Lebensmittel werden aus den verschiedensten Gründen verschwendet …

Nein, das ist kein Schimmel, das ist der erste Ansatz der Essigmutter; Mit Rosen- und Ringelblumenblüten gefärbter selbst gefertigter Apfelessig; Beim Kornellkirschensaft hat sich bereits eine üppige Essigmutter gebildet; Milchsauer eingelegtes Gemüse samt der typischen "Weißschicht". Bilder: Twister

… ebenso vielfältig sind die Methoden, mit denen sich das vermeiden lässt

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Bereit seit Jahren wird das Thema Lebensmittelverschwendung in den Medien aufgegriffen. Dabei wird oft suggeriert, dass der Großteil der Lebensmittel beim Verbraucher selbst verschwendet wird, doch das Problem beginnt bereits früher und geht dann auf vielen Ebenen weiter. In den letzten Jahren wird versucht, auf jeder dieser Ebenen gegenzusteuern.

"Nose to Tail" oder "Nicht nur Filet"

In der US-amerikanischen Serie Eureka werden die Bewohner der gleichnamigen Stadt in Folge 20 von einer Krankheit heimgesucht, die sie schlagartig "verdummen" lässt. Letztendlich entpuppt sich die hiesige Hühnerfarm als für die plötzliche Dummheit verantwortlich. Dort wird nämlich, anders als in bisherigen Hühnerfarmen, (bis auf einen Hahn) kein Federvieh mehr gehalten, sondern lediglich geklont und mittels besonderem Licht und spezieller Nährstofflösungen keine Tiere, sondern nur noch die "leckeren und erwünschten" Brustfilets hergestellt.

Was satirisch daherkommt, hat einen ernsten Hintergrund. Während vor etlicher Zeit ein Tier noch zu einem großen Teil verwertet (beziehungsweise gegessen) wurde, hat sich der Bedarf heute auf einige Teile verlagert. Die Filetstücke z. B. stoßen auf große Nachfrage, während die als weniger attraktiv empfundenen Teile größtenteils in der Tierfutterzubereitung landen.

Gerade Innereien, Hirn, Hälse oder Füße werden als unappetitlich bis ekelerregend empfunden und vom Verbraucher weitgehend gemieden. Viele Rezepte gerieten so in Vergessenheit. Damit einhergehend verschwand auch das Wissen um so manche Eigenschaft dieser Tierbestandteile. Exemplarisch sei hier einmal die Schweinsfußsülze genannt, die ganz ohne zusätzliche Gabe von Gelatine auskommt, was für viele fast schon wie ein Kochwunder wirkt. Das Wissen, woraus Gelatine hergestellt wird (und woher ihre bindenden Eigenschaften kommen) ist nämlich oft nicht mehr vorhanden.

Die "Nose-to-Tail"-Bewegung, die sich am gleichnamigen Buch des Briten Fergus Henderson orientiert, versucht nun, dieser Entwicklung entgegenzusteuern und möglichst viel vom Tier zu verwerten. Nicht nur vom Tier, muss hier angemerkt werden, denn im Buch finden sich auch Rezepte, die Herrn Hendersons Ansicht in Bezug auf Vollverwertung auch im Bereich der pflanzlichen Ernährung widerspiegeln, wie beispielsweise das folgende. Das Radieschengrün, das normalerweise direkt im Biomüll landet, wird hier als Grundlage für einen Salat genutzt:

Ein daumengroßes Stück Butter mit dem Messer auf das Radieschen streichen, salzen, dann essen. Das übrig gebliebene Grün in eine Schüssel geben und dieses, nachdem die Radieschen verzehrt sind, mit der Vinaigrette anmachen und als wunderbar pfeffrigen Salat verzehren.

Doch zurück zum Tier - das Schwein, das bei Hendersons Rezeptbuch im Vordergrund steht, wird von ihm (abgesehen von den Borsten) fast komplett verwertet: Hirn, Inneren, Kopf samt Rüssel, Schwanz, Füße ... alles wird kulinarisch aufbereitet und auf diese Weise entdeckt man nicht nur traditionelle Rezepte wie Schweinskopfsülze, Nierenpudding oder gefüllte Schweinsfüße wieder, auch die Lust am Selbermachen von Grammeln (Grieben) oder Blutwurst steigt.

Die hohe Kunst der Essigzubereitung oder: Jaja, Deine Mutter

Nicht nur in Bezug auf Fleisch wird umgedacht. Auch Lebensmittel, die vor etlicher Zeit noch gedankenlos in den Abfall wanderten, finden nicht nur bei Menschen mit wenig Geld Verwendung. Trockenes Brot wird zu Brotsuppe und zu Klößen, lascher Salat wandert als Spinatersatz zum Spiegelei, selbst hohler Knoblauch wird noch ausgekocht genutzt.

Was oft einseitig als "wie nach dem Weltkrieg" kritisiert wird, zeigt auch eine bewusstere Form des Umganges mit Lebensmitteln - dies muss nicht, wie "nach dem Weltkrieg" auf das Auskochen von Kartoffelschalen hinauslaufen (und soll es auch nicht). Den eigenen Biomüll zu reduzieren, um zu schauen, was ggf. noch verwertbar ist und nur aus Bequemlichkeit weggeworfen werden würde, ist jedoch keineswegs verwerflich.

Hagebutten, Hopfen und eingelegte Löwenzahn- und Kapuzinerkressekapern; In Essig eingelegte Schnitltlauchblüten – der Essig beginnt mit einer dunkellika Farbe und wird dann fast milchig-braun, sein Geschmack ist so intensiv, dass bei seiner Verwendung die Zwiebeln im Salatdressing entfallen; Tiefschwarzer Likör aus grünen Walnüssen; Kornellkirschen (oder Dirndln) in Salzwasser eingelegt – u.a. Grundzutat für eine ungewöhnliche Würzsauce). Bilder: Twister

Der Saft aus Fruchtkonserven kann beispielsweise genauso wie Fallobst zu Obstsaft und Obstessig transformiert werden. Aufgrund mangelnden Wissens landet jedoch so mancher Essigversuch ob seiner dicken "Schimmelschicht" im Müll, obwohl sich hinter dem bizarren Gebilde in Wirklichkeit der Beginn einer sogenannten Essigmutter verbirgt, die nicht nur für den aktuellen Essigversuch, sondern auch für weitere Essigansätze durchaus positiv bewertet werden sollte:

Eine Essigmutter […] ist eine gallertartige, oder anders gesagt eine Fäden ziehende Masse aus Essigsäurebakterien (Acetobacteriaceae). Diese kann sich bilden, wenn Wein oder andere leicht alkoholhaltige Flüssigkeiten längere Zeit offen stehen bleiben. Die Essigmutter fermentiert Alkohol mit Hilfe von Sauerstoff aus der Luft zu Essigsäure. Eine Essigmutter ist vollkommen harmlos und kann bedenkenlos mitverzehrt werden. In der traditionellen Essigherstellung wird die Essigmutter verwendet, um die alkoholhaltige Ausgangssubstanzen (Wein, kein Dessertwein) zu "impfen" und so die Essigsäuregärung zu beschleunigen.

Bei uns wächst nur Unkraut

Menschen, die einen Garten besitzen, können längst vergessene Wildkräuter entdecken, die jahrzehntelang nur als Unkräuter bekämpft wurden, in Wirklichkeit aber nicht nur essbar, sondern auch schmackhaft sind. Vogelmiere, Löwenzahn, Gundermann, Brennnessel und selbst der so unbeliebte Giersch (der dem Spinat nicht wirklich unterlegen ist, was die Vitamine angeht) finden so wieder ihren Weg in die Küche und erhöhen die Rezeptvielfalt.

Durch Regen aufgeplatzte Kirschtomaten werden in Wodka eingelegt zur Delikatesse. Bild: Twister

Auch "Großmutters Ideen" lohnen es, wenn sie wieder aus dem Nachttisch gekramt werden: So lässt sich beispielsweise die Kornellkirsche nicht nur zur Saft- und Marmeladengewinnung nutzen: Ihre Früchte können, in Salzwasser eingelegt, geschmacklich durchaus mit Oliven mithalten und Knospen von Löwenzahn und Kapuzinerkresse stellen eine adäquate Alternative zu Kapern dar.

Runde Gurken, Herzkartoffeln und Co.

Selbst die, die keinen Garten besitzen und sich wenig für größtmögliche Verwertung von Lebensmitteln interessieren, bemerken, dass sich etwas ändert. So bieten einige Supermärkte neuerdings Gemüse an, das es normalerweise dank eines suboptimalen Aussehens nicht in die Auslagen schaffen würde, obgleich es qualitativ dem bisher erhältlichen entspricht: Krumme Salatgurken, runde Feldgurken, herzförmige, zu große oder zu kleine Kartoffeln oder Möhren sollen zunächst testweise angeboten werden, um die Käufernachfrage zu wecken und so auch dafür sorgen, dass die Lebensmittelverschwendung bereits am Anfang verringert wird - nämlich beim Produzenten, der solcherlei Gemüse oft wegen mangelnder Nachfrage bereits im Vorfeld aussortierte.

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