Body Count

Erstmals hat das Pentagon Zahlen über die Opfer der Gewalt im Irak vorgelegt, allerdings nur die von Aufständischen getöteten Iraker – Die Zahlen zeigen dennoch die prekäre Sicherheitslage

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Wie viele Menschen durch die Invasion in den Irak und die darauf folgende Besetzung zu Opfern der Gewalt wurden, wird vermutlich nie wirklich bekannt werden. Erste Zahlen hatte die irakische Übergangsregierung letztes Jahr vorgelegt. Nun gibt es auch einen offiziellen Bericht des Pentagon, der die Zahl der Iraker, die seit Beginn des letzten Jahres zum Opfer der Gewalt wurden, erfasst.

Bislang hatte das Pentagon behauptet, dass die irakischen Opfer vom Militär nicht erfasst würden. So hatte General Tommy Franks, während der Invasion der Oberbefehlshaber der Truppen, auf die Frage, ob das US-Militär zivile Opfer zählen werde, noch vor dem Krieg gegen den Irak lakonisch beantwortet: "We don't do body counts." Allerdings wurde bereits letztes Jahr von einer amerikanischen Friedensaktivistin, die kurz danach bei einem Selbstmorsanschlag getötet wurde, dass doch heimlich Statistiken gemacht werden (US-Militär macht heimlich einen "body count" von getöteten Zivilisten im Irak).

Aufgelistet werden vom Pentagon freilich nur die Toten und Verwundeten, die zum Opfer von Angriffen und Anschlägen der Aufständischen wurden. Dazu zählen auch die irakischen Polizisten und Soldaten. Wie viele Menschen im Zuge von Operationen der irakischen Sicherheitskräfte und der Koalitionstruppen getötet oder verletzt wurden, soll die Öffentlichkeit wohl lieber nicht wissen. Seit Anfang 2004 seien insgesamt 26.000 Zivilisten durch Aktionen der Aufständischen getötet oder verletzt worden. Erfasst wurden dabei die Opfer von Anschlägen und Überfällen, zu denen Soldaten der Koalitionstruppen gerufen wurden. Daher dürfte die tatsächliche Zahl der Opfer weitaus höher sein, würde man zudem noch die von Sicherheitskräften und Truppen Getöteten hinzurechnen..

Gleichwohl wird auch aus diesen Zahlen deutlich, dass der Irak keineswegs sicherer geworden ist, wie Pentagon und US-Präsident Bush immer wieder behauptet haben. Seit 2004 gab es nach den Angaben des Pentagon einen kontinuierlichen Anstieg der täglichen Anschläge und der Opferzahlen. Waren es zu Beginn des Jahres 2004 noch etwa 200 Anschläge pro Tag, so sind es jetzt nach der Zählung des Pentagon 650. Auch die Zahl der Toten und Verwundeten hat sich verdreifacht und ist von 26 Opfern pro Tag auf 64 angestiegen. Das Pentagon schweigt sich in der Statistik, die dem Kongress zugegangen ist, über die genaue Zahl der Toten aus. Nach Schätzungen, die von einem Verhältnis von einem Toten auf drei Verletzte ausgehen, käme man auf etwa 6.500 Tote.

Nach einer von der Nachrichtenagentur AP veröffentlichten Statistik sind in dem Halben Jahr seit Antritt der irakischen Regierung im April 2005 3.900 Iraker durch Anschläge von Aufständische getötet worden, darunter 1.128 Sicherheitskräfte. Mit 1.676 Toten ist Bagdad der gefährlichste Ort. Für die Statistik wurden Angaben von irakischen Behörden, Krankenhäusern und den Koalitionstruppen verwendet. 1.458 Iraker wurden durch die in dieser Zeitspanne ausgeführten Selbstmordanschläge getötet.

Der Iraq Body Count, für den Medienberichte ausgewertet werden, geht davon aus, dass seit dem Beginn des Krieges im März 2003 bis zum März 2005 24.800 Zivilisten Iraker getötet wurden. Ein Drittel während der Zeit der Invasion bis Mai 2003. 37% der Zivilisten seien von Koalitionstruppen getötet worden, 36 Prozent werden auf Kriminalität nach der Invasion zurückgeführt, nur 9% auf Aufständische. Insgesamt sollen bis heute zwischen 26.000 und 30.000 Iraker getötet worden sein. Für die Zeit zwischen 2004 und jetzt sollen es, einschließlich der von Koalitionstruppen getöteten, über 11.000 Tote sein, also doppelt so viele wie nach den Angaben des Pentagon.

2004 hatte eine Studie, die in der medizinischen Fachzeitung Lancet veröffentlicht wurde, die Zahl der getöteten Zivilisten auf 100.000 geschätzt ("No Body Counts"). Das irakische Innenministerium zählte von August 2004 bis Mai 2005 über 8.000 Iraker, die von Aufständischen getötet worden sind. Das wären 800 Tote pro Monat. Nicht eingerechnet sind auch hier die Iraker, die von den irakischen Sicherheitskräften und den Koalitionstruppen getötet wurden.

US-Präsident Bush geht mittlerweile auf Tauchstation. Eine angekündigte Pressekonferenz, die Bush mit Italiens Regierungschef Berlusconi halten wollte, wurde laut Spiegel abgesagt. Grund dafür dürften nicht nur Berlusconis Äußerungen in einem Interview vor seinem Abflug nach Washington gewesen sein, in dem er sich vom Irak-Krieg distanzierte und erklärte, er habe Bush mehrere Mal davor gewarnt ("Ich habe versucht, den US-Präsidenten vom Krieg abzuhalten"). Bei dem Treffen wird es um den geplanten Abzug der italienischen Truppen, die Lage im Irak und im gesamten Nahen Osten gehen. Auch die Anklage gegen den Lewis Libby, den Stabschef von Vizepräsident Cheney ("Fitzmas in October"), und die damit verbundenen Lügen (Nigergate), mit denen der Irak-Krieg begründet wurde (Fabrikation der Beweise für den Irak-Krieg), dürfte dazu beigetragen haben, dass Bush sich den Fragen der Medien lieber entzieht. Auch die italienische Regierung steht unter Verdacht, an der Fälschung der Dokumente beteiligt gewesen zu sein.