Kulturkampfland Österreich

Sex, Kunst, Lügen & Internet

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Mit der sommerlichen Ruheperiode des österreichischen Parlaments ist auch bei zwei von drei Kulturkämpfen, die seit Wochen parallel im Lande tobten, ein temporärer Waffenstillstand eingetreten, während Kulturkampf Drei, gegen den Gesamtkunst/werker Hermann Nitsch, zeitlich kurz vor seinem Höhepunkt steht.

Kulturkampf Eins war am siebten Juli losgebrochen. Begleitet von viel Empörung der Boulevard/presse hatten die FPÖ-Nationalratsabgeordneten in der Debatte zu einem dringlichen Antrag den mit öffentlichen Mitteln geförderten Provider Public Netbase der Verbreitung pornographischer Darstellungen im Internet bezichtigt. In einer nächtlichen TV-Debatte (ORF ZiB3) weitete der FP-Abgeordnete Stadler die Vorwürfe auf sogenannten "Kinderporno" aus.

Anlaßfall war eine Veranstaltungsreihe im Mai 1998 unter dem Namen "sex.net - Sex, Lies & the Internet", die sich kritisch und von einem feministischen Standpunkt aus mit den Themen Pornographie, Zensur und Internet beschäftigte.

Ganz offensichtlich hatten die Pornojäger der FPÖ eine offshore Pornosite mit der Veranstaltung von Public Netbase glatt verwechselt. Später dirigierte man die Angriffe einfach auf die erwähnte Veranstaltung um, forderte Public Netbase zur Rückzahlung der Subventionen, sowie den zuständigen Staatssekretär zum Rücktritt auf. (siehe auch Telepolis- Bericht)

Staatssekretär Peter Wittmann (SPÖ), distanzierte sich nach Kräften von ihm zum damaligem Zeitpunkt nicht bekannten Inhalten, Grüne & Liberale warfen der FPÖ vor, sie versuche, "ein Klima der Angst unter den Künstlern zu verbreiten".

Nach einer Schrecksekunde, die mehrere Tage dauerte, schlossen sich Teile der Regierungsparteien SPÖ & ÖVP der Forderung, die Kunst doch frei sein zu lassen, an. Freilich nicht ohne der Boulevardpresse permanent zu versichern, wie empört man über "Kinderpornos im Internet" sei. Das Familienministerium kündigte eine Intiative dagegen an.

"Es ist erstaunlich wie hier strategisch clever und unverschämt seitens der FPÖ vorgegangen wurde", sagt Konrad Becker von Public Netbase.

Jörg Haider, der sich nach dem Vorstoss seines selbsternannten "Dobermanns" Ewald Stadler sofort an die Spitze der Campaign gesetzt hatte, wurde von Public Netbase inzwischen auf Unterlassung und Widerruf geklagt.

In diese aufgeheizte Stimmung platzte ein Ereignis, das sich erst nachträglich als Kulturkampf Zwei identifizieren liess. In der Berichterstattung empörter Chronikjournalisten über den Kindermissbrauchsskandal in Zandvoort kam kaum ein Artikel/Titel ohne die Boolesche Verknüpfung von "Kinderporno" AND Internet aus. Die Bruchlinie des Kampfes zog sich allerdings nicht wie im Falle Nitsch zwischen der Yellow Press & sogenannten seriösen Tageszeitungen. Vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen ORF, über die Radiostationen, den gesamten Boulevard bis hin zum Standard übernahmen die Chronikjournalisten Österreichs die Botschaft der Polizei, dass die mutmasslichen Verbrechen an Kindern mit Hilfe des Internet begangen worden seien.

IT-Professionals geben Gratistraining für Journalisten

Als Reaktion auf die blamable Berichterstattung der herkömmlichen Medien hat eine unabhängige Initiative aus dem Netz damit begonnen, gratis Internet-Training für Journalisten anzubieten. Die Liste der IT-Professionals, die ihr Knowhow für Journalisten zur Verfügung stellten, reicht vom Webmaster der Grünen über IT/Security/Experten, Spam Canceller, HTML-Designer, bis hin zum Geschäftsführer des grössten Internet-Providers in Österreich.

Kreuzzug für Sauberkeit in der Kunst

Jörg Haiders Kreuzzug für Sauberkeit in der Kunst, - ein in hoher Auflage verbreiteter Folder verbindet Kindermissbrauch direkt mit "entarteter Kunst" - schliesst auch den Protagonisten von Kulturkampf Drei mit ein.

Seit im Frühjahr ruchbar wurde, dass Aktionskünstler Hermann Nitsch sein Lebenswerk mit einem sechstägigen Orgien-Mysterien-Spiel krönen will, fungieren "Kronenzeitung" und "Täglich Alles" als Sprachrohre eines bunten Haufens aus Tierschutzfundamentalisten, katholischen Ultras, offenen Faschisten, & anderen ZeitgenossInnen, die gesunden Volksempfindens sind. Die beiden kleinformatigen Tageszeitungen erreichen zusammen über 3 der insgesamt 8 Millionen Einwohner der Alpenrepublik. Die Folge waren und sind multimediale Morddrohungen (Brief, Telefon, Online-Forum) gegen den Aktionisten, zwei katholische Erzbischöfe schlossen sich den Protesten wegen "Herabwürdigung religiöser Lehren" an.

Am dritten August (ab 4.45 UTC), wenn Nitschs 6-Tagespiel beginnt - via Realvideo auch live im Internet - wird Kulturkampf Drei einen vorläufigen Höhepunkt erreichen.

Kulturkampf Eins, FPÖ gegen die Freiheit der Kunst, wird spätestens mit Beginn der Parlamentssaison im Herbst grausliche Urständ feiern. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlickeit wird er sich mit Kulturkampf Zwei - Chronikjournalisten gegen das Netz - aufs innigste verbinden. Da steht im Zuge eines Rechtshilfeersuchens der Münchner Staatsanwaltschaft zum blamablen Prozess gegen den Compuserve-Manager Felix Somm die erste Verhandlung gegen den ansonsten nicht sehr bedeutenden österreichischen Provider VIPnet bevor.