die einzige Unterhaltung, die kultiviert werden kann.
Angeblich ist der einäugige und medienscheue Talibanführer Mullah Omar, von dem es nur ein einziges Bild gibt und von dem die Anordnungen stammen, nach einer Gehirnverletzung geisteskrank. Der Daily Telegraph will von einem Arzt, der Omar behandelt hatte und vor kurzem aus Afghanistan geflohen ist, erfahren haben, dass sich dieser gelegentlich über Tage weg einschließt. Offiziell wird dann verkündet, er habe Visionen, die dann zu der Flut an Verboten führen. Omar sei, nachdem ein Bombensplitter 1993 während eines russischen Angriffs in sein Gehirn eingedrungen sei, geisteskrank und habe sich nicht behandeln lassen. "Es sind keine Visionen", sagte der Arzt. "Sie sind das Produkt eines instabilen, aber manipulativen Geistes, der zynisch die Tatsache ausbeutet, dass die Mehrheit der Afghanen Analphabeten sind und fast niemand den Koran lesen oder die Gebete verstehen kann, die sie aufsagen."
"I want to make it clear to the American people that this administration will not talk about any plans we may or may not have. We will not jeopardize in any way, shape or form, anybody who wears the uniform of the United States." (Präsident Bush)
Sind die einen also weitgehend von Informationen abgeschnitten, so wird es auch darum gehen, die Bürger der "zivilisierten" Länder, die den "Neuen Krieg" gegen den "internationalen Terrorismus" führen, auch gezielt mit Informationen zu beeinflussen. Sind Terrororganisationen schon Verschwörernetzwerke, die im Heimlichen arbeiten, dann muss deren Bekämpfung, so wie gelegentlich gesagt wird, ebenso vor sich gehen, auch wenn mit Satellitenfernsehen, Mobiltelefonen, Internet und Spionagesatelliten zumindest der militärische Angriff auf Afghanistan auch unter den Augen der Weltöffentlichkeit stattfinden könnte. Gerechtfertigt wird der Informationsverschluss mit der Sicherheit der Truppen, doch ist das eine Interpretationsfrage, die um so drängender werden dürfte, je länger man sich im Krieg gegen den Terrorismus befindet und neue Ziele auftauchen. Und dass es sich um einen langen Krieg handeln wird, hat die US-Regierung immer beteuert. Die Menschen wollen wissen, welchen Sinn dieser Krieg macht, wieviele Menschenleben er kostet, wer hinter ihm steht und was als nächster Schritt geplant ist.