Kunst im Werbeclip-Format

Großes Staraufgebot bei bmwfilms.com, doch kann das neue Webkino der Automarke das kreative Potential des Online-Clips tatsächlich ausloten?

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Hollywood hat bislang mit dem Internet keine guten Erfahrungen gemacht. Bezeichnend dafür ist Steven Spielberg. Er hat sich mit Pop.com (Vgl.Steven Spielberg gründet Website für Internetvideos) im großen Stil die Finger verbrannt: Mit viel Geld und großem Aufwand sollte die Logik des Blockbusters netztauglich gemacht werden - offensichtlich ein dubioser Ansatz. Wie Kritiker beanstanden hat sein gemeinsam mit Ron Howard entwickeltes Nachfolgeprojekt CountingDown.com (Vgl.Kinofilmer gehen Online) die Bewährungsprobe noch nicht wirklich bestanden. Klüger ist da George Lucas, der einfach seine Fans für sich arbeiten lässt und auf Star Wars Fan Film Network (Vgl.Das Imperium umarmt seine Fans) nebenbei auch noch genügend Anregungen und Ideen zusammenlaufen lassen kann. Noch besser will es jetzt BMW machen, eine Automarke, die bereits offline mit aufsehenerregenden Kunstförderungs-Aktionen (Vgl.Im Krisenherd der Dromovision) von sich Reden gemacht hat. Für das Webkino bmwfilms.com konnten namhafte Regisseure dazu bewegt werden, Kurzfilme zu drehen. Sie spielen - wie hätte es anders kommen können - meist auf der Strasse und das favorisierte Fortbewegungsmittel ist ...ein Auto.

Wong Kar-Wai bei den Dreharbeiten zu "The Follow"

Eine positive Überraschung ist Wong Kar-Wai mit seinem sechsminütigen Streifen "The Follow" gelungen. Es geht um Vertrauen und Betrug zwischen zwei Liebenden. Er lässt sie beschatten, sie bleibt rätselhaft. Abgesehen von dieser fadenscheinigen Geschichte, drängen sich Gesichter in den Vordergrund: erst im Verlauf merkt man, dass der alternde, blonde Ex-Star von Mickey Rourke gespielt wird, Forest Whitaker jedoch ist von Anbeginn ganz da. Man kann ihn nur mögen. Doch was wirklich erstaunlich ist: Spätestens bei diesem Clip merkt man, was die lebende Filmemacher-Legende aus Hongkong für das sequenzielle Sehen im Zeitalter des Internets getan hat. Sein Markenzeichen, Filme wie Popsongs zu inszenieren, kann ganz im Sinne konservativer Crosspublishing-Ideologie einfach auf das Netzwerk-Medium übertragen werden. Die Verdichtung einer zweistündigen Geschichte auf ein Stimmungsmoment, auf ein Gefühl, eine Melodie, ein Bild, ist bislang wohl keinem so gut gelungen, wie ihm und wie es sich hier zeigt: Diese Ästhetik passt bestens zu den Sehgewohnheiten im Internet. Die Bilder sind ohnehin schon verschwommen und kommen bei einer nicht selten auftretenden Netzwerküberlastung teilweise über ein Zeitlupen-Standbild nicht hinaus: klassischer Wong Kar-Wai. Und wenn sich die Bilder so schleppen, ab und zu wieder wie durch Zufall scharf gestellt werden, schweben melodiöse Klänge über den Schnitten. Eine Atmosphäre kommt auf, eine nebulöse Stimmung, die vom inneren Monolog des Protagonisten nur unterstützt wird.

Madonna in Guy Ritchies "Star"

Ansonsten sind die Clips - trotz Staraufgebot - recht belanglos. Man dachte ja immer, dass Figuren, die in den Augen der Öffentlichkeit auf eine Oberfläche reduziert werden, sich diesem Korsett entwinden wollen, sofern ihnen möglich - wie anders wird BMW sie gelockt haben? - doch hier ist es anders: Ang Lee macht irgendwas asiatisches, Frankenheimer Ronin-hafte Action und Guy Ritchie einen durchaus nicht humorlosen Clip mit Madonna. Was formelhaft klingt und kalkulierbar, ist zu allem Überfluss auch noch um einen Wagen herum konstruiert. Verfolgungsjagden als das ultimative Motiv im Webkino? Da darf man schon die Stirn in Falten legen und sich fragen, ob BMW hier den Nerv des Mediums trifft. Ansatzweise gelingt dies jedoch: Wer über diese Filme seinen Freunden berichten möchte, kann über die Homepage eine Email verschicken und wird mit der Aufforderung "Bitte nicht mehr als 250 Zeichen als Nachricht verschicken" an den medialen Rahmen erinnert. Fasse Dich kurz und bündig, denn meine Aufmerksamkeit kennt Grenzen, lautet schließlich das Motto im Web. Wer mehr als den Film seines Lieblingsregisseurs im korporativen Webkino sehen möchte, kann die vier als "The Hire" betitelten Kurzclips zu einem narrativen Ganzen verweben. Ein Leitmotiv ist Schauspieler Clive Owen - er hat in jedem Kurzfilm die Hauptrolle. Doch blieben die Clips zusammenhanglos, wenn nicht so genannte Substorys zum Abruf bereit stünden. Sie haben gottseidank nichts mit Autos zu tun, sondern führen in angrenzende Kammern, haben auf den ersten Blick nichts mit dem Geschehen der vier Hauptgänge zu tun, werden als missing links sukzessive mit einer tieferen Bedeutung aufgeladen. Ein Hauptfilm zum selber zusammenklicken und - denken. Auch, wenn es die New York Times anders sieht - mehr hat bmwfilms.com dem Internet nicht zu bieten.

Adriana Lima in Wong Kar-Wais "The Follow"

Die Rezeption dieses korporativen Machwerks im amerikanischen Presseorgan ergeht sich trotz allem recht einseitig in einer Lobeshymne auf den Vorstoß und die Resultate.

The automaker understood the importance of burning the seal of credibility onto "Hire." By asking well- known directors to bring their own particular - you might even say peculiar - feelings about cars to film, "Hire" becomes a marriage of commerce and creativity, straddling the ever-dwindling line between art and merchandising.

Dass es um nichts anderes als Werbung geht, kann bei auch noch so kunstvollen Namen nicht vergessen werden. Vergessen wird aber auch niemand, dass Werbefilme mittlerweile als eigene Kunstform genossen werden - und dass ohne das Zutun von Künstlern. In Erinnerung wird ebenfalls jedem der Slogan bleiben, mit dem Pro 7 den Werbeblock zu eröffnen pflegt: Wir unterbrechen den großen Film, für viele kurze Filme. Dann schaltet man ab oder um, oder lehnt sich zufrieden zurück. Wenn man Glück hat, läuft dann der neue Clip von Audi.Oder ein Kurzfilm von Becks, Nike oder Sony. Das will man schon sehen, denn begehrenweckende Atmosphären und sinnstiftende Inhalte kommen in teuerverpackten Bildern aus dem Dampffernseher. Muss man bmwfilms.com jetzt aufgrund einer stets eben auch Global-Player-kritischen Sichtweise dafür dankbar sein, dass sie mit ihren in Auftrag gegebenen Clips dem Deadvertising-Trend so ganz und gar nicht entsprechen?

Aber als werbewirksam haben sich die Clips bereits erwiesen. Die Clips von Frankenheimer und Lee wurden nämlich letzten Monat bereits auf dem Cannes Film Festival gezeigt. Wong Kar Wais Beitrag kam sogar ohne Webpremiere direkt auf dem Filmfestival zur Erstaufführung. Die Rezeption war verhalten, doch überrascht, ja, wie vor den Kopf gestoßen, fühlten sich alle, als zu Gehör kam, es handele sich um Werbung. Ein größeres Kompliment hätte man BMWs PR-Abteilung nicht machen können. Doch heißt das noch lange nicht, dass man sich jetzt im World Wide Web heimisch wähnen darf.