Land der Schmutzkübel - Ex-Kanzler Sebastian Kurz in Schwierigkeiten

Parlamentsgebäude in Wien. Bild: Thomas Wolf/CC BY-SA-3.0

Obwohl der Wahlkampf in Österreich offiziell noch nicht begonnen hat, beginnt er bereits heiß zu laufen, wobei es weniger um politische Inhalte als um Anschuldigungen geht

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Sebastian Kurz bedauerte am Wochenende in einer persönlichen Mitteilung die "Grauslichkeit" des Wahlkampfs. Gemeint hat er damit die Schmutzigkeit des Nationalratswahlkampfs, den er selbst nach Kräften mitverschmutzt.

Genüsslich liest die ÖVP in letzter Zeit aus aufgedeckten Emails und von Schmuddel-Webseiten vor, die ohne den Hinweis der beschmutzten Partei nahezu niemand gekannt hätte. Ohne Frage werden dort ungeheuerliche Dinge behauptet - nur, worin liegt eigentlich der Informationsgehalt? In der Bekanntmachung, dass sich im Internet gefährliche Spinner tummeln? Hat das irgendjemand noch nicht gewusst?

Die Medien machen mit

Im österreichischen Saure-Gurken-Sommer machte der Boulevard bei diesem Spiel der "Aufdeckungen" gerne mit und beklagt die gemeinen Behauptungen gegen Kurz. Dabei helfen die Medien genau jene weite Verbreitung zu schaffen, die sich die kriminellen Schöpfer*innen der Anschuldigungen nur hatten wünschen können. Es ist ein aberwitziger Widerspruch der "klassischen" Medienwelt, ununterbrochen die Macht der sozialen Netze zu bedauern und dies als eine Gefahr zu brandmarken, während man genau diese Macht befördert, indem man laufend die gleichen Säue durchs Dorf treibt.

Gänzlich absurd wird das Spiel, wenn das Team um Kurz zu behaupten beginnt, bei den Schmutzkübelkampanien im Internet läge jene Taktik vor, die Josef Göbbels beschrieb: "Wenn nur genügend Dreck geschleudert wird, bleibt auch etwas hängen." Wenn dies die Taktik der ominösen Gegner der ÖVP wäre, dann wäre es doch besser, die meisten Anschuldigungen zu ignorieren, die Personen auszuforschen, die falsche Beschuldigungen gemacht haben, um sie anzuklagen und ansonsten einen ruhigen Sommer zu genießen. Denn mit dem Wahlkampf wollte man ja eigentlich noch abwarten und den Österreicherinnen und Österreichern eine erholsame Ferienzeit verschaffen. Stattdessen werden fleißig die sprichwörtlichen Schmutzkübel bis zum Boden ausgeleert.

Message-Control geht nur in der Offensive

Warum geschieht dies also? Es scheint als habe sich Sebastian Kurz verkalkuliert, der doch gerne seine eigene "Professionalität" im Umgang mit den Medien lobt. Er hatte bald nach dem verlorenen Misstrauensantrag erkennen müssen, dass seine Message-Control zunehmend den Bach runtergeht. Die von ihm projektierten Erzählstränge, wie "der junge, dynamische Führer besucht das Silicon-Valley", wurden nicht mehr aufgegriffen und wirkten wie die lächerlichen Inszenierungsversuche, die sie waren.

Seine im Sommer üblichen Wanderungen mit hunderten Getreuen durchs österreichische Gebirge, die Volksnähe demonstrieren sollen, zogen nicht die entsprechenden Fanmassen an. Stattdessen musste Kurz ständig Fragen beantworten zu Skandälchen (ein wenig glaubwürdiger Fanbrief, in dem eine 6-Jährige instrumentalisiert wurde, die Abwahl von Kurz zu bedauern) und Skandalen (Mitarbeiter, die unter falschem Namen Festplatten haben schreddern lassen).

Kurz tut sich mit der Defensive schwer. Nur ungerne beantwortet er Fragen, die nicht Teil der von ihm konzipierten Außenwahrnehmungsstrategie sind. Folglich musste wieder die Offensive her. Im Fernsehen verbreitete er zur "Schredderaffäre", auch sein Vorgänger im Kanzleramt Christian Kern hätte Datenträger nach dessen Abwahl verschwinden lassen. Eine nicht belegbare Behauptung, die Kurz nun wohl die Klage Kerns einbringen wird. Diese Vorgehensweise darf ebenso als nicht gerade sauber betrachtet werden, was erneut Kurz‘ Klage über die Schmutzkübel hohl erscheinen lässt.

Finde den Silberstein

Aber genau hierin scheint die Taktik des Team Kurz zu liegen. Es soll die Assoziationskette über Christian Kern zu dessen ehemaligen Wahlkampfmitarbeiter Tal Silberstein geknüpft werden, der Fake-Seiten über Kurz im Internet erstellen ließ. Damit möchte die ÖVP im aktuellen Wahlkampf suggerieren, die SPÖ würde erneut nicht fair agieren und versuche, Kurz in den Dreck zu ziehen. Sebastian Kurz stellte es in seinen besorgten Zeilen vom Wochenende explizit so dar, als wollten dunkle Mächte den erfolgreichen Reformkurs des Ex-Kanzlers torpedieren.

Belege dafür blieb Kurz bislang schuldig. Die Masche ist in Österreich allerdings hinlänglich bekannt. Berühmt gemacht hatte sie Jörg Haider. Immer wollte wer dem "erfolgreichen Landeshauptmann von Kärnten, der Österreich veränderte" was Böses, wo hingegen Haider selbst keiner Fliege ein Haar krümmen konnte. Kurz schwenkt also auf die bekannte Strategie der Rechtsradikalen ein, das Opferlamm zu spielen.

Der Versuch, damit von den sich in letzter Zeit häufenden eigenen Fehlern abzulenken, mag plump wirken, aber auch Platzpatronen können in Österreich töten. Gerade die Inszenierung "Kurz allein gegen alle" könnte ihm verlorene Sympathien zurückerobern.

Wie geht der Wahlkampf weiter?

Aktuell schadet Kurz der ins Stottern geratene Motor seiner Selbstinszenierung noch kaum. Der traditionelle Hauptgegner der ÖVP, die SPÖ, bastelt noch an seiner Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner herum. Diese wirkt zwar längst ein wenig übercoached, trotzdem scheint sie das Parteiprogramm noch nicht genau zu kennen. Mehrmals musste sie zurückgepfiffen werden, wenn sie etwa meinte, die Vermögenssteuer sei für sie im Moment kein Thema. Nun, für die Partei soll es aber eines sein - oder vielleicht doch nicht? Die SPÖ scheint schlicht noch nicht zu wissen, wie und wo sie Kurz packen könnte, und deswegen scheint ihnen die Schlammschlacht, die zunehmend auf Kurz zurückfällt, ganz recht zu sein.

Zumal diese vom Ex-Bundeskanzler Kern, der sicherlich gewisse Revanche-Gelüste verspürt, mit ordentlich Verve geführt wird. Eine nicht unkomfortable Lage für die SPÖ, schließlich agiert der aus allen Parteiämtern ausgeschiedene Kern als Privatperson. Dies hat aber auch zur Folge, dass Kern die eine oder andere Spitze gegen seine Nachfolgerin Rendi-Wagner und die SPÖ ausfährt.

Vermutlich könnte gegen den Schmutzkübelsumpf eine ruhig Sachpolitik punkten und da wäre die zurückhaltende und skandalfreie Rendi-Wagner genau die richtige. Nur müsste man sich in der SPÖ dann irgendwann darauf einigen, was die Themen dieser Sachpolitik sind. Dies ist im heiß laufenden Medienboulevard nicht einfach, denn viele Sachthemen scheinen unterzugehen.

Wird es für Kurz reichen?

Dass Kurz am Ende lacht, wirkt Ende Juli etwas weniger wahrscheinlich, als es unmittelbar nach dem Misstrauensantrag wirkte. Denn auch in der eigenen Partei beginnt es allmählich leise zu rumoren. Zur ÖVP gehört bekanntlich die Obmann-Debatte wie der Kren zur Burenwurst.

Ein paar Hoppalas mehr und die Partei könnte wieder über sich selbst diskutieren. Die Erfolge des Heilsbringers Kurz wären dann so schnell vergessen, wie sie aufgetaucht sind. Der Widerstand gegen seine Person nimmt auch in konservativen Kreisen bereits Form an. Das nächste Enthüllungsbuch über Kurz (nach dem von Reinhold Mitterlehner, Vorgänger von Kurz als ÖVP-Bundesparteiobmann) ist bereits da.

Geschrieben hat es Helmut Brandstätter, der ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung "Kurier". In dem Buch beschreibt Brandstätter eindrucksvoll, wie Kurz in Zusammenarbeit mit der FPÖ versuchte, die österreichischen Medien mit autoritären Maßnahmen unter Kontrolle zu bringen.

Die gewisse soziopathische Ader von Kurz wird dabei liebevoll porträtiert. Wie weiland Richard Nixon fragt sich der türkise Strahlemann nämlich angeblich dauernd, was er tun müsse, damit ein anderer Mensch ihn möge, oder - wenn dies nicht gelingt - wie man diese Person dann loswerden kann. Darüber hinaus belegt Brandstätter, der das Buch aus Sorge um Österreichs einfach "schreiben musste", dass konservative Menschen Moral immer nur dann für sich entdecken, wenn sie ihnen persönlich nutzt: Brandstätter gab bekannt, Kandidat der NEOS zu werden.

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