Kurzschlüsse

Die vorgeschlagene Fusion von AOL und Time Warner repräsentiert einen riesigen Sprung zurück ins 20.Jahrhundert

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"Das Projekt der Moderne beruhte auf Waffen- und Medientechnologien ... umso besser kleidete es sich in eine kleinliche Phrasendrescherei von Demokratie und der Kommunikation des Konsens". (F. Kittler, Anm. d.Red.: Rückübersetzt aus dem Englischen)

In seinem Buch "The Media Monopoly" (1983) lieferte Ben Bagdikian eine Vorausschau und Einschätzung der Ereignisse der letzten Jahre. Im ersten Kapitel des Buches schrieb er: "Glücklicherweise kontrolliert nicht eine einzige Firma alle Massenmedien in den Vereinigten Staaten. Zugleich geht aber etwas vor sich, das in diese Richtung deutet. Wenn Übernahmen und Fusionen großer Unternehmen in der derzeitigen Geschwindigkeit weitergehen, dann wird in den neunziger Jahren eine gigantische Firma alle größeren Medien kontrollieren".

Die kritische Medienanalyse von den sechziger bis zu den achtziger Jahren konzentrierte sich auf die konvergierenden, manche würden sagen: kollabierenden Besitzverhältnisse der Mainstream-Medien in der Form großer multinationaler Konglomerate (verwiesen sei auf die Arbeiten von Herbert Schiller, Hans Magnus Enzensberger, Armand Mattelar und vieler anderer). Diese Kritik sah die Verbindungen zwischen Marketing und Medienbeherrschung als zentral an, um sich die Fernsehindustrie zu unterwerfen (die noch als öffentliches Gut gesehen wurde), was dazu führen würde, dass immer weniger Information und immer mehr Unterhaltung produziert werden würde. Diese komplexe Geschichte ist das Vorspiel zu den alles in den Schatten stellenden Firmenfusionen der letzten Tage, Monate und Jahre im Bereich der Telekommunikation, Medien und Internet-Technologien.

Steve Case und Richard Parsons, Ted Turner und andere von AOL und Time Warner fanden die großartigsten Begriffe: "ein definierendes Ereignis"; "ein entscheidender Wendepunkt"; "ein historischer Augenblick"; "diese Fusion wird die nächste Internetrevolution auslösen"; " es geht nicht um Technologie, sondern darum, das zu einem Massenmedium zu machen, das zum Bestandteil der täglichen Gewohnheiten der Konsumenten wird"; "wir wollen nicht, dass AOL ein Ort ist, zu dem Leute hinkommen, um von da aus woanders hin zu gelangen, wir möchten den "integrierten Konsumenten" schaffen. Deshalb ist der Besitz von Medienmarken von ultimativer Bedeutung".

Dieses erstaunliche Szenario, ganz so, wie von Bagdikian vorhergesagt, bildet im Zusammenhang mit AOLs zahlreichen strategischen Partnerschaften (Bertelsmann, Public Broadcasting Service, etc.) und Interessen eine Wasserscheide im Verhältnis zwischen organisierten und Open-Source-Medien und ist sicherlich essentiell für die Zukunft der Kommunikation. Doch die vorgeschlagene Fusion repräsentiert auch etwas, das man als riesigen Sprung zurück ins 20.Jahrhundert sehen muss.

Steve Case mag sein Unternehmen an der Pforte zum "Internet-Jahrhundert" sehen, doch es wird beladen mit einem aufgeblasenen Archiv alter Medien in die Zukunft stapfen, und seine Hoffnungen werden auf Fiberglaskabeln beruhen, deren Markt marginal, komplex, teuer und im Großen und Ganzen auf Städte begrenzt bleiben wird. Und das noch dazu, wo die gegenwärtige Entwicklung eigentlich auf kabellose mobile Geräte als Übermittlungssysteme der Zukunft verweist.

Wie die beiden Systeme von AOL und Time Warner sich nach vollzogener Fusion entwickeln werden, wird uns sehr viel darüber erzählen können, wie die Dominanz zwischen realen und möglichen Märkten aussehen wird. Wenn das höchst profitable Medienimperium von Time Warner von der potentiellen Profitabilität von AOL verschluckt werden kann, dann verweist das auf einen Trend (um an eine Analyse von Alan Greenspan zu erinnern), demzufolge virtuelle ökonomische Versprechen, die auf vagen Prognosen beruhen, überreichlich belohnt werden.

Sicherlich sind die "integrierten Konsumenten" hierbei das zentrale Thema. Die Vorteile, die Case für seine User ausmalte, seien, in dieser Reihenfolge, "Unterhaltung", "Einkaufen" und "Kommunikation". Im "integrierten Environment" solcher potentiell geschlossenen Systeme ist die weitgestreckte Metapher der "endlosen Möglichkeiten" eher eine Art Zwangsvollstreckung, eine Abschreckung vor "etwas anderem da draußen". Das könnte leicht dazu führen, dass der offene Zugang zu "Markennamen" und zu nichts weniger als Informationen, welche sich außerhalb der Besitztümer von AOL Time Warner befinden, nicht mehr möglich sein wird. Schließlich ist AOL jetzt bereits ein geschlossenes System, das Information filtert und organisiert, und das nicht als Förderer des Webs als Massenmedium verstanden werden kann, sondern als ein Dienst, der das Internet als Themenpark anbietet.

Dies ähnelt wiederum sehr Time Warners reduzierendem thematischem Zugang zu "News", wie man an den stark begrenzten jüngsten Ausgaben von Time Magazine und an der erstaunlich limitierten Berichterstattung über internationale Ereignisse durch CNN erkennen kann. Nichtsdestotrotz wird der "integrierte Konsument" zweifellos das Publikum für diese Art von kurzgeschlossener Einbahnstraße eines alle Zwecke umfassenden Massenmediums sein, das seine abgeleierten, vom 20.Jahrhundert übrig gebliebenen Inhalte unter die Leute bringen will. Natürlich ist die groteske Idee, dass man so etwas wie einen festen Bestand an Inhalten kaufen kann, kaum mehr als eine reaktionäre Idee, die mit rhetorischen Exzessen bemäntelt wird. Von einer weiteren, in einer langen Serie anderer Fusionen stehender Fusion als "revolutionär" zu sprechen, ist entweder blinde Ignoranz oder arroganter Pomp, trotz des ganzen finanziellen Spektakels der Transaktion.

Besorgniserregender als die eher offensichtlichen Themen, welche durch das Zusammengehen von Inhalts- und Zugangsversorger aufgeworfen werden, ist die unheilschwangere Zentralisierung von Netzwerk-Informationsdiensten parallel zu der in ihren Anfängen stehenden Open-Source-Bewegung. Mit dem offensichtlich mächtigem Einfluss auf Zugangstechnologien (Kabel), Schnittstellentechnologien (Netscape, Instand Messenger) und ebenso großer Verfügungsgewalt über Inhalte (Nachrichten, Finanzinformation, Musik, Bücher) sind die Chancen für ein offenes Netz angesichts solcher Konsolidierung ganz klar eingeschränkt. Das Microsoft-Antikartellverfahren hat glasklar gemacht, dass ein solcher Marktmuskel Innovation effektiv behindert. Bei der vorgeschlagenen Fusion zwischen AOL und Time Warner geht es aber nicht um Betriebssysteme und Browser, sondern darum, wie Inhaltsressourcen ihren Weg in den öffentlichen Raum finden werden. Die Gefahr ist, dass, wie Bagdikian schon 1983 schlussfolgerte, "unverantwortliche, exzessive Profite weiterhin die Vitalität einer äußerst wichtigen Institution schwächen werden" und dass "aalglatte finanzielle Manipulatoren ihre immer frömmlicheren Reden wiederholen werden, während sie zugleich dem öffentlichen Bewusstsein nur mit Verachtung begegnen".

Übersetzung: Armin Medosch