Leben in Horden und Schwärmen und andere Ungerechtigkeiten

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Eine Anmerkung zu Gemeinschafts- und Gerechtigkeitsillusionen

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Viele Menschen haben ein Faible für "Gemeinschaft" oder moderner ausgedrückt: für das eigene Milieu und die Gruppen, zu denen man gehört. Dahinter ist die angenehme Vorstellung, zusammen mit anderen Menschen friedlich und solidarisch zu leben, miteinander gut umzugehen, freundschaftlich zu sein und den Stallgeruch sozialer Kohäsion in der Nase zu haben.

Gelernt wird das bereits in der Schule: Nur durch das Soziale, durch Kooperation ist der Mensch dieses außergewöhnliche und naturbeherrschende Tier geworden, das Fernsehen, Computer und Smartphones erfunden hat, zum Mond fliegt und bald zum Mars oder in andere fremde Welten reisen wird. "Soziales" heißt aber nicht nur ein Miteinander, sondern ebenso ein Gegeneinander, was gern unter den Tisch fällt.

Heute hat der Begriff Gemeinschaft, ähnlich wie Heimat, allerdings oft einen reaktionären Beigeschmack. Dazu kommt, die meisten Leute kennen aus praktischer Erfahrung die bittere Seite von Gruppen: Sie machen mitunter gehörigen Druck, man tut sich oft schwer hinein zu kommen und man kann ziemlich schnell wieder draußen sein.

Brutale Horden-Tiere

Von der grauen Urzeit bis heute ist es so: Die erste Gemeinschaft, der man zwangsläufig angehört, ist die eigene Familie, wobei das früher nicht die kleine Kernfamilie war, sondern eine Horde, die sich bei Bedarf Nahrung oder Frauen von anderen Horden raubte und Widersacher schnurstracks totschlug. Erst mit der sogenannten neolithischen Revolution (vor rund 10.000 Jahren), dem langsamen Sesshaftwerden und dem entdeckten Ackerbau entwickelten sich großfamilienartige, tribale, ortsgebundene Lebensformen. Wobei übrigens die Kernfamilie gar keine junge und moderne Entwicklung ist, sie war schon im ausgehenden Mittelalter die dominante Lebensart in Mittel-, West- und Nordeuropa (so man dazu historische Belege hat).

Diese Horden und Familien werden nicht so besonders angenehm für die lieben Kleinen gewesen sein, Stichwort: Alphatier-Herrschaft, später schweres Patriarchat, körperliche Strafen bis zum Tod, Ödipuskomplex, Mithelfen, Arbeiten, wo immer das nötig war. Kindheit war keine eigene Lebensphase, sondern man wurde als kleiner Erwachsener (Philippe Ariès) behandelt, ordentlich drangsaliert und mit Strafen zur Gefügigkeit gezwungen. So etwas wie Individualität war unbekannt.

Neue Wohlfühlkindheit

Diese Normalität hat sich in Europa mit Aufklärung, Romantik und Biedermeier geändert. Heute ist die wohlfühlverwöhnende, kindorientierte Mittelschichtfamilie nach US-amerikanischem Nachkriegsverständnis (das rasch in Europa importiert wurde) der Normalfall. Kinder erscheinen da - übrigens in völliger Verkennung psychologischer Sachverhalte - als prinzipiell gute, noch unbeschriebene Wesen, die abgetrennt von der Welt der Erwachsenen besonders sorgfältig zu "behandeln" wären und damit das pädagogische Objekt von Kultur und Gesellschaft geworden sind.

Diese Kindorientierung bedeutet aber nicht, dass man sich als Eltern nun persönlich darum kümmern muss, man kann sie auch in Kita-Anstalten abschieben, sofern sie pädagogisch gut (privat?) sind. Diese verhätschelnde Sonderstellung (mit Ausnahme mancher verwüsteter Unterschichtmilieus) hat in der Folge zu einem immer problematischeren Narzissmus geführt. Christopher Lasch hat davor bereits in den späten 1970er Jahren intensiv gewarnt und Sigmund Freud schon vor 90 Jahren die beiden "pathogenen Erziehungsmethoden, der Überstrenge und die Verwöhnung" (Das Unbehagen in der Kultur) sehr kritisch gesehen.

Das zweischneidige Soziale

Gruppen (Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft, vielleicht sogar die Straße, in der man lebt) geben einem noch das Gefühl der Zugehörigkeit: ein Stück Identität, Dabeisein (heute: Inklusion), Wohlfühlen, Vertrautheit. Die Empfindung von Solidarität gehört hierher, ebenso im Gegenzug die Angst vor dem Alleinsein. Das sind Idealvorstellungen und Sehnsüchte vieler Menschen, ähnlich ist es mit der gewünschten eigenen Familie oder der großen Liebe. Musterbilder, die sich im Kopf halten.

Der moderne Mensch, zugerichtet von der Arbeits- und Konsumgesellschaft, vom sozialen und ökonomischen Wettbewerb um Futtertröge und werblich geschaffener Konsumgüter-Lebensqualität, konditioniert von Kommunikationstechnik und kulturellen Aufmerksamkeitsgeboten, dabei getrieben von narzisstischer Egozentrik, ist heute nur schwer zu Gemeinschaft fähig.

Sozialer Druck

Denn das "Soziale", das gemeinschaftliche Leben heißt stets auch: Gruppenmeinungen, die kulturellen Normen (die Moral) müssen beachtet, übernommen und reproduziert werden. Damit wirkt auf den selbstverliebten modernen Menschen, der praktisch alles Erstrebenswerte der Welt via Konsum im kleinen Finger haben kann (um Herbert Marcuse zu paraphrasieren) ordentlich "sozialer Druck", nachhaltiger Zwang, mit der Gruppe - heute eher der wesentlich lockere "Schwarm" (Zygmund Bauman) - mitzumachen, in der Herde zu bleiben, mitgefangen, mitgehangen zu sein - denn sonst fliegt man raus.

Für individualistische Narzissten ist dieser soziale Druck die Hölle, wenn sie nur einfaches Mitglied sind und nichts bestimmen können, darum müssen sie sich auch andauernd "hervortun". Aber dort, wo sich Massen bilden, geht das, paradox, oft blitzschnell, vehement und ziemlich blind vor sich, bleibt jedoch meist eine temporäre Angelegenheit. Massen, heute ebenso Shitstorms und sozial genetzwerkte Aufregungssmeuten, rotten sich zusammen, schlagen zu, zerstören und zerfallen schnell. Nachlesen lässt sich das bei vielen Autoren (Le Bon, Freud, Ortega y Gasset, Canetti, Reich, Riesman und viele andere).

Nur eine halbe Aufklärung

Die sogenannte "Aufklärung"- Stichwort: Immanuel Kant "Was ist Aufklärung?" - war eine herausragende europäische Kulturleistung, die den einzelnen Menschen theoretisch und moralisch ins Zentrum allen Lebens gesetzt hat. Allerdings ist diese bei ihrem ersten Halbschritt stecken geblieben, sie hat sich nicht in die Lebenspraxis der Menschen umgesetzt, was schon Max Stirner vor rund 170 Jahren hellwach, aber schwer verständlich und mit missverständlichem Buchtitel, beschrieben hat.

Dieser zweite Halbschritt, also ihre lebenspraktische Umsetzung, würde zu einem tatsächlich gewaltfreien Individualismus und zu Herrschaftsfreiheit des Einzelnen, zu authentischem Anarchismus (=Herrschaftslosigkeit) führen. Kein Mensch könnte mehr Macht über andere ausüben, jeder wäre sein eigener Herr. Das Soziale wäre nicht tot, es bliebe jedoch ohne eine massenpsychologische bzw. Gruppenzwang-Struktur, frei unter betroffenen Menschen aushandelbar, Gruppen und deren Macht gäbe es nicht mehr. Das ist der Kern der Utopie der Aufklärung und noch etwa in Herbert Marcuses Schriften aufzufinden, wenn man einmal genauer hinsieht.

Das Bestreben, nicht mehr Sklave zu sein ("non serviam"), nicht mehr der Herrschaft von Anderen ausgeliefert zu sein, reicht dabei als widerständische Denkfigur gegen Autoritäten weit in die Antike zurück, hat also eine lange Tradition. Der Widerstand gegen Bevormundung und Repression war neben Hunger ein Auslöser von Aufständen, Freiheitskämpfen und Rebellionen, während die früheren und modernen Fürsten aus Gier Kriege führten, um für sich selbst mehr Macht, mehr Geld und mehr Reputation zu gewinnen.

Natürlich, der Westen hat sich verändert

Zweifellos hat sich in den westlichen Gesellschaften langsam, unmerklich etwas verändert - was wie immer stets erst auffällt, wenn es umfassender um sich gegriffen hat und dann zu spät ist. Das ist beim Erstarken des erwähnten Narzissmus als Massenphänomen so gewesen, das ist ähnlich bei den gesellschaftlichen Verhältnissen selbst.

Zygmunt Bauman sah die einstmals klaren Gegebenheiten der bürgerlichen Moderne in der seit den 1980er Jahren nun postmodernen Gesellschaft als "verflüssigt", als unverbindlich an. Vieles wäre unscharf geworden, weich, fluid, beweglich, beliebig. Manche gesellschaftlichen Verbote und kulturellen Gebote sind ins Ungefähre übergegangen, haben sich aufgelöst, das betrifft nicht nur die großen "Erzählungen" (Jean-Francois Lyotard) etwa der Nation, des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts, der Familie, der Verwandtschaften, sowie ganz grundsätzlich den Sinn gesellschaftlicher Ordnung. Um zu verhindern, dass nun desaströse und unkontrollierbare Zustände ausbrechen, hat der Kapitalismus neben der Konsumgesellschaft eine großzügige (dennoch repressive) menschelnde Toleranz entwickelt - das war nicht einmal dezidierte Absicht des Establishments, es hat sich einfach so ereignet.

Abgefuckt, mit Menschenwürde

Diese menschelnde "Toleranz" lässt sich jeden Tag in den Straßen der Großstädte erleben, in denen sich Menschen kaum mehr, wie früher, öffentlich halbwegs herzeigbar gekleidet und gesittet bewegen, sondern ungewaschen, in schlabbriger Heimbekleidung und abgeschottet von den anderen, mit Kopfhörern isoliert, gegebenenfalls mit einer Flasche in der Hand umhertrotten, ungeniert ins Mobiltelefon lärmen, ruppig, ohne auszuweichen, sich ihren Weg bahnen. Gehsteige zumüllen und Hauswände bepissen. Höfliches Platz machen ist selten geworden, Radfahrer verscheuchen Fußgänger, ganz so, wie sie es brauchen; sich Sicherheit von anderen Passanten oder der Polizei zu erwarten, ist eine Illusion.

Die Grenzen zwischen öffentlich (wo man sich einmal von seiner guten Seite zeigte) und privat haben sich weitgehend aufgelöst, ehemals klare Rollen von Geschlechtern, Eltern, Freunden sind diffus, persönliche Lebensziele fragil und die Verständnisse von Welt fraglich geworden. Nunmehr gilt neoliberal eine kulturelle Toleranz im Hinblick auf sexuelle Devianzen früheren Verständnisses und große Freizügigkeit gegenüber Political-Correctness-Firlefanz und ähnlichen, für die Wirtschaft harmlosen Flausen.

Alte Arbeitswelt

Allerdings, keinerlei Toleranz kennt der Spätkapitalismus bei der Zurichtung des Einzelnen für die Erfordernisse der Produktion. Hier, in der Arbeitswelt, haben die Individuen mit ihrer rhetorisch hübsch ausgepolsterten Menschenwürde nach wie vor einfach nur als Automaten und Lohnsklaven zu funktionieren, zum Drüberstreuen spendiert die Personalabteilung (heute: Human Ressources) etwas Diversity.

Und da spuren sie alle, so widerständig und individualistisch sie sich in den sozialen Netzwerken ansonsten aufführen mögen. Selbst noch so monströse Einkommensunterschiede und Ungerechtigkeiten werden im Berufsleben achselzuckend akzeptiert, ausgenommen die alte Urban Legend vom Gender-Pay-Gap.

Gemeinschaft, Solidarität - das funktioniert nicht mehr

Von der Konsumgesellschaft einerseits, wo Menschen nahezu alles dürfen, sofern das Geld reicht, und der Arbeitsgesellschaft andererseits, wo sie wie Soldaten spuren müssen, sind wir jeweils konträr domestiziert, das akzeptieren wir. Kommunikationsgeräteabhängige und nach Unterhaltung süchtige Leute, die meinen, sie wären alle und jeder für sich, einzigartige Individualisten. Sie sind nicht mehr zu ernsthaftem Widerstand in der Lage, lassen aber in den erlaubten Einhegungszonen gerne die Sau raus.

Menschen wurden mit wirtschaftlicher Logik abgerichtet, die sie gesellschaftlich befolgen und die intensiv eingeprägt ist: wo immer das möglich ist, auf den eigenen Nutzen schauen und dabei allen anderen das gleiche Grundmotiv unterstellen. In so einer Tauschgesellschaft ist Gemeinschaft wohl nur sehr eingeschränkt möglich, allenfalls geht das als Gemeinschafts-Schauspiel durch. Solidarität wird, wie die entrückte Liebe oder der universale Weltfrieden, zur schönen, romantischen Idee.

Um welche Gerechtigkeit geht es?

Wenn es schon mit der Gemeinschaft heute nicht mehr weit her ist, wie sieht das dann mit der Idee der Gerechtigkeit aus, die vielen Menschen, unabhängig ob multikulturell-modern oder traditionalistisch-konservativ gestimmt, wichtig ist? Gerechte Gruppen gibt es nicht, das funktioniert schon in Familien nicht wirklich. Jeder, der zwei oder mehr Kinder hat, weiß das aus eigener Erfahrung, selbst ein Einzelkind, obschon ohne familiäre Vergleichsmaßstäbe, fühlt sich mitunter ungerecht behandelt.

Eine universale Gerechtigkeit, oder sagen wir versuchsweise: Gleichheit wird es innerhalb unserer Spezies nicht geben. Menschen sind biologisch/genetisch, dann durch ihre unterschiedliche Erziehung und ihre gänzlich andersartigen persönlichen Erfahrungen, aus diesen drei existentiellen Gründen, ungleiche Wesen. Ändern ließe sich das nur durch das Eliminieren der konventionellen und Klonen einer neuen Menschenart. Mildere Formen, wie etwa die Aufzucht aller Menschen, vom Säugling bis zum Jugendlichen, in gleich ausgestatteten und geführten Anstalten - heimlicher Traum der früheren Sozialisten und der heutigen Inklusionspädagogen - würde das schon gar nicht bewerkstelligen können.

Viele, viele Ungleichheiten

Nur für Chancengleichheit der Menschen und gleiche Rechte für alle zu sorgen, wie es erklärtes Ziel der Sozialstaaten mittel- und nordeuropäischer Provenienz ist, reicht für eine umfassende Gerechtigkeit und Gleichheit bei weitem nicht. Denn, intelligentere Menschen (Ursachen: Biologie und familiäre Sozialisation) haben einfach ein wesentlich höheres Chancenpotential in unserer Wettbewerbsgesellschaft. Menschen mit einem schöneren äußerlichen Erscheinungsbild (Ursachen: Biologie, elterlicher Lebensstandard) haben wesentlich höhere Chancen in unserer werblich durch und durch geprägten Welt. Krankheitsanfälligere Menschen (Ursachen: Biologie und Elternhaus) haben von vornherein mehr Leid zu ertragen und Nachteile, was Bildung, Beruf und Sozialleben anlangt.

Weniger intelligente, weniger schöne, krankheitsanfälligere und ärmere Menschen sind damit in vielerlei Hinsicht krass benachteiligt. Reicht es für die soziale Gerechtigkeit, wenn sie das gleiche Wahlrecht haben und Lehrer, Richter wie Polizei angehalten werden, nicht nach äußerem Erscheinungsbild zu urteilen (obschon diese unbewusst das dennoch tun)?

Den Lesern ist sicher schon aufgefallen, dass mit diesen Ausführungen auf soziale Differenzierungen innerhalb der weißen Rasse abgestellt und die Geschlechts- und Ethnien-Probleme der argumentativen Einfachheit halber erst gar nicht angeschnitten wurden. Überdies, gegenüber diesen Ungerechtigkeiten in Hinblick auf Intelligenz, Schönheit und Krankheitsanfälligkeit sind verbale Genderfragen, Binnen-I und anderes mehr, bloß kleinlicher, systemisch erlaubter Kinderkram.

Lösungen? Keine!

Eine Lösung dieser erwähnten gravierenden Ungleichheiten, wenn man es empirisch benennen will - oder Ungerechtigkeiten, wenn es moralisch kostümiert werden soll, ist schwierig. Technisch wären medizinische Lösungen denkbar, etwa bei weniger schönen Menschen: Schönheitsoperationen durch die nationale Solidargemeinschaft bezahlt, was die schönere Hälfte wahrscheinlich nicht so gut finden würde.

Natürlich wäre es auch umgekehrt denkbar, nämlich schöne Menschen ein bisschen entstellen, was den weniger Schönen vermutlich (heimlich) gefallen könnte, Menschen sind ja durchaus mies, wenn man sie lässt. Was aber zu Recht einen echten Faschismusvorwurf hervorriefe. Auf Intelligenz und andere Dinge soll jetzt gar nicht näher eingegangen werden, das Dilemma liegt grundsätzlich klar auf dem Tisch.

Noch kleinteiliger

Man kann es mit Gerechtigkeit und Gleichheit noch kleinteiliger und alltäglicher treiben. Was ist gerechter in einer Familie mit zwei kleinen Kindern: Wenn von einer Torte alle vier ein gleich großes Stück kriegen oder die zwei Kinder jeweils ein kleineres als die Eltern?

"Equity" oder "Equality", um zwei unterschiedliche Teilungsregeln eines anderen Sprachhorizonts anzusprechen? Auch so gescheite Menschen wie Amartya Sen (Die Idee der Gerechtigkeit) wissen in ihren belesenen und langatmigen Darstellungen, was Gerechtigkeit sein könnte, keine wirklich sinnvolle und eingängige Antwort darauf.

Auch die aktionistisch veranlagten Hipster oder SJWs (Social Justice Warriors, also Krieger für soziale Gerechtigkeit, was ziemlich kindisch klingt) wissen darauf keine Antwort und darum interessieren sie sich erst gar nicht dafür. Soziale Gerechtigkeit oder Gleichheit, das ist wohl ebenso eine Illusion, wie die der menschlichen Solidarität. Um den dritten Sachverhalt (Liberté, Égalité, Fraternité) der französischen Revolution 1789 noch etwas und sarkastisch müde anzusprechen: Ja, Freiheit haben wir, als Konsumfreiheit, nach 230 Jahren erreicht.

Gerechtigkeit - aus der Perspektive der Betroffenen

Es ist eine merkwürdige Angelegenheit. Heute will die Mehrheit - nicht vergessen: wir leben noch in Demokratien - bei den Einkommen eine leistungsbezogene Gerechtigkeit. Man kann das aus einer realiter praktisch nicht mehr existierenden linken Sicht als "Verblendungszusammenhang" sehen oder es quasi rechts-perspektivisch tragödienhaft zur Kenntnis nehmen. Soziale Gerechtigkeit wird mehrheitlich als leistungsgerechte Bezahlung gesehen. Gegebenenfalls sollten die Unterschiede etwas geringer sein.

Eine aktuelle österreichische Erhebung ergibt, 87 Prozent votieren dafür, dass "jeder verdient, was seiner Leistung entspricht" (IMAS). In Deutschland ist es etwas verschwurbelter, die offenbar im klassischen Sinn linken Anhänger der Parteien "Die Linke" und der "AfD" finden diese Gesellschaft als ungerecht, für sie ist Deutschland mehrheitlich ein ungerechtes Land (persönliche Registrierung erforderlich, um Zugang zu den Studienergebnissen zu erhalten). Aber immerhin 53 Prozent meinen, wer mehr leistet, verdiene auch mehr.

Beide erwähnten Studien sind interessant, aber inhaltlich schwach: Auf Hintergründe wird nicht eingegangen. Andererseits interessiert das auch niemanden mehr, schon gar nicht die Auftraggeber.

Und ein kleiner Nachtrag zur Erinnerung

Eine andere Studie: 21 Prozent der deutschen Kinder leben dauerhaft in Armut, dennoch blicken die Deutschen - mehr als die Hälfte hält sich übrigens für links (?) - weitaus optimistischer in Gegenwart und Zukunft als andere Europäer. Nun, wir leben tatsächlich in einer wirklich braven, neuen und vor allem ziemlich anspruchslosen Welt, - sie begnügt sich mit dem Bestehenden.