Kulturkampf: Schneewittchen macht märchenhafte Probleme

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Disney-Verfilmung sorgt für Aufregung. Die Heldin ist nicht schneeweiß genug und der Film zu woke. Die Debatte hinkt der Zeit hinterher.
Die Zwerge sprachen "willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nicht fehlen. "Ja", sagte Sneewittchen, "von Herzen gern", und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung.
Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen
Das neue Disney-Schneeweißchen ("snowwhite") hält es nicht mehr so sehr mit der Hausarbeit wie ihre Vorgängerin im Jahr 1937, im ersten Disney-Trickfilm nach dem Märchen der Brüder Grimm. Da putzte die Königstochter noch emsig für die sieben Zwerge. Da war sie noch so was wie ein Tradwife.
Fröhlich schlüpfte Schneewittchen damals in die Rolle als Köchin und Kindermädchen, wie die Filmkritikerin der New York Times schreibt.
Das neue Schneewittchen im Realfilm, der vergangene Woche in die Kinos kam, tut dies nicht mehr. Das wertet die Kritikerin als Fortschritt. Allerdings mit dem Zusatz, dass Disneys Remakes "oft neue Probleme mit sich bringen".
"Schneewittchen ist gar nicht schneeweiß"
Die neuen Probleme stoßen, wie es den Anschein hat, besonders denjenigen auf, deren Haus sich im Kulturkampf befindet. Die Debatte zum Film begann schon mit den Dreharbeiten: "Schneewittchen ist gar nicht schneeweiß und die Zwerge sollen jetzt »magische Geschöpfe« sein? Unerhört!", hieß es im Spiegel im August 2023 zur "dummen Debatte".
Vorgeworfen wird dem Film "Wokeness-Overload". Auf diesen Begriff bringt es eine Kritik vom Focus, deren Kritikerin, die an diesen Begriff geknüpfte Frage beantwortet: Wo steckt den der Fortschritt dieser Neuverfilmung?
"Wo steckt denn die inhaltliche Intelligenz? Ist da nicht eher inhaltlichen Verflachung am Werk?", lauteten weitere Fragen in der Debatte. Die Focus-Kritikerin ging mit ihrer Tochter ins Kino und fand ein paar Antworten.
Aktiv und mutig
Ihre Tochter, "Hardcore-Märchen-Fan", sah ein aktives und mutiges Schneewittchen:
Es bleibt nicht etwa im Haus seiner sieben Gastgeber und schmeißt ihnen den Haushalt. Stattdessen will es die Verhältnisse selbst verändern und die Herrschaft der bösen Königin beenden.
Das neue Schneewittchen ist auch nicht so doof, der getarnten Stiefmutter drei Mordversuche zu ermöglichen, nur weil es trotz aller Warnungen einem neuen Schnürriemen, einen schönen Kamm und einem roten Apfel nicht widerstehen kann. In der neuen Version trickst die böse Königin das Schneewittchen nur ein Mal aus. Und zwar mit empfängerorientierter Kommunikation, als sie die Erinnerung an ihren Vater beschwört.
Auch der Prinz ist kein Prinz mehr, sondern irgendwas zwischen Räuber und Freiheitskämpfer. Er kommt nicht erst am Ende ins Spiel und verliebt sich in die vermeintliche Leiche eines Mädchens, das er noch nie lebendig gesehen hat. Stattdessen lernt er Schneewittchen schon früher kennen und steht ihr auf ihrer Flucht bei.
Linda Hinz, Focus
"Auch der Prinz ist nicht mehr der, der er mal war – sondern ein Freiheitskämpfer, der von den Reichen stiehlt und es den Armen gibt", stimmt auch die Bild zu.
Dort heißt es, dass sich "Millionen" über den Film streiten, aber ihn viel weniger sehen, als erwartet. Der Film enttäusche an der Kinokasse. In den USA habe er am ersten Wochenende "nur" 45 Millionen Dollar eingespielt, 58 Millionen habe man erwartet, weshalb der Start deshalb als "enttäuschend" bewertet werde.
Diese Enttäuschung könnte man auch der Debatte attestieren. Wo steckt denn da die inhaltliche Intelligenz?
Das Märchen
Wer sich den Sneewittchen-Text der Brüder Grimm auch nur oberflächlich zu Gemüte führt – und dort von einer leuchtenden Sprache, einer üppigen Erzählung und brachialen Härten ("das boshafte Weib aß sie (Lunge und Leber, Einf. A.) auf und meinte, sie hätte Sneewittchens Lunge und Leber gegessen") überrascht wird – bekommt ab den ersten Sätzen mit, dass "weiß wie Schnee" Teil einer glänzenden, für den weiteren Text prägenden Farbdramaturgie ist, die man nicht, wie es Kritiker der Latino-Schauspielerin tun, buchstabenfundamentalistisch auf ein Casting mit der "werkkorrekten" Hautfarbe reduzieren kann.
Der Streit über Werktreue ist komplizierter, wie man in der FAZ-Kritik nachlesen kann, wo man den Film jenseits ideologischer Kriterien bespricht – mit einem Ausblick, der möglicherweise auch auf das Königreich der Wokeness zutrifft.
Schneewittchen wiederum, von Zegler durchaus mit Verve verkörpert, war gewitzt, selbstbewusst und wehrhaft. Im düsteren Wald weinte sie nicht mehr, im Zwergenhaus kam sie nicht als Erstes auf die Idee, die dreckige Bude zu putzen, und sie verzehrte sich nach keinem Prinzen; es gab auch gar keinen mehr.
Sie war ein modernes Wesen – so modern, dass man sich am Ende dieses trotz der langen Entstehungsgeschichte unausgereift wirkenden Films fragte, wieso sie zwar ihrem Volk fröhlich Apfelkuchen servierte, doch weiter fernab im Schloss leben wollte: In letzter Konsequenz müssten all die generalüberholten Disney-Prinzessinnen eigentlich ihre Königreiche abschaffen.
Doch das Königreich von Disney wankt auch so schon genug.FAZ
Stand der Kulturkämpfe, jetzt
Wenn im Vorreiterland der Kulturkämpfe, in den USA, Republikaner einen Gesetzentwurf einbringen, "der unter anderem vermeintlich falsche Frisuren oder Kleidung bei Minderjährigen unter Strafe stellen soll" – und dabei geht es laut Spiegel "vor allem darum, Geschlechterrollen allein auf weiblich oder männlich festzulegen – und alle Abweichungen davon als kriminell zu brandmarken", dann ist dies ein Zeichen, dass das Königreich von "Wokeness-Overload" längst ins Wanken geraten ist.
Und man sich andere Sorgen machen muss.