Leben muss sich ausbreiten

Der Weltraumkünstler Arthur Woods über die kulturelle Bedeutung der Raumfahrt

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Man könnte sagen, sein Atelier ist das Universum: Denn die Arbeit von Arthur Woods dreht sich fast ausschließlich ums Weltall. Der in der Nähe von Zürich lebende Schweiz-Amerikaner entwarf zum Beispiel die erste, für die Schwerelosigkeit konzipierte Skulptur und schaffte es auch, sie auf der Raumstation Mir auszustellen. Nun ruht dieser "Cosmic Dancer" zusammen mit den Überresten der Mir auf dem Boden des Pazifik, aber davon lässt sich Woods nicht entmutigen. Obwohl die Aussichten für ähnliche Arbeiten auf der Internationalen Raumstation (ISS) derzeit eher düster sind, setzt er sich weiter für ein Raumfahrtprogramm ein, das seiner kulturellen Bedeutung gerecht wird.

Arthur Woods

Herr Woods, wie sind Ihre persönlichen Erinnerungen an den Beginn des Weltraumzeitalters?

Arthur Woods: Ich war noch sehr jung, als meine Familie nach Florida zog. Mein Vater hatte zuvor beim Militär gearbeitet und war mit der Herstellung von flüssigem Sauerstoff für die Restone-Rakete beschäftigt gewesen. Von dem neuen Raumfahrtzentrum in Florida erhoffte er sich neue Möglichkeiten und bekam auch tatsächlich einen Job in Cape Canaveral. Damals, als das Raumfahrtprogramm begann, war ich ungefähr elf Jahre alt. Ständig fanden Raketenstarts statt und ich habe fast alle gesehen. Wir lebten nur etwa 10 bis 15 Kilometer entfernt und jedes Mal, wenn wieder das Getöse eines Starts zu hören war, kamen alle aus ihren Häusern, um zu sehen, ob es klappen würde oder nicht. Für mich als jungen Menschen war das sehr aufregend. Auf diese Weise habe ich die Starts des Mercury- und Gemini-Programms miterlebt. Als dann das Apollo-Programm beschlossen wurde, wuchs die Bevölkerung innerhalb von ein oder zwei Jahren von 5.000 auf 50.000 Personen und der nördliche Teil der Merritt-Halbinsel, der bis dahin hauptsächlich aus Alligatoren und Orangenbäumen bestanden hatte, wurde zum Kennedy Space Center. Jeder, der dort lebte, hatte mit dem Raumfahrtprogramm zu tun. Alles war sehr stark auf das Ziel konzentriert, zum Mond zu gelangen.

Was ist für Sie die größte Errungenschaft von Apollo?

Arthur Woods: Ich denke, Apollo ist sehr fest verwurzelt im gesellschaftlichen Bewusstsein als die bedeutendste technologische, kooperative Anstrengung, die je unternommen wurde. Genauso wichtig ist es, dass Menschen zum ersten Mal in der Geschichte ihren Fuß auf einen anderen Himmelskörper setzten. Obwohl wir das seitdem nicht wiederholt haben, ist es ein wichtiger Teil der Raumfahrt-Vision geblieben.

Für viele Menschen war Apollo auch eine ästhetische Erfahrung, in erster Linie wegen der schönen Bilder der Erde. Könnten Sie versuchen, diese eher kulturellen Implikationen gegenüber den technologischen und wissenschaftlichen zu gewichten?

Arthur Woods: Die wichtigste kulturelle Bedeutung ist dies: Es wurde ein Ziel gesetzt und es musste eine gewaltige Menge an Ressourcen und Menschen zusammenkommen, um es zu realisieren. Ich erinnere mich, dass wirklich Jeder hinter der Vision stand. Apollo zeigt, dass Menschen auch ehrgeizige Ziele erreichen können, wenn sie es wirklich wollen. Das betrifft nicht nur den Bau der erforderlichen Technologie, sondern auch die Schaffung der entsprechenden sozialen Strukturen.

Würden Sie die Fußabdrücke auf dem Mond als Kunstwerk bezeichnen?

Arthur Woods: Sie sind auf jeden Fall eine sehr bedeutende Erscheinung. Aber ein Kunstwerk? Wenn Sie sie nutzen, um etwas von dieser Erfahrung auszudrücken, vielleicht. Aber dann könnten Sie auch das gesamte Apollo-Programm als Kunstwerk bezeichnen. Selbst die Angriffe auf das World Trade Center sind ja als Kunstwerk bezeichnet worden. In beiden Fällen fand eine sehr bemerkenswerte, kollektive Erfahrung statt.

Raumfahrtagenturen verteidigen ihre Budgets zumeist, indem sie auf die wissenschaftliche, technologische und kommerzielle Bedeutung ihrer Aktivitäten verweisen. In der breiteren Öffentlichkeit scheint der Weltraum aber vor allem wegen seiner Schönheit wahrgenommen zu werden, wie sie etwa in Aufnahmen des Hubble Space Telescopes oder in Bildern von Fernerkundungssatelliten zum Ausdruck kommt.

Arthur Woods: Hinsichtlich der Einschätzung unseres Platzes im Universum hat das Raumfahrtprogramm unsere Wahrnehmung ganz klar geändert. Eines der wichtigsten Ergebnisse von Apollo war das Bild der Erdkugel. Es war das erste Mal, dass wir unseren Planeten aus der Weltraumperspektive vor der Schwärze des Universums sahen. Viele Ideen gingen daraus hervor, Ideen der Ganzheitlichkeit, unserer wechselseitigen Abhängigkeit voneinander, die Idee des Raumschiffs Erde. Der Einfluss auf die Psychologie und sogar auf politische Ideologien war gewaltig. Und dieser Einfluss wird weiterhin ausgeübt, wenn wir in die entferntesten Bereiche des Universums blicken und diese großartigen und manchmal provozierenden Bilder produzieren.

Eine Aufgabe der Kunst, so könnte man sagen, ist es, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Genau das tun aber auch Weltraumobservatorien oder Fernerkundungssatelliten, wenn sie die Erde und den Weltraum aus neuen Perspektiven und in Spektralbereichen zeigen, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Ist es reiner Zufall, dass diese Bilder oft an abstrakte Kunst erinnern?

Arthur Woods: Wahrscheinlich nicht. Genau wie Künstler auf der Suche nach Sinn, greifen auch Wissenschaftler auf abstrakte Methoden zurück. Eine Fernerkundungsaufnahme der Erde wirkt wie ein abstraktes Bild, ist aber gleichzeitig auch eine sehr realistische Wiedergabe. Diese künstlerischen und wissenschaftlichen Konzepte arbeiten sehr eng zusammen und beeinflussen sich wechselseitig.

Aber wie bewusst geschieht das? Satellitenaufnahmen der Erde werden produziert, um beispielsweise die Verteilung bestimmter Moleküle in der Atmosphäre zu zeigen. Die Schönheit dieser Bilder erscheint meistens als bloßes Nebenprodukt.

Arthur Woods: Meiner Ansicht nach, sind Bilder der Natur natürlicherweise schön, seien es Bäume, Sonnenuntergänge, Sterne oder Galaxien. Was die Erde aus der Weltraumperspektive gesehen besonders schön macht, ist die Tatsache, dass wir Leben sehen. Wir schauen auf einen lebenden Planeten mit all seinen Farben und Formen. Aber um noch einmal auf die abstrakte Kunst zurückzukommen: Schauen Sie sich die abstrakten Expressionisten der fünfziger Jahre an, wie etwa den amerikanischen Künstler Morris Louis. Er hat diese großen Leinwände mit einigen Farbstrichen an den Seiten gemacht und das Zentrum leer gelassen. Das war ein Versuch, die Unendlichkeit oder zumindest die Weite oder Leere des Weltraums zu erkunden. Damit war er Teil seiner Zeit. Während er die Methoden der Kunst nutzte, nutzten andere die Werkzeuge der Technologie, um der Unendlichkeit näher zu kommen. Was Künstler, Wissenschaftler und Menschen ganz allgemein erforschen, hat oft mit dem Zeitgeist zu tun. Jede Epoche hat ihre eigene Sprache der Kunst. Gegenwärtig leben wir mit digitalen Medien, über die Kunst, Wissenschaft und Technologie sehr eng miteinander verbunden sind.

Mir scheint, als würden Künstler nicht den Einfluss auf das Raumfahrtprogramm ausüben, der ihnen angesichts der ästhetischen Bedeutung des Weltraums eigentlich zukommt.

Arthur Woods: Tatsächlich hat es immer eine sehr enge Beziehung zwischen Künstlern und Wissenschaftlern gegeben, insbesondere im Bereich der Weltraumforschung. Das beginnt schon mit den ersten Astronomen, die das, was sie durch ihre Teleskope sahen, zeichneten. Sie nutzten ein künstlerisches Medium, um zu erklären, was sie sahen. Auf der anderen Seite haben Künstler schon von Weltraumflügen und Reisen zum Mond geträumt, lange bevor Wissenschaftler und Ingenieure dazustießen. In gewisser Weise haben Künstler das Raumfahrtprogramm überhaupt erst erfunden.

Arthur Woods

Bilder vom Weltraum wurden schon im 15. Jahrhundert gemalt. Denken Sie an Jules Verne und die Illustrationen seiner Bücher in den 1860er Jahren. Künstler wie James Nasmyth, Lucien Rudaux und später Chesley Bonestell zeichneten Illustrationen für wissenschaftliche Bücher und entwarf Mondlandschaften, lange bevor wir wussten, wie es dort wirklich aussieht. Seit Beginn des Raumfahrtprogramms haben Künstler sehr eng mit Wissenschaftlern und Technikern zusammengearbeitet und ihnen geholfen, ihre Ideen zu visualisieren. Auch Filme wie "2001: Odyssee im Weltraum", "Unheimliche Begegnung der dritten Art", "Star Trek" oder "Star Wars" haben viel dazu beigetragen, die Idee der Raumfahrt zu popularisieren und das Raumfahrtprogramm zu unterstützen. Viele Raumfahrtingenieure und Wissenschaftler wurden durch die Lektüre von Science-Fiction-Romanen oder den Besuch von Science-Fiction-Filmen zu ihren beruflichen Karrieren inspiriert.

Diese Beziehung zwischen Science Fiction und realer Wissenschaft wollen Sie selbst mit einem aktuellen Projekt stärken?

Arthur Woods: Ja, die Idee dazu entstand bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Viele Ideen in der Science Fiction basieren auf einer sehr soliden Kenntnis der Technologie und Wissenschaft und könnten praktische Bedeutung haben, wenn man sie weiterentwickelt. Daher hat die ESA uns, meine OURS Foundation und das Maison d'Ailleurs in Yverdon-les-Bains, das über eine der größten Science-Fiction-Sammlungen der Welt verfügt, damit beauftragt, die Science Fiction nach innovativen Technologien zu durchsuchen, die ein Anwendungspotenzial in der Raumfahrt haben könnten. Wir arbeiten jetzt seit eineinhalb Jahren daran, nehmen Kontakt zu Experten auf, diskutieren Ideen. Die ESA hat eine Broschüre mit unseren Ergebnissen produziert und ist gerade mit einer neuen Website online gegangen. Sie soll zu einer permanenten Forschungsstätte werden, wo Menschen Informationen weitergeben können, die sie in Büchern oder Bildern gefunden haben. Die ESA hat bereits zwei oder drei Technologien identifiziert, mit deren weiterer Erforschung sie möglicherweise Universitäten beauftragen werden.

Weltraumforschung und Raumfahrt werden zumeist als wissenschaftlich-technische Aktivitäten wahrgenommen, die auch kulturelle Aspekte haben. Man könnte sie aber auch als in erster Linie kulturelle Aktivitäten ansehen, die mithilfe der Technik realisiert werden. Welche Sichtweise würden Sie bevorzugen?

Diese Unterscheidung ist sehr schwer. Ich denke, dass der Versuch, diesen Planeten zu verlassen, in der Geschichte unserer Gattung ein kulturell sehr bedeutendes Ereignis ist. Schon seit recht langer Zeit haben die Menschen diese Vision, dass der Weltraum Teil unserer Zukunft ist. Angesichts des Bevölkerungswachstums und der Ausbeutung der Rohstoffreserven sehe ich persönlich den Weltraum und die Nutzung seiner Ressourcen, wie Energie, Mineralien, Metalle und so weiter, als die einzige, optimistische Perspektive, die Erfordernisse der Zukunft zu bewältigen. Ohne diese Entwicklung könnten wir das Ende unserer Zivilisation noch in diesem Jahrhundert erleben.

Würden Sie sagen, die Menschheit muss sich teilen, wie eine Bienenkolonie, die zu groß geworden ist?

Arthur Woods: Wenn die Menschheit als blühende Spezies überleben soll, muss sie in den Weltraum aufbrechen. Auf diesem Planeten wird sie es nicht schaffen, sofern nicht 90 Prozent der Menschen verschwinden - was höchstwahrscheinlich auf eine sehr hässliche Weise passieren wird. Aber wenn wir eine blühende, kreative, wachsende und abenteuerlustige Spezies bleiben wollen, dann halte ich die menschliche Expansion über den Heimatplaneten hinaus für die einzige optimistische Option. Es mag allerdings noch einen anderen Aspekt geben, der hier eine Rolle spielt und von dem die Menschheit ein Teil ist: Das ist die Idee, dass die Erde einen Punkt erreicht haben könnte, an dem sie das Leben weiter verbreiten möchte. Denn Leben ist zu verletzlich, um für immer an einem Platz zu bleiben. Um zu überleben, muss es sich ausbreiten. Vielleicht ist genau das unsere Aufgabe im größeren Zusammenhang der Evolution - die Samen des Lebens auf andere Planeten zu streuen.