Krieg kostete 650.000 Menschen im Irak das Leben
Eine neue Studie kommt aufgrund ihrer Berechnungen zu weitaus höheren Opferzahlen, als bislang angenommen wurde
Das Pentagon zählt zwar die getöteten US-Soldaten im Irak, wie viele Iraker aber seit dem Beginn des Krieges gestorben sind, hat man in der US-Regierung wohlweislich lieber gar nicht wirklich wissen wollen. Seit Frühjahr 2005 versucht das irakische Gesundheitsministerium zu erfassen, wie viele Menschen durch die Gewalt der Aufständischen getötet werden (Body Count). Klar ist nur, dass die Gewalt nicht abnimmt, sondern eher zunimmt. Allein im August wurden über 3.000 Tote erfasst. Eine neue Schätzung von amerikanischen und irakischen Epidemiologen geht nun davon aus, dass seit März 2003 aufgrund des Krieges und der Folgen 650.000 Menschen gestorben sind.
Seit Jahren versucht die Initiative Iraq Body Count aufgrund der Auswertung von Medienberichten die Zahl der getöteten Iraker seit dem Kriegsbeginn zu erfassen. Hier wird noch von maximal 48.700 getöteten Zivilisten ausgegangen. US-Präsident Bush hatte im Dezember 2005 die Zahl von 30.000 Toten genannt. Die der jetzigen Studie vorausgehende aus dem Jahr 2004, die gleichfalls von der Bloomberg School of Public Health an der John Hopkins University durchgeführt und in der britischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde, hatte bereits großes Aufsehen und auch Ablehnung erregt, weil man hier durch Befragungen der Bevölkerung die Gesamt der zivilen Toten auf etwa 100.000 schätzte, die Hälfte davon Frauen und Kinder. Das Risiko eines gewaltsamen Todes liege um das 58-Fache höher als vor dem Irak-Krieg, schätzte man damals.
Auch jetzt führte die Bloomberg School of Public Health die neue Erhebung im Irak, die wieder in The Lancet erscheint und deren Ergebnisse der NYTimes und der Washington Post bereits vorlagen - mit der Hilfe von Ärzten des Mustansiriya-Universität in Bagdad aus. Dabei wird die Zahl der Toten aufgrund von Befragungen von zufällig ausgewählten Haushalten durch eine Clusteranalyse hochgerechnet, ein Verfahren, das man auch für die Erfassung der Toten bei einer Naturkatastrophe anwendet. Zum überwiegenden Teil wurden die Angaben durch Todesurkunden bestätigt. Insgesamt befragt wurden 1.849 Familien in 18 Regionen. Zwar war nun die Basis der Erhebung breiter als bei der ersten Studie, aber für eine verlässliche Schätzung dürfte sie noch immer zu gering sein.
Vor dem Irak-Krieg lag die Sterblichkeit jährlich bei 5,5 Toten pro 1.000 Einwohnern, nach der Invasion waren es 13,3 Tote. Die Differenz wird auf den Krieg und dessen Folgen zurückgeführt. Der Großteil der berichteten 629 Toten (87%) wurde nach der Invasion getötet. Es handelte sich überwiegend um Männer (75%), die meisten Opfer waren zwischen 15 und 44 Jahren alt. An Schüssen starben 54%, und an Bombenanschlägen 14%. Nach Abschluss der Invasion wurden 31% der Opfer durch Koalitionstruppen oder durch Luftangriffe getötet. Hochgerechnet würde die Zahl der Menschen, die aufgrund der Invasion und der Folgen über die normale Sterblichkeit hinaus zwischen März 2003 und Juli 2006 gestorben sind, bei 650.000 Irakern liegen. 600.000 wären nach dieser Schätzung durch direkte Gewalt gestorben, 50.000 an Krankheiten und anderen Ursachen.