Kurze Gletscherspurts Richtung Meer im Sommer

Studie: Ablaufendes Schmelzwasser und seine Auswirkungen auf die Bewegung der Kolosse

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es scheint, sie werden jeden Tag kleiner und jagen uns damit immer größere Angst ein: die Gletscher Grönlands, die Fruchtfliegen der Klimaforscher. Sie gelten vielen als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Indikatoren dafür, wie es um den Klimawandel steht. Erst vor ein paar Tagen warnte eine – allerdings noch nicht von Fachkollegen geprüfte - Studie davor, dass die Gletscherschmelze in Grönland viel schneller vonstatten gehe, als bislang angenommen - und der daraus folgende Anstieg des Meeresspiegels viel höher ausfallen könnte, als dies Schätzungen des Weltklimarates prognostizieren. Eine Studie, die heute im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht wird, bringt neue Erkenntnisse über Schmelze und grönländischen Gletscher.

Die Überschrift im Wissenschaftsmagazin Science vermittelt beinahe schon Ruhe und Gelassenheit: Mit "Greenland Ice Slipping Away but Not All That Quickly" betitelt Science den Artikel über die Studie von Sarah B. Das, Ian Joughin, Mark D. Behn und anderen Glaziologen und Geologen. Währenddessen ,wird dieselbe Arbeit am Forschungsintitut von Sarah B. und Mark D. Behn, dem Woods Hole Oceanographic Institute unter einem Titel vorgestellt, der uns eher wieder das Fürchten lehrt: Lakes of Meltwater Can Crack Greenland’s Ice and Contribute to Faster Ice Sheet Flow.

Tatsächlich geht es in der vorgestellten Arbeit von Sarah B. Das, Ian Joughin und hautsächlich vor allem um das Drainage bzw. Ablaufsystem von Schmelzwasser, das sich auf der Oberfläche von Gletschern in Grönland im Sommer bildet und zum Bett des Gletschers hinunterläuft. Zum anderen geht es um die Auswirkungen des Wasserablaufes auf die Bewegungen des Gletschers.

Jeden Sommer entstehen durch die wärmeren Temperaturen und die Sonneneinstrahlung tausende von Seen auf den Oberflächen der grönländischen Gletschern. Sie können jedoch, wie Satellitenbilder zeigen, innerhalb kürzester Zeit verschwinden. Das ablaufende Wasser, so die Befürchtung vieler, könnte bis zum steinigen Untergrund der Gletscher fließen und ihre Vorwärtsbewegung Richtung Meer "schmieren". Die Verfasser der aktuellen Studie haben sich zwei solcher Gletscher-Seen im Juli ausgesucht, deren Abfluss beobachtet und die damit zusammenhängenden Bewegungen der Gletscher untersucht.

Der Abfluss ist sehr schnell, manchmal sogar schneller als ein Wasserfall: Bei einem der beobachteten Seen, der 5,6 km² Oberfläche (Tiefe bis zu 12 Meter) hatte, lief das Wasser zu Spitzenzeiten mit einer höheren Geschwindigkeit ab (8700 Kubikmeter in der Sekunde) als bei den Niagarafällen, so die Wissenschaftler in ihrem Bericht. Und das setzte auch den Gletscher in Bewegung, vertikal wie horizontal. Eine GPS-Station maß beim Abfluss des Sees, der nicht länger als 90 Minuten (!) dauerte, eine rasante Hebung der Eisfläche um 1,2 Meter und eine horizontale Bewegung nordwärts um 0,8 Meter. Wobei die maximale Oberflächenbewegung innerhalb einer Viertelstunde stattfand. Eine beeindruckend rasche Beweglichkeit, also.

Die nächsten 24 Stunden beruhigte sich der Gletscher. Er senkte sich allmählich ab und kehrte zu seiner normalen langsamen horizontalen Bewegung Richtung Westen zurück. Am Ende des Tages, an dem der See verschwand, hatte sich die Oberfläche des Gletschers laut Messungen der Wissenschaftler um einen halben Meter nach Westen verschoben, das Doppelte des sonstigen Tagesdurchschnitts – 0,25 Meter.

Im Jahresverlauf relativiert sich die erstaunliche Bewegung aber deutlich. Aus Beobachtungen, welche die Studienverfasser Sarah B. Das und Ian Joughin in einer anderen Untersuchung machten, konnten sie schließen, dass die Oberflächenschmelze zwar eine substanziell wichtige Rolle in der Dynamik der Gletscher spiele, dies aber aufs ganze Jahr bezogen nur einen kleineren Anteil bei der Bewegung von sechs beobachteten Gletschern ausgemacht habe. Sogar im Sommer mache der geschilderte Abfluss von Schmelzwasser gerade mal 15 % der Vorwärtsbewegung aus, öfter sogar noch um einiges weniger.

(...) when considered over an entire year, surface meltwater was responsible for only a few percent of the movement of the six outlet glaciers monitored. Even in the summer it appears to contribute at most 15 percent, and often considerably less, to the total annual movement of these fast-moving outlet glaciers.

Doch selbst wenn der Glaziologe Joughin einräumt, dass der Oberflächenschmelze möglicherweise keine bedeutende Rolle bei der "Produktion von größeren Instabilitäten, die zum Anstieg des Meeresspiegels führen" zukommt, so heißt das noch lange nicht, dass er große Gefahren für die Gletscher durch die Erwärmung ausräumt:

There are still other mechanisms that are contributing to the current ice loss and likely will increase this loss as climate warms.

Auch in der aktuellen Studie warnen die Verfasser davor, dass die Klimaerwärmung die Bildung von solchen Oberflächenseen möglicherweise verstärkt, dass sie früher gebildet werden könnten und es mehr davon gibt. Und vor allem, dass die Drainage-Verbindungen zum Gletscherbett schneller hergestellt werden und eine größere Fläche betreffen. Das ergäbe einen größeren Strom an Schmelzwasser unter den Gletschern, was deren Dynamik deutlich beeinflussen könnte.