Kritiker 'raus! Aber nicht immer...

Wie der Zweitligist Alemannia Aachen mit Kritik auf seiner Homepage umgeht - ein Beispiel für den Umgang mit den Online-Öffentlichkeiten

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Anfang letzter Woche sperrte der Sportverein TSV Alemannia Aachen auf seiner Homepage das Fanforum. Grund dafür schien auf den ersten Blick ein dort angelangter Tonfall, den eine kleine Gruppe von Fans bevorzugte, die zeitweise gegnerische Spieler im Stadion lautstark als "Asylanten" oder "Arschlöcher" beschimpfte. Opfer der Schmähungen waren dieses Mal aber andere.

Einige Poster, so der Verein, hätten die "großzügige Handhabung" der Online-Diskussionsrunde "ausgenutzt", "um Offizielle des Vereins zu beleidigen oder zu beschimpfen. Dieses imageschädigende Verhalten konnte auf der offiziellen Web-Site" des Fußballclubs "nicht länger hingenommen werden." Jahrelang schon diskutiert man im stark frequentierten Forum öffentlich und im gelegentlich rüden Ton über den Verein. Und nicht zum ersten Mal wurde hier wie von den Rängen herab der Rücktritt eines Verantwortlichen gefordert.

Am Tivoli, dem Vereinsstadion, herrschte nämlich "dicke Luft", so die Lokalzeit des Westdeutschen Rundfunks. In den Wochen zuvor war es zu empfindlichen Niederlagen der Mannschaft gekommen. Nach dem Aufstieg aus der Regionalliga vor zwei Jahren drohte nun wieder der Abstieg. Im virtuellen Stimmungsbarometer - ehe man posten darf, muss man sich offiziell anmelden! - hagelte es Kritik.

"Die Nerven des Präsidium liegen nach internen Einschätzung derzeit blank," schrieb Guido Lausberg im RegioBLICK. Alemannen-Präsident Hans Bay erklärte gegenüber der Aachener Zeitung, man müsse sich nicht "von jedem Dreck beschimpfen lassen." Kritik, konterte ein Leserbriefschreiber in der Regionalpresse, werde "wie auch in der Vergangenheit seitens des Vereins abgeschmettert."

Schon im Februar war es in besagtem Forum zu einem peinlichen Vorfall gekommen. Unter den Logindaten des Pressesprechers Avy Scherer kam es zu Beleidigungen gegen den damaligen Präsidenten Wilfried Sawalies und einen Journalisten der Aachener Nachrichten. Scherer erklärte später, er habe seine Zugangskennung weiter gegeben, wisse aber nicht mehr, wem. Das Entschuldigungsschreiben an die Betroffenen unterschrieb er trotzdem und wechselte auf eine weniger öffentlichkeitswirksamen Arbeitsstelle des Vereins.

Auch dieses Mal hatte es eher den Anschein, Teilen des Präsidiums war das ungewohnte Medium Internet über den Kopf gewachsen. Bay lenkte ein und gab zu, dass es "ein Fehler" war, "in John-Wayne-Manier die Plattform zu schließen." Laut Aachener Zeitung war diese Aktion nicht mit allen Präsidiumsmitgliedern abgestimmt. Schon am 19. April durften die Fans sich deswegen wieder "in Alemannias virtueller Welt treffen."

Eine dazu vom Verein verbreitete Pressemitteilung liest sich allerdings eher vage: "Grund für die Schließung war unter anderem auch, dass über (angebliche) Neuverpflichtungen, die der Verein für die kommende Spielzeit plant, (nicht immer mit der wünschenswerten Sachlichkeit) in diesem Forum spekuliert wurde." Man "sah vor allem den Schutz der betroffenen Persönlichkeiten gefährdet." Für manchen eine faule Ausrede.

Guido Lausberg merkte etwa im RegioBLICK an: "Pöbeleien im Diskussionsforum können bei der Alemannia sogar dazu führen, dass man einen festen Job in der Geschäftsstelle bekommt.". Lausberg ist gemeinsam mit Dieter Cohnen, einem der Inhaber der Firma NET WWW Service GmbH, Gründer des RegioBLICK (Was ist eine Zeitung?). Der Aachener Provider sponsert die Alemannen-Homepage und betreute sie 1999 gemeinsam mit dem ehrenamtlich tätigen Webmaster Wolfgang Pomp.

Lausberg machte erstmals einen Fall öffentlich, der 1999 sowohl beim Verein als auch bei der Firma und unter den ebenso beschimpften Online-Fans für Wirbel sorgte. Ein Unbekannter war lästernd im damaligen Quasiforum, dem Gästebuch, gegen den Webmaster zu Felde gezogen. Unter diversen Nicknames wie etwa "Brigitte Lämmle Hacking Crew" hatte er nahezu endlos und mithilfe eines Programms Eintragungen wie "WOLFGANG POMP IST SCHEISSE UND ISST SCHEISSE" oder "WOLFGANG GEHÖRT INS CREMATORIUM!!!!!!!!" gepostet. Weder mit dem Entfernen solcher Einträge noch deren Verhinderung kam man nach.

Dank technischem Geschick, langwierigem Spürsinn und Kommissar Zufall konnte man dem jugendlichen Poster aber auf die Schliche kommen. Dieser war scheinbar so selbstsicher geworden, dass er auf eine Mail an seine von ihm im Gästebuch verwendete Email-Adresse antwortete - und zwar mit Angaben zu seiner Person. Es folgte eine Hausdurchsuchung durch Polizeibeamte, worauf die Beweislage klar war. Ob der Jugendliche seinen Nickname nach seinem Vorbild wählte oder er damit einen Hinweis geben wollte, so die NET WWW Service GmbH, sei nie klar geworden. Nahezu zur gleichen Zeit habe aber jemand unter ähnlichen Pseudonymen im Gästebuch der Radiomoderatorin Brigitte Lämmle gestänkert.

"Nachdem die Betroffenen (nicht der Verein...) Strafanzeige gegen den Pöbler erstattet hatten," schrieb Lausberg in seinem Artikel, wurde letztlich "das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt." Alemannia selbst hatte den geständigen jungen Mann, "seines Zeichens auch Sohn eines der Vereinsführung nahestehenden Doktor," die Möglichkeit gegeben, Sozialstunden beim Verein abzuleisten. "Wegen seiner wohl herausragenden Computerkenntnisse" sei er "nun in der Geschäftsstelle als Systemadministrator angestellt," so Lausberg. Von der Vereinsspitze war trotz mehrfacher Anfrage meinerseits keine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu bekommen.

Zurück zum aktuellen Fall: Das Fanforum war kurzfristig zum Internet-Stammtisch ausgewichen. Und dieser bescherte dem Tivoli vor dem entscheidenden Heimspiel gegen den drohenden Abstieg eine Premiere: die Aktion "Der Dreck schweigt!" Bay selbst habe die Fans mit "teilweise erniedrigenden und beschämenden Beschimpfungen" bedacht, kritisierte die "kleine Alemannia-Internetgemeinde, die aus ihrem schwarz-gelben Herzen keine Mördergrube macht".

Nach dem eigenwillig umformulierten Lied "Seid still, wenn ihr Aach'er seid", schwiegen etwa 10.000 Aachener bei den ersten zehn Spielminuten. Für den Sportredakteur der Aachener Zeitung eine "Grabesstille". Nach der Protestaktion feuerten die Fans wieder ihre Mannschaft an. Alemannia gewann das Spiel mit 1:0. Trotz Heimsieg kam es zu Sprechchören, die Trainer Eugen Hach und das Präsidium zum Rücktritt aufforderten.

Michael Klarmann arbeitet als freier Journalist, u.a. auch für den RegioBLICK.