Krillfischen an gottlosen Gestaden
Das Öl des Krills ist ein zunehmend lukratives Geschäft. Das Fischerei-Management gilt im Vergleich zu anderen als vorbildlich, dabei ist über das Leben des Beutetiers recht wenig bekannt
"Unterhalb des 40. Breitengrades gibt es kein Gesetz, und unterhalb des 50. keinen Gott." Die vermutlich den ersten Befahrern der Drakestraße zuzuschreibende Seemannsweisheit hat auch heute nichts von ihrem Charme verloren und lässt etwas von den Bedingungen vor Ort erahnen, unter denen der Mensch dem Antarktischen Krill nachstellt. Der wird seit 1961/2 kommerziell befischt, zunächst durch sowjetische Trawler, die in der ersten Saison vier Tonnen fingen. Anfang der 1980er Jahre waren es schon 500.000 Tonnen, die sich hauptsächlich Trawler aus der UdSSR und Japan teilten. Die Fischerei war von zeitweiligen Einbrüchen begleitet, der einschneidendste nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Seit Mitte der 1990er Jahre nehmen die Fänge wieder stetig zu, doch die Fangschiffe kommen jetzt aus anderen Fischereinationen.
Trotz der rauen Bedingungen lässt sich Krill nirgendwo anders auf der Welt so leicht fangen wie hier. Hier kommt er in großen Konzentrationen vor, hier ist der Beifang vergleichsweise gering, hier ist das Wasser noch relativ unbelastet von Schadstoffen. Doch die Krillfischerei muss auch mit den ihr eigenen Schwierigkeiten fertig werden: Zunächst muss der Fang sehr schnell und schonend verarbeitet werden - nur wenig Zeit bleibt nach dem Fang, dann zeigen sich bereits die Wirkungen eines kraftvollen Verdauungsenzyms, das zuerst die inneren Organe, dann das Krillfleisch angreift: An Deck aufgehäuft, würde sich der Krill binnen weniger Minuten selber zersetzen.
Der Chitinpanzer des Tieres enthält zudem Fluorid, das entfernt werden muss, um das Fleisch für die menschliche Ernährung zu konditionieren, etwa in Form gefrorener Krillschwänze oder als Krillpaste. Die Entdeckung der hohen Fluoridkonzentrationen Ende der 1970er Jahre hatten die bis dahin gemachten Fortschritte bei der Markteinführung von Krillprodukten hinfällig gemacht. Untersuchungen ergaben, dass das Krillfleisch selber einen mit der Muskulatur anderer Meerestiere vergleichbaren geringen Fluoridgehalt aufweist - erst bei Vorlagerung des Fangs setzt eine Wanderung des im Exoskelett enthaltenen Fluorids in den Muskel ein. Diese Wanderung wird durch den Inhalt des Verdauungstraktes noch beschleunigt und hält auch bei Temperaturen unter 0º C an.
Fischereimanagement mit Handicaps
Unter anderem wegen Befürchtungen einer völlig unregulierten Krillfischerei in den Gewässern der Antarktis wurde 1980 das Übereinkommen über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis verabschiedet, aus dem später CCAMLR (Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources) hervorging, die Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis. Damit sollten die Antarktis und ihre Bewohner vor Schäden durch eine Überfischung der Krillbestände bewahrt werden. Die Kommission wird im Volksmund auch "Krill-Parlament" genannt. Hier kommen die Vertreter der derzeit 25 Mitgliedstaaten zusammen und beraten über Fangobergrenzen und Quoten. Wer Antarktischen Krill fangen will, muss Mitglied sein.
Die Fangobergrenzen liegen weit höher als die gemeldeten Fänge und sollen das enorme Potential dieser Fischerei widerspiegeln. Doch nicht alle Fischereibiologen teilen diese Ansicht. Kritiker geben zu bedenken, dass von der Lebensweise des Antarktischen Krills nicht allzu viel bekannt ist. Das trifft auch auf die tatsächliche Stärke des vorliegenden Bestands zu. Frühere Schätzungen variierten zwischen einigen Millionen und einigen Milliarden Tonnen. Neuere Zahlen pegeln sich am unteren Ende dieses Spektrums ein. KRILLBASE etwa, eine umfangreiche Datenbank, die an den verschiedensten Instituten der Welt über die Jahrzehnte angefallenen Krilldaten vereint, nimmt 379 Millionen Tonnen an.
Davon verspeisen die von ihm lebenden Räuber jährlich vermutlich die Hälfte, wie Wissenschaftler sehr vorsichtig annehmen, denn eine solche Schätzung ist mit noch viel größeren Unsicherheiten verknüpft als die vom Gesamtbestand. Und es sind nicht nur die Schätzungen, die starken Schwankungen unterliegen - auch die Bestände selber fluktuieren von Jahr zu Jahr stark, zum Beispiel als Reaktion auf die unterschiedliche Eisbedeckung.
Auf ungenauen Bestandsschätzungen beruhende Fangobergrenzen oder andere Maßnahmen zur Regulierung spielen mit der Möglichkeit unbedachter Nebenwirkungen, die bei gründlicherer Kenntnis des Krills und einem besserem Verständnis der Dynamik des betroffenen Ökosystems vermeidbar sind. Sollte der Antarktische Krill als Schlüsselspezies überfischt werden, droht zunächst der Kollaps der Krillfischerei selber - dann folgen Krisen im Bestand all jener Lebewesen, die auf Krill als Hauptnahrungsquelle spezialisiert sind.