Kunst_Newsletter, April 97

Turner, de Kooning, Sammlung Speck, Total Strangers, Wiener Gruppe auf CD, EMAF, Hörnschemayer

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Joseph Mallord William Turner / Kunstforum Bank Austria / Wien

5. März bis 1. Juni 1997

Mit dieser Retrospektive William Turners im Kunstforum Bank Austria, welche gemeinsam mit der Tate Gallery in London konzipiert wurde, ist erstmals das Werk dieses Vorreiters der Moderne umfassend in Österreich dargestellt. Insgesamt 42 Gemälde und 73 Arbeiten auf Papier wurden u.a. von der Tate Gallery, dem Victoria & Albert Museum, London, und der National Gallery of Art in Washington geliehen. Sie repräsentieren sämtliche Schaffensperioden.

Die Ausstellung dokumentiert die wichtigsten Stationen im Leben Turners, ausgehend vom Frühwerk, in welchem der Künstler viel mit dem Medium Aquarell arbeitete. Nach den Aquarellarbeiten und Bleistiftskizzen der Jahre ab 1790, einer Zeit, in der Turner noch an der Royal Academy studierte, entstanden die ersten Landschaftsbilder, waren von seine Studienreisen nach Wales und Schottland inspiriert. Ab den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts stellt er die Atmosphäre der Landschaft in den Vordergrund und zeigt sie im Wechselspiel der Naturerscheinungen. Schon in auf seiner Venedigreise um 1819 sind in seinen Studien die ersten Versuche eines bewußten Einsatz von Licht, von Lichtmalerei, sichtbar, so zum Beispiel in den Silhouetteansichten der Stadt. Später forciert Turner diese Lichtdurchdrungenheit und wird so zum interessantesten Vertreter der Romantik und auch zum Wegbereiter der Moderne, im besonderen des Impressionismus. Die Bildmotive, seien sie Historienmalerei, Seestücke oder Landschaften, treten zunehmend in den Hintergrund und die malerische Qualität seiner Lichtdiffusionen wird zum Rezeptionserlebnis besonderer Art. Gerade an William Turners Malerei läßt sich erkennen, daß keine Form der Reproduktion den Sehgenuß vor einem Original ersetzten kann. Die Ausstellung in den Räumen des Kunstforums Bank Austria ist für jeden Malereiliebhaber auch wegen der Auswahl und Hängung der Gemälde ein unbedingtes Muß.

Ort: Freyung 8, 1010 Wien
Öffnungszeiten:
Täglich 10 bis 18 Uhr (auch feiertags)
Mittwoch 10 bis 21 Uhr
Ausstellungsdauer:
5. März bis 1. Juni 1997
Führungen:
Mittwoch 18.30 Uhr
Samstag 16.30 Uhr
Sonn- und Feiertag 11.00 und 15.00 Uhr
Ausstellungskatalog:
Beiträge von Evelyn Benesch, David Brown, Wolfgang Häusler und Andrea Winkelbauer, Hrsg. David Blayney und Klaus Schröder, 350 Seiten, 208 Abbildungen, davon 138 in Farbe, Prestel-Verlag, Preis: 340.- ATS
Bestellung des Ausstellungskataloges:
Tel.: +43-1-71191/5737
Eintritt: 90.- ATS / 60.- ATS

Willem de Kooning gestorben / New York

Willem de Kooning, einer der wichtigsten Vertreter des Abstrakten Expressionismus starb im Alter von 92 Jahren in East Hamton (Long Island) in seinem Atelier. Schon seit längerem litt de Kooning an der Alzheimerschen Krankheit.

1926 als blinder Passagier ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten eingewandert, schaffte er in Amerika eine Bilderbuchkarriere. Zunächst verdiente er seinen Lebensunterhalt als Schilder- und Portraitmaler, bis ihm 1939 mit einer Einzelausstellung der Durchbruch gelang. Zusammen mit Jackson Pollock gilt er als Erfinder des Action Painting. Ein großzügiger, kräftiger Pinselduktus und heftige Bewegtheit zeichnen die gestischen Aktionen de Koonings aus. Typisch für das Frühwerk ist die Arbeit »Marilyn Monroe« aus dem Jahre 1954. Typisch, da diese Arbeit besonders grotesk, nahezu häßlich und entstellt anmutet. 1950 hatte de Kooning mit »Woman I« die Serie seiner berühmten Frauenbilder begonnen, in denen er die Frau als Landschaft, als »Womanscape« begriff, wobei einige grob-obszöne Effekte zunächst lebhaften Protest entfachten. Mit seinem Spätwerk verblüffte der Künstler ein letztes Mal. In sehr dezenten, eleganten Linien und warmen Orangetönen entstanden fast lyrische Arbeiten, welche die eruptiven Vorläufer fast vergessen ließen.

Notfalls leben wir auch ohne Herz / Kunsthalle Wien

14. März bis 11. Mai 1997

»Notfalls leben wir auch ohne Herz«, ein Zitat von Joseph Beuys, ist der Leitgedanke einer Ausstellung in der Kunsthalle Wien, welche »Exemplarisches aus der Sammlung Speck« zeigt. Letzteres ist auch der Untertitel der Ausstellung, die mehr als 200 Werke - Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen - von Künstlern wie Carl Andre, Lawrence Weiner, Walther Dahn, Rosemarie Trockel etc. präsentiert. Christian Theo Steiner traf als Kurator der Kunsthalle Wien die Auswahl.

Der Titel der Ausstellung rekurriert auf ein Werk von Joseph Beuys, welches rund um den voluminösen vierten Band des Romans »Voyage du Jeune Anacharisis en Grèce (Reise des jungen Anarchisis durch Griechenland, 1788) aufbaut. Das Buchobjekt, von Beuys um ein EKG, eine Gouache und eine Rasierklinge ergänzt, entstand kurz nach einem Herzinfarkt des Künstlers. Reiner Speck brachte Beuys das Buch als Geschenk ins Krankenhaus mit. Der Buchinhalt ist eine gelehrte Abhandlung, in Romanform gekleidet und mit philosophischen und literarischen Apercus (für die liebste Heike) durchmischt. Der junge Skythe Anarcharsis, ein aufgeschlossener »Barbare« erkundet die verfeindete hellenistische Zivilisation. Dort lernt er die hellenistische Republik kennen, ihre Vorzüge wie ihre Dekadenz. Von der Hochkultur kehrt er jedoch wieder in sein heimatliches Skythien, zu den Wohltaten der Natur zurück. Der Autor Barthélemy thematisiert in seinem Roman die naturidealisierende Geisteshaltung Jean-Jacques Rousseaus im 18. Jahrhundert.

Ort: Treitlstraße 2, 1040 Wien
Öffnungszeiten:
Täglich außer Dienstag 10.00 bis 18.00 Uhr,
Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr
Ausstellungsdauer:
14. März bis 11. Mai 1997
Ausstellungskatalog:
Beiträge von Franzobel, Rudolf Haller und Reiner Speck, Freddy de Vree, Preis: 320.- ATS
Bestellung des Ausstellungskataloges:
Tel.: +43-1-52189
dbügelmayer@t0.or.at
Eintritt: 40.- ATS
www.t0.or.at/KUNSTHALLEwien

Antony Gormley - »Total Strangers«

/ Kölnischer Kunstverein / Köln 23. Februar bis 13. April 1997

Der englische Bildhauer Antony Gormley (geb. 1950) zeigt lebensgroße, aber über-lebensschwere menschenförmige Eisenkörper sowohl vor dem Kunstverein, an der Bushaltestelle, auf dem Bürgersteig, zwischen den Passanten wie auch im Kunstverein selbst. Drinnen, in der großen Ausstellungshalle verliert sich eine einzeln präsentierte Figur. Ihre Form mutet »weltfremd« an, während die Skulpturen im Außenraum durch ihren Kontext vertraut wirken. Die große, ganzseitige Fensterfront des Kunstvereins wird zu einem Schaufenster in zweifacher Hinsicht, das gleichzeitig zur Einsicht wie auch zur Aussicht animiert und so die Vorstellung vom Bild als Fenster zu einer anderen Welt wachruft.

Ort: Cäcilienstraße. 33, 50667 Köln
Öffnungszeiten:
Di bis So, 11.00 bis 17.00 Uhr
Ausstellungsdauer:
23. Februar bis 13. April 1997
Ausstellungskatalog:
mit Fotografien von Benjamin Katz
Bestellung des Ausstellungskataloges:
Tel.: 0221 / 217021
Fax: 0221 /210651
Eintritt: 40.- ATS
www.isp.de/koelnischerkunstverein

European Media Art Festival / Osnabrück

7. bis 11. Mai 1997
Ausstellung Kunsthalle Dominikanerkirche

Vom 7. bis 11. Mai 1997 findet das 10. European Media Art Festival (EMAF) in Osnabrück statt. Neben den verschiedenen Schwerpunkten (vergleiche Newsletter März) und einer Retrospektive von Stan Vanderbeek (vergleiche Newsletter März), einem Klassiker des abstrakten Films aus den 50er Jahren, werden vom 7. bis 25 Mai in der Kunsthalle Dominikanerkirche Videoinstallationen und interaktive Objekte ausgestellt.

»Under Lock and Key« ist der Titel einer Installation, in der die Gewalt an Opfern und von Tätern gleichermaßen thematisiert werden wird. Der Künstler Beth aus den USA macht in vier schmalen Zellen, welche ledeglich mit einer Glühbirne ausgestattet sein werden, das Leben von Inhaftierten mittels monotoner Stimme hörbar. Hinter den Zellen wird der Besucher mit zwei Videoprojektionen von Personen konfrontiert, die sowohl Opfer- als auch Täterberichte zitieren.

Der Japaner Keiichi Tanaka schafft ein Environment aus Laserlicht und Ton. In »Luminous«, so der Titel der Installation, werden Strahlungen von Substanzen und Objekten sowie kosmische Strahlungen in eine Symphonie aus Laserlicht und Soundeffekten transformiert.

Clea T. Walte zeigt in ihrer stereoskopischen Videoinstallation »Kur« mittels eines 3-D-Effekts auf vier lebensgroßen Projektionsleinwänden ein Tanzgedicht. Parallel ablaufende Geschichten vervielfachen sich oder verzehren sich in Ihren zeitlichen Abläufen und ziehen den Besucher in die 3-D-Welt. Die Rezipienten durchqueren manchmal sogar den inneren Raum, durchbrechen die Grenze der Projektionsleinwand - es vermischen sich die reale und die imaginäre Welt.

Außerdem werden neben diesen drei Installationen noch fünf weitere Arbeiten in der Ausstellung präsentiert werden.

European Media Art Festival
Postfach 1861
49008 Osnabrück
Tel: 0641 / 21668
Fax: 0641 / 28327
emaf@bionic.zerberus.de wwww.emaf.de

Österreichs Beitrag zur 47. Biennale von Venedig 1997

/ Venedig Eröffnung: Freitag 13. Juni 1997, 17 Uhr

Für Design und Produktion einer CD-ROM mit einem speziellen Internet-Environment zur Repräsentation des österreichischen Pavillons beauftragte Peter Weibel den Architekten Orhan Kipcak. Der 39jährige Grazer schuf bereits die CD-ROMs zur Cyberoper »Wagners Wahn« von Peter Weibel und eine weitere des Telematischen Museums. Weitere Produktionen, mit denen sich Kipcak verdient machte, sind ein Multimedia-Informationssystem für die Nachrichtenagentur Reuters, ein Datenarchiv für Designer für das Museum für Angewandte Kunst im World Wide Web und weitere Archive für den Grazer Kunstverein und die ars electronica. Für den Musiker Jörg Schlick erstellte er eine CD-ROM, auf der man durch Scratchen auf der in unzählige Felder unterteilten Benutzeroberfläche Soundcollagen erstellen kann. Nun soll der Lehrbeauftragte für Interfacedesign und Simulationstechnik an der Technischen Universität in Graz und an der Angewandten in Wien für die »Wiener Gruppe«, Gerhard Rühm, Oswald Wiener, Friedrich Achleitner und Konrad Bayer, als Ergänzung zum Katalog deren Arbeiten digitalisiert visualisieren.

Franka Hörnschemayer / Galerie Rolf Ricke /

Köln, 5. April bis 1. Juni 1997

Was auf den ersten Blick als zweiteilige und unzusammenhängende Ausstellungskonzeption anmutet, entschlüsselt sich bei näherem Hinsehen durchweg als in sich schlüssig. Da hängen einerseits Fotos, Allweltsfotos öffentlicher Bedürfnissanstalten verschiedener Städte, und andererseits steht eine signifikante Skulptur im Raum, die lediglich aus einer Gestängekonstruktion besteht. Die formale Strenge der Gitterkonstruktion ergibt sich durch ihre Modulanlage. Durch ihre klaren statischen Raumkoordinaten wirkt sie opak, wenngleich sie von größtmöglicher Transparenz ist.

Trotz des formalen Bruches der beiden Ausstellungskomponenten gibt es sinnstiftende Ebenen, gibt es durchwegs Analogien. So sehr präzise die Modulskulpur mit ihrer Formanlage von der Künstlerin gewählt und durchdacht wurde, so sehr exakt und spitzfindig beobachtet sie auch »ihre« Toiletten. Die Pinkelstätte am Prenzlauer Berg in Berlin als exemplarisches Beispiel gesellt sich neben eine Telekomtelefonzelle im neumodischen Design der Farbe violett. Ist dem geschlossen White Cube der Galerie Ricke das offene Raumsystem der Module gegenübergestellt, so findet sich mit den Kabinen am Foto ebenfalls ein ironisches Spiel von Offen- und Geschlossenheit wieder. Während die Toilette ein in sich geschlossener Kubus ist, ist die Telefonzelle teilweise aus Glas. Doch verweist die Art der abgebildeten Toilette auf eine jenen Typus, welche sich selbst reinigt, ohne Klofrau, und sich obendrein konsequent nach spätestens 15 min. Besuchszeit zur Entlüftung wieder von selbst öffnet. Nicht alles, was eben autark und hermetisch erscheint, ist auch wirklich für immer geschlossen. In diesem Sinne beginnen auch die festgefahrenen Begriffe von Offenheit beziehungsweise Geschlossenheit in bezug auf den White Cube zu kippen.

Die Zellen am Photo sind zudem noch in diffuses Licht getaucht, ganz so, als solle man verstehen, daß dies alles eben auf keinen Fall in den Bereich der absoluten Ausgesprochenheit fallen soll. Was mit einer gehörigen Portion Ironie daherkommt, hat aber durchweg auch ernsten Charakter. Franka Hörnschemeyer sucht konsequent, und dies zieht sich durch ihr ganzes OEuvre, nach systematischen Zwängen unserer Gesellschaft. Mit Vorliebe baut sie aus Baumaterialen stilisiert Kabinen: Toilettenkabinen, Umkleidekabinen etc., um die zwangsneurotisch-kulturelle Vorstellung in vielen Lebensbereichen unserer Gesellschaft - oft mit scharfsinnigem Blick und süffisanter Zunge - zu thematisieren.

Kunst_Newsletter März 97