La Mafia in Germania

Bild: Thomas Wolf/CC BY-SA-3.0

Kriminelle Schattenwirtschaft: Hochburgen im Rheinland und im Ruhrgebiet, Flüchtlinge werden als "Rohstoff" ausgebeutet

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Eines ist hier wieder einmal klar geworden: Köln ist nicht nur Römerstadt, Rheinmetropole und beliebtes Touristenziel, sondern auch Tummelplatz für Gauner mit ganz besonderen Verbindungen. Die Rede ist vom "Rinzivillo"-Clan der berühmt-berüchtigten sizilianischen Cosa Nostra. Nach jetzt in Köln gefassten mutmaßlichen Mafiosi hatten die italienischen Behörden mit europäischen Haftbefehlen gefahndet, so eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft.

Zwei Verdächtige wurden vergangene Woche in der Domstadt festgenommen, 35 weitere etwa zeitgleich in mehreren Regionen Italiens.

Bei der Razzia in Kölner Stadtteilen und in Leverkusen gelang der Polizei damit ein koordinierter Schlag gegen die Mafia. Unter den Festgenommenen sollen sich auch ein Anwalt und zwei Polizisten befinden. An den Aktionen "Druso" und "Extra Fines" waren 600 Beamte der Finanzpolizei und der Carabineri in Rom, des sizilianischen Caltanissetta sowie der Kölner Kriminalpolizei beteiligt. Güter und Immobilien im Wert von mehr als elf Millionen Euro konnten sichergestellt werden.

Hochburgen in NRW

Die Angelegenheit wirft zugleich ein Licht auf die mafiöse Schattenwirtschaft, die sich längst hierzulande und in spezieller Weise im Bundesland NRW eingenistet hat: Der Arm der sizilianischen Cosa Nostra reicht seit Jahrzehnten in die Metropolen an Rhein und Ruhr. Sie hält ihre Hochburgen in Köln, in Leverkusen, Solingen und Dortmund. Operiert wird auf den klassischen Geschäftsfeldern Drogen- und Waffenhandel, im großen Stil im Baugewerbe. Für die Geldwäsche fetter Summen bietet Deutschland beste gesetzliche Voraussetzungen, Germania gilt hier als besonders einladend.

Der eingangs erwähnte "Rinzivillo-Clan" arbeitet eng mit der Mafia von Corleone zusammen und setzt mit Erpressungen Millionen um. Die Professionalität macht den Beamten der Abteilung "Organisierte Kriminalität" der Kölner Kripo zu schaffen: Die Mafiosi operieren clever landesweit mittels Gebietsaufteilungen. Bevorzugt das Rheinland dient jedoch als Aktionsraum und Rückzugsort für Statthalter und Fußvolk, dabei sind die Aktivitäten streng hierarchisch gegliedert.

Nebelkerzen, dicke Autos, saubere Hierarchien

Vor allem das Aktionsfeld der Baumafia gilt als perfekt organisiert und sauber aufgeteilt. Auf dem Bausektor mischen Mafiosi quasi ungehindert mit. Die Strukturen "im Schatten" verbergen sich hinter Nebelkerzen, sprich hinter Scheinfirmen. Die arbeiten mit fingierten Rechnungen, Dienstleistungen, die nur auf dem Papier erbracht werden. Und Deutschland gilt dabei zugleich als bequemer Rückzugsort: Hier kann die Mafia beinahe ungestört agieren, das geben selbst italienische Behörden unumwunden zu. Ganz gezielt suchten die sizilianischen Paten nach Expansionsräumen in Deutschland.

Die Geschäfte laufen über Strohleute, diese generieren das Schwarzgeld für die Hinterleute. So entsteht ein Netzwerk, das die kriminellen Geschäfte clever abwickelt. Die Macher bleiben im Hintergrund, schicken andere vor, die im Fall des Falles den Kopf hinhalten. Dicke Autos, BMW X5 oder Lamborghinis schmücken die Arbeit der wichtigeren Akteure, auch deren beinah tägliche Konferenzen sind für die Ermittler vom Prinzip her kein Geheimnis. Die Strukturen folgen dem Familienprinzip und dem Territorialprinzip, danach werden die Räume für Straftaten untereinander aufgeteilt.

Besonders schäbiges Geschäftsmodell: Flüchtlinge als "Rohstoff"

In Süditalien landen seit mehr als zehn Jahren zigtausende Flüchtlinge an. Hieraus ist ein besonders schäbiges Geschäftsmodell entstanden: Die Mafiabosse witterten schnelles Geld. Petra Reski, die als Romanautorin in der Szene recherchiert hat, stellt fest, "dass die Clans in Sizilien schon 2007 leerstehende Fabrikgebäude oder Kasernen aufgekauft haben, um dort Flüchtlingszentren einzurichten. (…) Die Mafia betrachtet die Flüchtlinge als Rohstoff, den es auszubeuten gilt."

Flüchtlinge werden in Schwarzarbeit oder in die Prostitution vermittelt, oder man verdient an ihnen, indem das Geld kassiert wird, das eigentlich ihnen zusteht. Das Abzweigen öffentlicher Gelder nennt Reski "eine Spezialität" der Mafia. In den Aufnahmezentren herrschten zum Teil unfassbare Zustände; insbesondere Geistliche spielten häufig eine zweifelhafte Rolle.

Zurück zum Bundesland NRW mit seinen "Hochburgen". Der Leiter der Abteilung für organisierte Kriminalität beim nordrhein-westfälischen LKA, Thomas Jungbluth (61), verweist auf die hervorragende Infrastruktur und die große italienische Community, die NRW vor anderen Bundesländern auszeichnen.

Jungbluths Behörde geht davon aus, dass rund 100 Personen in NRW einer italienischen Mafia-Organisation angehören oder Bezüge dazu unterhalten. Knapp zwei Drittel etwa würden der 'Ndrangheta angehören, ein Drittel der Cosa Nostra. Die 'Ndrangheta sei vornehmlich am Niederrhein und im westlichen Ruhrgebiet vertreten, die Cosa Nostra eher im Raum Köln Bereich und die Camorra im östlichen Ruhrgebiet.

Autos auf Bestellung

Als lukrativer Markt gelten schließlich auch Autos. Hier sind es vor allem die Favoriten unter den Oldtimern, die das kriminelle Interesse auf sich ziehen. Im Kölner Stadtteil Sürth verschwand so im September ein 1966er Ford Mustang, eine Woche später erwischte es in Köln-Junkersdorf einen roten Ferrari, Baujahr 1978, und das, "obwohl der Besitzer des 100.000-Euro-Wagens ihn mit einer Radklaue, einem Stromkreisunterbrecher und einem Lenkradschloss in Form einer abschließbaren Stange gesichert hatte".

Auch Chevrolet Camaro oder der 911er Porsche sind bevorzugte Zielobjekte im Visier der kriminellen Banden. Im Kölner Kriminalkommissariat 73, zuständig für Autodiebstähle, kennt man auch Einzelheiten der kriminellen Logistik: "Oldtimer, deren Wert zwischen 40.000 und 150.000 Euro liegt, gehen nahezu ausschließlich in die Niederlande."

Ganz Deutschland werde auf die Weise unterwandert, unken inzwischen nicht nur Insider, und es scheint viel Wahres dran zu sein. In Köln erzählte ein Polizeibeamter, gebe es kein italienisches Restaurant, das nicht Schutzgeld bezahle. Und in ganz Deutschland existiert wohl kaum eine Großbaustelle, auf der die Mafia nicht mitmischt.

Wirklich stoppen lässt sich die kriminelle Schattenwirtschaft offenbar nicht: Die deutschen Gesetze, so räsonieren italienische Staatsanwälte wie der leitende Oberstaatsanwalt in Palermo, Roberto Scarpatino, reichten nicht aus, um den Machenschaften wirklich und nachhaltig beizukommen. So bleibt Deutschland ein idealer Nährboden für die La Mafia in Germania. Kritiker wie Scarpatino gebrauchen gar das schwärmerische Wort "Schlaraffenland", um zu zeigen, wie einfach Deutschland es den Akteuren und ihren Hintermännern macht.