Lehrstück Philippinen: Warum Linke verlieren und Diktatoren siegen

Der Machtwechsel zurück zum Marcos-Duterte-Clan zeigt auch die Schwächen der Linken in den Philippinen. Bild: Joey O. Razon

Der Sohn eines verhassten Diktators siegt bei den philippinischen Wahlen. Das Scheitern des Liberalismus hat den Autoratismus populär gemacht. Doch die unvermeidlichen Krisen des Marcos-Duterte-Regimes bieten Chancen für eine progressive Organisierung.

Walden Bello (geb. 1945 in Manila) ist ein philippinischer Soziologe und Politiker. Er ist Professor an der Universität der Philippinen und ein Globalisierungskritiker. Bello erhielt 2003 den sogenannten Right Livelihood Award, besser bekannt als alternativer Nobelpreis.

Als progressiver Aktivist bin ich bestürzt über die erdrutschartige Wahl von Ferdinand Marcos Junior, dem Sohn des ehemaligen Diktators, bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen. Aber als Soziologe kann ich die Gründe dafür verstehen.

Ich spreche nicht von der beabsichtigten oder unbeabsichtigten Fehlfunktion von mehr als 1.000 Wahlmaschinen. Ich spiele nicht auf die massive Freigabe von Milliarden von Pesos für den Stimmenkauf an, die die Wahlen 2022 zu einer der schmutzigsten der letzten Jahre machten. Ich denke auch nicht an die jahrzehntelange Online-Desinformationskampagne, die die Alptraumjahre des Kriegsrechts während der Herrschaft des älteren Marcos in ein "goldenes Zeitalter" verwandelt hat.

Zweifellos hat jeder dieser Faktoren eine Rolle bei dem Wahlergebnis gespielt. Aber 31 Millionen Stimmen mehr - 59 Prozent der Wählerschaft - sind einfach zu viel, als dass man sie ihnen allein zuschreiben könnte.

Die Wahrheit ist, dass der Sieg von Marcos weitgehend ein demokratisches Ergebnis im engeren Wahlsinne war. Die Herausforderung für Progressive besteht darin, zu verstehen, warum eine überwältigende Mehrheit der philippinischen Wähler dafür stimmte, eine räuberische Familie nach 36 Jahren wieder an die Macht zu bringen.

Wie konnte die Demokratie ein solch eigenwilliges Ergebnis hervorbringen?

Autoritarismus ist populär

Egal wie ausgeklügelt die Internetkampagne war, sie hätte wenig Wirkung gezeigt, wenn es nicht bereits ein aufnahmefähiges Publikum dafür gegeben hätte.

Zwar fand die revisionistische Botschaft von Marcos auch in der Mittel- und Oberschicht Unterstützung, doch in absoluten Zahlen bestand diese Gruppe überwiegend aus der Arbeiterklasse. Es handelte sich auch weitgehend um ein jugendliches Publikum, von dem mehr als die Hälfte entweder während der späten Phase des Kriegsrechts noch Kinder waren oder nach dem Aufstand von 1986 geboren wurden, der Marcos stürzte - besser bekannt als die "EDSA-Revolution" (gewaltlose Bürgerprotestbewegung auf den Philippinen, Telepolis).

Diese gesellschaftliche Gruppe hat keine direkten Erfahrungen mit den Marcos-Jahren. Was sie jedoch persönlich erlebten, war die Kluft zwischen der extravaganten Rhetorik der demokratischen Wiederbelebung, einer gerechten sowie egalitären Zukunft des EDSA-Aufstands und der harten Realität der anhaltenden Ungleichheit, Armut und Frustration der letzten 36 Jahre.

Diese Kluft kann als "Heuchelei-Kluft" bezeichnet werden, die jedes Jahr, in dem das EDSA-Establishment den Aufstand am 25. Februar feierte oder die Verhängung des Kriegsrechts am 21. September betrauerte, zu immer größerem Unmut führte. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kann die Marcos-Wahl vor allem als Protestwahl interpretiert werden, die bei den Wahlen 2016, die Rodrigo Duterte zur Präsidentschaft verhalfen, erstmals auf dramatische Weise zum Vorschein kam.

Auch wenn die Motivation wahrscheinlich unausgegoren und diffus gewesen sind, die Wahl für Duterte und das noch größere Votum für Marcos wurden von einem weit verbreiteten Unmut über die anhaltende Ungleichheit in einem Land angetrieben, in dem weniger als fünf Prozent der Bevölkerung über 50 Prozent des Reichtums besitzen. Es war ein Protest gegen die extreme Armut, in der 25 Prozent der Menschen leben, und gegen die Armut im weitesten Sinne, die etwa 40 Prozent der Menschen in ihren Fängen hält.

Die Fehler der Linken und die Trollmaschinerie der Marcos-Anhänger

Es war ein Protest

- gegen den Verlust von menschenwürdigen Arbeitsplätzen und Lebensgrundlagen aufgrund der Zerstörung unseres Produktionssektors und unserer Landwirtschaft durch eine Politik, die uns von der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation und den Vereinigten Staaten aufgezwungen wurde.

- gegen die Verzweiflung und den Zynismus einer arbeitenden Jugend, die in einer Gesellschaft aufwächst, in der die einzige Möglichkeit, einen anständigen Job zu bekommen, der es einem ermöglicht, im Leben weiterzukommen, darin besteht, ins Ausland zu gehen.

- gegen die täglichen Angriffe auf das Selbstwertgefühl durch ein miserables öffentliches Verkehrssystem in einem Land, in dem 95 Prozent der Bevölkerung kein Auto besitzen.

Es sind die Lebensumstände, die die meisten Wähler:innen aus der Arbeiterklasse direkt erlebt haben, nicht die Schrecken der Marcos-Zeit. Ihr persönlicher Groll machte sie empfänglich für die verführerischen Appelle einer Rückkehr zu einem fiktiven "Goldenen Zeitalter".

Bei den Präsidentschaftswahlen richtete sich die ganze Wucht dieses Ressentiments gegen den EDSA-Status-Quo auf Marcos' Hauptgegnerin, Vizepräsidentin Leni Robredo. Zu Unrecht, denn sie ist eine Frau von großer persönlicher Integrität.

Das Problem ist, dass Robredo in den Augen der Marginalisierten und der Armen, die Marcos gewählt haben, nicht in der Lage war, ihr politisches Image zu entkoppeln von der Liberalen Partei, dem konservativen neoliberalen Makati-Business-Club, der Familie des ermordeten Benigno Aquino Junior, der Heuchelei in Bezug auf Korruption, die den Slogan von Benigno Aquino III "Wo es keine Korruption gibt, gibt es auch keine Armut" zum Gegenstand des Spotts machte, und - vor allem - von dem verheerenden Versagen der 36 Jahre alten EDSA-Republik.

Die Rhetorik der "guten Regierungsführung" mag bei Robredos Mittelschicht und Elite Anklang gefunden haben, aber für die Massen hatte sie den Beigeschmack der gleichen alten Heuchelei. Gute Regierungsführung klang in ihren Ohren ähnlich wie die Selbstdarstellung der Liberalen als "anständiges Leute", was zu deren Niederlage bei den Wahlen 2016 und dem Aufstieg von Rodrigo Duterte führte.

Außerdem war die Marcos-Basis keine passive, träge Masse. Gefüttert mit Lügen durch die Marcos-Trollmaschinerie, lieferten sich sehr viele von ihnen im Internet eifrige Kämpfe mit dem Robredo-Lager, den Medien, Historikern, der Linken - mit allen, die es wagten, ihre Gewissheiten in Frage zu stellen. Sie überschwemmten die Kommentarspalten von Nachrichtenseiten mit Pro-Marcos-Propaganda, viele davon Memes, die entweder Marcos verherrlichten oder Robredo auf unfaire Weise persiflierten.

Rebellion der Generationen

Dieser Protest gegen die EDSA-Republik hatte eine generationsübergreifende Komponente.

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass sich eine neue Generation gegen das stellt, was der alten Generation lieb und teuer ist. Aber in der Regel rebelliert die jüngere Generation im Dienste einer Zukunftsvision, einer gerechteren Ordnung der Dinge.

Das Ungewöhnliche an den Millennials und der Generation Z der arbeitenden Massen war, dass sie sich nicht von einer Zukunftsvision inspirieren ließen, sondern von einem fabrizierten Bild der Vergangenheit - dessen Überzeugungskraft durch das verstärkt wurde, was Soziologen wie Nicole Curato die "toxische Positivität" von Marcos Juniors Online-Persönlichkeit genannt haben. Er wurde durch Cyberchirurgie so rekonstruiert, dass er als normaler, ja gutartiger Mensch erschien, der einfach nur das Beste für alle wollte.

Von der Französischen Revolution über die Philippinische Revolution, die Chinesische Revolution, die weltweite Antikriegsbewegung der 1960er Jahre bis hin zum First Quarter Storm (linksgerichtete politische Studentenbewegung der Philippinen in den 1970er Jahren, Telepolis) war es in der Regel die Linke, die die Vision bot, an die sich die Jugend klammerte, um ihrer Generationsrebellion Ausdruck zu verleihen.

Leider war die Linke im Falle der Philippinen einfach nicht in der Lage, diesen Traum von einer zukünftigen Ordnung, für die es sich zu kämpfen lohnt, anzubieten. Seit es ihr 1986 nicht gelungen war, den Lauf der Dinge zu beeinflussen, indem sie während des EDSA-Aufstands die Rolle des Zuschauers übernahm, hat es die Linke nicht geschafft, die Dynamik wiederzuerlangen, die sie während des Kriegsrechts für die Jugend so attraktiv machte.

Die Entscheidung der Linken, sich während des EDSA-Aufstandes bewusst ins Abseits zu stellen, führte Anfang der 1990er Jahre zur Zersplitterung der progressiven Bewegung. Darüber hinaus wurde der Sozialismus, der seit dem späten 19. Jahrhundert als Leuchtturm für Generationen gedient hatte, durch den Zusammenbruch der zentralisierten sozialistischen Bürokratien in Osteuropa stark beeinträchtigt.

Am schädlichsten war jedoch vielleicht das Versagen der politischen Phantasie. Der Linken gelang es nicht, eine attraktive Alternative zur neoliberalen Ordnung zu bieten, die seit Ende der 1980er Jahre herrschte. Ihre Präsenz wurde auf der nationalen Bühne auf eine Stimme reduziert, die die Versäumnisse und Missbräuche aufeinander folgender Regierungen beklagte.

Dieser Mangel an Visionen ging einher mit der Unfähigkeit, einen Diskurs zu entwickeln, der die tiefsten Bedürfnisse der Menschen aufgreift und zum Ausdruck bringt, indem man sich weiterhin auf gestelzte, formelhafte Phrasen aus den 1970er Jahren verlässt, die in der neuen Ära einfach nur als Lärm wahrgenommen werden. Hinzu kam der anhaltende Einfluss einer "avantgardistischen" Strategie der Massenorganisation, die in einer Diktatur vielleicht angemessen gewesen wäre, aber nichts mehr mit dem Wunsch der Menschen nach echter Beteiligung in einem offeneren demokratischen System zu tun hatte.

Der Zeitgeist verlangte nach Gramsci, aber ein Großteil der Linken hielt sich an Lenin.

Dieser Avantgardismus in der Massenorganisation ging paradoxerweise mit einer Wahlstrategie einher, die die Klassenrhetorik herunterspielte, praktisch alle Bezüge auf den Sozialismus über Bord warf und sich damit begnügte, bei Wahlen ein kleiner Partner der konkurrierenden Fraktionen der kapitalistischen Elite zu sein. Sicherlich kann man die erheblichen staatlichen Repressionen, die gegen einige Teile der Linken ausgeübt wurden, nicht hoch genug einschätzen. Aber entscheidend war, dass die Linke in weiten Teilen der Bevölkerung als irrelevant oder, schlimmer noch, als lästig empfunden wurde, während die Erinnerungen an ihre heldenhafte Rolle während des Kriegsrechts verblassten.

Die Natur verabscheut das Vakuum, wie man so schön sagt. Als es darum ging, die Energie der jungen Generation der Arbeiterklasse in der späten EDSA-Periode einzufangen, wurde dieses Vakuum durch den Mythos der Marcos-Revisionisten gefüllt.

Die kommende Instabilität

Dies ist die Geschichte, vor deren Hintergrund sich die Wahlen 2016 und 2022 abspielten. Das Großartige an Geschichte ist jedoch, dass sie ein offenes Ende hat und weitgehend unbestimmt ist.

Wie ein Philosoph bemerkte, machen Frauen und Männer Geschichte, aber nicht unter Bedingungen, die sie selbst wählen. Die herrschende Elite mag danach streben, die Richtung der Gesellschaft zu bestimmen, doch das wird oft durch Widersprüche vereitelt, die den unterdrückten Schichten Möglichkeiten geben, sich einzumischen und die Richtung der Geschichte zu beeinflussen.

Das Marcos-Duterte-Lager verbarrikadiert sich derzeit hinter der Fassade des Aufrufs, "das Kriegsbeil zu begraben". Wir können davon ausgehen, dass diese Strategie bis zum 30. Juni weiter wirken wird. Ab diesem Datum, wenn das neue Regime formell die Macht übernimmt, wird die Realität diese Bande jedoch einholen.

Die Marcos-Duterte-Allianz bzw. der Kreis mehrerer politischer Dynastien um die Marcos-Duterte-Achse, ist ein Zweckbündnis zwischen mächtigen Familien. Wie die meisten Allianzen dieser Art, die in der Aufteilung der Beute wurzeln, wird sie sich als sehr instabil erweisen.

Es würde nicht überraschen, wenn sich die Marcos und die Dutertes nach einem Jahr gegenseitig an die Gurgel gehen würden - etwas, das sich vielleicht schon dadurch andeutet, dass der gewählten Vizepräsidentin Sara Duterte der mächtige Posten der Leitung des Verteidigungsministeriums verweigert wird und sie stattdessen den relativ machtlosen Posten des Bildungsministerin erhält.

Dieser unvermeidliche Kampf um die Macht wird sich vor dem Hintergrund von Millionen von Menschen entfalten, die erkennen, dass sie nicht in das gelobte Land geführt wurden, in dem Milch und Honig fließen, der Kilo Reis 20 Pesos kostet, von Unordnung im Wirtschaftssektor, der immer noch an die Vetternwirtschaft der Jahre von Marcos Senior erinnert, und von Spaltungen im Militär, in dem Überstunden gemacht werden müssen, um die Unordnung einzudämmen, die durch die Rückkehr einer umstrittenen Dynastie ausgelöst wurde, zu deren Sturz das Militär selbst - oder eine Fraktion davon - 1986 beigetragen hat.

Aber das wahrscheinlich wichtigste Element in dieser volatilen Situation ist die Bevölkerung, tatsächlich Millionen, die entschlossen sind, einer Bande, die sich mit Betrug, Lügen, Diebstahl und Bestechung an die Macht gebracht hat, nicht die geringste Legitimität zu verleihen.

Mit ihrer Wahl für Marcos haben 31 Millionen Menschen für sechs Jahre Instabilität gestimmt. Das ist bedauerlich. Aber das ist auch der Silberstreif am Horizont eines ansonsten düsteren Szenarios. Einer der weltweit erfolgreichsten Organisatoren des Wandels sagte: "Es herrscht große Unordnung unter dem Himmel, aber, hey Leute, die Lage ist ausgezeichnet."

Die unvermeidlichen Krisen des Marcos-Duterte-Regimes bieten Gelegenheiten, sich für eine alternative Zukunft zu organisieren. Und dieses Mal machen wir philippinischen Progressiven es besser richtig.