Kriegsmüdigkeit bei den Friedensbewegten
- Kriegsmüdigkeit bei den Friedensbewegten
- Fortsetzung: Der im Medienzeitalter notwendige Unterhaltungswert einer Großveranstaltung hält sich in Grenzen
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Die deutschen Friedensaktivisten müssen aufrüsten: Wie die jüngste Berliner Anti-Kriegsdemo zeigte, fehlt es an neuen Ideen, an Masse und an Klasse
Die im Vorfeld des Irak-Kriegs wieder erwachte Friedensbewegung muss hierzulande aufpassen, dass sie nicht schon anderthalb Wochen nach Beginn des Kreuzzugs gegen das Regime Saddam Husseins wieder friedvoll einschlummert. Zwar gingen auch am Samstag wieder zehntausende Menschen gegen die Bomben auf bundesdeutsche Straßen. Doch es waren auch schon mal Hunderttausende. Zudem hat die bunte Gemeinde der Demonstranten zwischen Berlin und Stuttgart noch keine gemeinsame Sprache, kein verbindendes Ausdruckselement gefunden und bleibt damit eher farblos.
Omi und Opi sind auch wieder da: Mit dem weißen Friedenslogo auf blauen Grund am Revers steht das Pärchen im weißen Haar an der Straße des 17. Juni in Berlin. Die Verkehrsader, auf der sich sonst Stoßstange an Stoßstange reiht, gehört an diesem Samstag erneut den Kriegsgegnern, die in zügigem Tempo und für einen Protestzug auffallend leise vorbeiziehen. Ein Papi schiebt den Kinderwagen vor sich her, zwei junge Mädchen, die ständig kichern, schleppen was von "Aloha" und "Liebe" auf einem Pappschild mit sich rum. Ein Unentwegter genießt sein Eis mitten im Laufen.
Ein Typ mit Sonnenbrille hat ein anscheinend schon ein paar Jährchen auf dem Buckel habendes Plakat mit der Aufschrift "Ami go home" aus den dunkelsten Ecken des Kellers hervorgekramt. "Das alte Europa will den Frieden", verrät das Transparent einer Gruppe schon leicht angegrauter Schlipsträger. Eine Handvoll Blechbläser versucht sich an Jon Lennons Friedensrhythmen, während ein anderer Protestler mit einer Radio-Megaphon-Kopplung etwas musikalische Bewegung auf Deutschland größte Demomeile an diesem strahlenden Sonnentag zu bringen versucht.
Jung und Alt sind auf den Beinen, um dem Nicht-Einverständnis mit dem Angriff der Amerikaner und Briten auf den Irak Ausdruck zu verleihen. Ein gemischtes Völkchen, in das sich der Esslinger Sportbund, der mit seiner bunten "Pace-Fahne" unbedingt am liebsten "in den 'Stern' kommen möchte", genauso einreiht wie ein paar versprengte Punks aus Kreuzberg. Doch die haben sich vermutlich nur verirrt, denn die echte Hardcore-Linken-Demo soll erst abends um 8 in der Oranienstraße steigen. Zu dem großen Flügelmarsch vom Potsdamer Platz im Osten und dem Ernst-Reuter-Platz im Westen an den Treffpunkt Siegessäule am Großen Stern hat dagegen ein loses Netzwerk verschiedenster Initiativen, Kirchenkreisen, Parteienvertreter und Anti-Kriegskomitees aufgerufen.
Doch die Geladenen kamen nur spärlich: Hatten sich Mitte Februar bei Eiseskälte überraschenderweise eine halbe Millionen Menschen aus Angst vor einem bevorstehenden Irak-Krieg unter der Goldelse versammelt, waren es diesmal bei schönstem Sonnenschein den Angaben der Veranstalter zufolge nur noch 50.000. Und auch in diese Zahl wurden wohl einige ahnungslose Touristen gleich mit eingerechnet, die sich zufällig an den Rand des Geschehens verirrt hatten.
Nach exakt 66 Anti-Kriegs-Anti-Bush-Anti-Blair-Demos allein in der Hauptstadt seit Beginn der Bombardements vor knapp anderthalb Wochen - das sind immerhin fast 7 Protestzüge pro Tag - scheinen die "Bush-ist-doof"-Skandierer kriegsmüde geworden zu sein und bereits alles gesagt zu haben. Die Luft ist raus nach all dem Marschieren für den Frieden, auch wenn der "Greenpeace"-Fesselballon noch einmal groß ein "No War" an den Himmel zeichnet und tausende grüne Luftballons dasselbe in klein über den Köpfen der Standhaften wiederholen.