Labels und Podcasts: Kommerz versus Enthusiasmus?

Noch gibt es viele offene Fragen für die Podcastszene, wie sich am Podcastday 2006 zeigte

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“Es geht auch ohne die Majors: Die Podcastszene gründet ihre eigene Musikindustrie.“ Kein Fragezeichen, kein Ausrufezeichen, kein Punkt – es ist schon erstaunlich, dass die Macher des Podcastday2006 diese These einfach in den Raum stellten, als ob die Alternative Musikindustrie tatsächlich schon existierte. Doch Podcaster erwarteten von den Anwesenden des Panels eigentlich die Klärung viel dringenderer Fragen. Die Antworten darauf blieben allerdings, zumindest was den geplanten Tarif betraf, erstaunlich vage.

Dass das Gleichnis der starren Ölbohrplattformen und der flotten U-Boote, welches der Moderator der Diskussionsrunde, der Berliner Medienanwalt Andreas Schardt, gebrauchte, durchaus passend war, konnte man mehrmals in der Diskussionsrunde bemerken. Allgemein entsteht momentan der Eindruck: Man bewegt sich zwar ein wenig auf die Probleme im Bereich Musiklizenzierung zu, doch die eigentlichen Fragen bleiben momentan ungeklärt. Ausgerechnet Thomas Stein, Vorstandsvorsitzender der Jack White Productions AG, mahnte den GEMA-Sprecher Urban Pappi an, sich vielleicht doch um die Detailfragen zu kümmern, die die Podcaster momentan bewegten – denn sonst würde die Glaubwürdigkeit der GEMA enorm zu leiden haben.

Der Tarif, der vielleicht so im Sommer von der GEMA kommen könnte oder auch nicht, bewegt sich erstmal unterhalb dessen, was die GEMA momentan für ein Webradio verlangt: Für fünf Euro sollen Podcaster ein Intro und ein Outro von der Länge von ca. 20 Sekunden spielen dürfen, wenn es ein wöchentlicher Podcast ist. Wenn darüberhinaus noch ein Song gespielt werden sollte, so darf der Podcaster für diesen Song 10,- Euro an die GEMA zahlen, allerdings sollen die Gebühren die Kosten für ein Webradio – das wären momentan 30,- Euro im Monat – nicht übersteigen. Lizenziert werden soll das Ganze nach dem Vorbild der Webshops auf der GEMA-Seite: Ein paar Klicks würden genügen, um dann auf der sicheren Seite zu sein.

Dass die GEMA erst jetzt reagierte, begründete Dr. Urban Pappi damit, dass ein neues Medium erstmal neue Gesetzemäßigkeiten braucht und diese wohldurchdacht sein müssten. Er verwies auf Music-on-Demand und die Webradios, bei denen die GEMA schlussendlich dann auch eine einheitliche Lösung gefunden habe. Zudem ist auch die Verwertungsgesellschaft an gültige Gesetze gebunden, und diese zu durchleuchten, brauche halt seine Zeit.

Dies ist also die große Vision, die in diesem Sommer kommen könnte oder auch nicht. Damit sind aber die Fragen, die die Podcaster an die GEMA haben, nicht zur Gänze geklärt. Es ist erstaunlich, dass beide Seiten zwar seit längerem im Gespräch sind, aber Details momentan offenbar nicht klar sind. So ist die Frage der Erreichbarkeit des Podcast bisher noch ungeklärt: Wie lange darf ein Podcast mit einem GEMA-lizenzierten Song auf dem eigenen Webserver erreichbar bleiben?

Der Music-on-Demand-Lizenzvertrag der GEMA – Podcasts, so wurde auf dem Panel noch einmal bestätigt, sind de facto On-Demand-Angebote im Internet - sieht keine zeitliche Befristung vor. Für Musikstores macht dies Sinn, schließlich wollen diese ein permanentes Angebot, in dem der Kunde jederzeit seine Musik findet und sie dann auch kauft. 24/7. Auch Podcaster möchten rund um die Uhr erreichbar sein und natürlich auch ein Archiv aufbauen. Wer eine gutgemachte Sendung vorweisen kann, wird in der Zukunft auf sie verweisen wollen, wenn ein bestimmtes Thema nochmals aufgegriffen wird. Damit bietet man dem Nutzer einen Mehrwert an, den dieser sicherlich zu schätzen weiß. Wenn diese Sendung aber z.B. nach einem halben Jahr verschwunden sein muss, weil ein Song aus dem GEMA-Repertoire genutzt wurde, wird das Archiv des Podcasters, seine Vergangenheit, praktisch komplett zerstört. Sicherlich könnte man den beanstandeten Song herausschneiden und nochmals online stellen – dann hätte man sich aber die Lizenzierung des Songs komplett sparen können. Insofern wird abzuwarten sein wie lange die Podcasts online bleiben dürfen

Ungeklärt ist überdies die Frage, inwieweit der Podcaster der GEMA Playlisten an die Hand geben muss. Das Formular für die Meldung eines Titels ist natürlich schnell ausgefüllt, wenn man nur einen Song in der Woche spielt, vorausgesetzt der Podcaster hat schon hier eine eiserne Disziplin. Aber was passiert, wenn man vier, fünf, sechs Songs vorstellt? Wird hier dann auf die pauschale Regelung à la Webradio zurückgegriffen – man zahlt und gut ist? Und wie ist das mit der Drei-Stücke-Regelung, mehr darf man momentan nicht aus dem Gesamtwerk eines Künstlers innerhalb eines gewissen Zeitraumes vorstellen? Bleibt diese für Podcasts bestehen oder wird es Ausnahmen geben? Kommt das, was man bezahlt, auch dem Künstler zugute oder nur in einen großen Topf?

Falls der Künstler den Betrag direkt bekäme, dann könne man sich als Podcaster auch schon vorstellen, die genannten Beträge zu zahlen, da schien man sich einig zu sein. Wenn man aber selbst als Podcaster von Bands angefragt wird und diese spielen will, wie soll man wissen, ob man das machen darf oder nicht? Hier herrscht momentan Unsicherheit in der Szene; Fragen über Fragen, auf die es momentan nur ein ungewisses „Vielleicht“ gibt. Seltsam, dass dies alles bisher nicht geklärt ist. Aber vielleicht hat man auch nur versäumt die richtigen Fragen zu stellen.

Where's the cash?

Dass der Künstler sein Geld braucht, dass Podcaster auch bereit sind zu bezahlen – das ist ein Grundsatz, der in der Diskussion von Niemandem bestritten wurde. Doch das Grundverständnis davon, wie der Cash-Flow nun den Künstler erreichen soll, ist grundverschieden. Hier prallten Welten aufeinander.

Markus Koller, Gründer von Starfrosch.ch aus Bern, warf zu Beginn der Diskussion ein, dass es ein richtig funktionierendes Geschäftsmodell bisher seiner Ansicht nach gar nicht gäbe – bisher würde so etwas nicht richtig funktionieren. GEMA-freie Musik hätte es schon immer gegeben, durch das Podcasting würde sie einem breiteren Publikum bekannt. Dance-Produktionen unterhalb der 1000er-Marke würden meistens nicht der GEMA gemeldet, da sich das für diese Szene nicht lohnen würde. Gefragt, ab wann sich das für den Künstler oder das Label rentieren würde, kam die Zahl von 30.000-50.000 Downloads ins Spiel. Sicherlich utopisch, zumindest für dieses Genre.

C. C. Chapman, Mitarbeiter beim Podsafe Music Network, sieht Podcasting als Starthilfe für unbekannte Künstler. Labels sind seiner Meinung nach nicht mehr notwendig, da man heutzutage dank der Technik in der Lage sei, seine Stücke selbst zu schreiben, selbst einzuspielen und selbst zu promoten. Wenn C. C. Chapman in Accident Hash die Webseite des Künstlers nennt, werden die Zuhörer vermutlich die eine oder andere CD kaufen. Für ihn selber springt dabei nichts heraus, außer dass er die Musikstücke spielen darf.

Ein fairer Deal und eine Sichtweise, die Thomas Stein nur äußerst schwer verständlich zu machen war. Dieses wechselseitige System des Gebens und Nehmens scheint in Europa zumindest, so Markus Koller, nicht zu funktionieren, es käme ihm so vor, als sei Europa an dieser Stelle offline. Das, so hakte Herr Stein an dieser Stelle der Diskussion ein, könnte an der „Vollkasko-Mentalität“ der Deutschen liegen – Amerikaner würden erstmal ein Produkt machen und dann sehen, was man damit anfangen könne, die Deutschen bräuchten dagegen Absicherungen.

Durchaus ein Punkt, über den man nachdenken kann. Dennoch: Hier traf sichtbar der Enthusiasmus, die Freude daran, Musik zu machen und diese weitergeben zu können, auf betriebswirtschaftliches Denken. Man hörte sich zwar freundlich zu, aber verstanden hat man sich an dieser Stelle sicherlich nicht.

Sind Labels überbewertet?

Es ist natürlich verständlich wenn Thomas Stein auf dem Standpunkt beharrte, dass man auch in Zukunft noch Labels brauchen würde – nicht jeder Musiker könne oder wolle im Zeitalter des Selbstvertriebs seine Rechte wahrnehmen. Zudem sei ab einer bestimmten Größe einfach ein gewisser Apparat notwendig, man könne ja schließlich nicht vom Künstler verlangen, auf 30.000 CDs selbst noch die Briefmarken zu kleben.

Ein gewisses Körnchen Wahrheit steckt hier mit Sicherheit mit drin, nicht jeder Künstler wird sich in Zukunft sein eigenes Label aufbauen oder die Fähigkeit haben, sich selbst zu promoten. Aber, so gab C. C. Chapman zu bedenken: Nicht die Künstler bräuchten die Labels, sondern die Labels die Künstler. Zudem seien im digitalen Zeitalter die Vertriebsmethoden auch einfacher und schneller geworden, warfen Podcaster ergänzend in die Runde ein, das Verschicken von CDs sei im Zeitalter der MP3-Downloads ja nun nicht unbedingt mehr nötig.

Und hier zeigten sich wieder die Bruchstellen im Denken der Diskussionspartner: Musik wird bei den Podcastern nicht als Ware wahrgenommen, sondern als eine Sache, die man mit dem Herzen betreibt, die man fördert, weil man die Band oder einen Song gut findet. Natürlich ist es nicht verwerflich, wenn man mit dieser Musik auch versucht, Profit zu machen – doch schlussendlich hat es zum Formatradio mit den bekannten Ausmaßen geführt. Auf dem Podcastday selbst gab es zumindest hier und da Anklänge daran, dass man vielleicht da den falschen Weg gegangen sein könnte.

Nicht bezweifelt wurde, dass die Majors allmählich auch das Thema Podcasting für sich entdecken. Warner und Motor bestätigten, eine spezielle Vereinbarung mit der GEMA getroffen zu haben, Details gab man natürlich nicht preis. Weitere Majors werden sicherlich folgen. Dass es unter anderem mit Magnatune ein Label gibt, welches versucht, mit CC-lizenzierter Musik und einem gutem Preismodell Musik zu verkaufen, schien nicht bekannt zu sein.

Hochgezogene Augenbrauen und erstaunte Blicke erntete der GEMA-Sprecher Dr. Urban Pappi, als er erwähnte, dass man, wenn es um die Online-Rechte ginge, ja im Wahrnehmungsvertrag als Künstler entscheiden könne, die GEMA solle nur die CD- und Fernseh-Rechte wahrnehmen. Man solle dann einfach die Paragraphen, die einem nicht gefallen, durchstreichen. Diese Möglichkeit im Berechtigungsvertrag schien jedenfalls bisher unbekannt gewesen zu sein. Falls dies der Fall sein sollte, könnte sich jeder Musiker wohl seinen eigenen individuellen GEMA-Vertrag zusammenstreichen – es wäre sicherlich eine spannende Frage, ob dies auch rechtlich durchsetzbar wäre.