"Leider müssen wir mit einem kriegerischen Jahrhundert rechnen"
- "Leider müssen wir mit einem kriegerischen Jahrhundert rechnen"
- Innerwestliche Konflikte
- Das Verhältnis zwischen China und Russland
- Deutschland als pazifische Macht
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Ein Gespräch mit dem Journalisten Jörg Kronauer, weshalb Russland in der Ukraine eingefallen ist; wieso sich Deutschland als pazifische Macht begreift und über sein neuestes Buch.
Herr Kronauer, Sie beschreiben in Ihrem Buch Der Aufmarsch, wie sich der Machtkampf des Westens mit Russland und China entwickelt. Können Sie kurz umreißen, welche Interessen die verschiedenen Seiten verfolgen?
Jörg Kronauer: Im Machtkampf mit Russland geht es dem Westen im Wesentlichen darum, einen weltpolitischen Rivalen niederzuringen. Russland ist es in den vergangenen Jahren gelungen, etwa im Nahen Osten (Syrien) oder auch im nördlichen Afrika (Libyen, Mali) wieder als bedeutende Macht aufzutreten und dabei dem Westen Einfluss zu nehmen. Dies wollen sich die westlichen Mächte nicht bieten lassen.
Die Interessen der westlichen Mächte sind dabei nicht identisch: Während für die Vereinigten Staaten die Rivalität mit Russland alles dominiert, hatte Deutschland bis zum Beginn des Ukraine- Krieges ein Interesse daran, Zugriff auf die riesigen russischen Erdgasvorräte zu erhalten, kostengünstige russische Rohstoffe zu nutzen und auf dem potenziell großen russischen Absatzmarkt Profite zu erzielen. Das wirtschaftliche Interesse muss allerdings seit Beginn des Ukraine-Krieges hinter dem machtpolitischen Interesse zurückstehen, Russland niederzuringen.
Russland wiederum hatte stets das Interesse, sich gegen die aggressive westliche Expansion in Richtung Osten zu behaupten – Stichwort: Nato-Osterweiterung bis hin zu Plänen für einen Beitritt der Ukraine und Georgiens. Der Überfall auf die Ukraine hat freilich gezeigt, dass Moskau inzwischen selbst nicht nur expansive Interessen hat, sondern auch bereit ist, diese mit Gewalt durchzusetzen.
Im Machtkampf mit China geht es dem Westen insgesamt ebenfalls darum, einen weltpolitischen Rivalen zumindest zu schwächen und ihn am weiteren Aufstieg zur Weltmacht zu hindern – dies umso mehr, als die Volksrepublik das Potenzial hat, mit den westlichen Mächten umfassend gleichzuziehen und damit ihre bisherige globale Dominanz zu brechen.
Auch in diesem Fall sind die Interessen der westlichen Mächte nicht identisch: Während die Vereinigten Staaten vor allem um ihre einst dominante Stellung in der Weltpolitik fürchten, hat Deutschland auch in China massive wirtschaftliche Interessen, die eigentlich ein gewisses Maß an Kooperation erforderlich machen. Stichwort VW: Der Konzern setzt inzwischen mehr als 40 Prozent seiner Autos in China ab; ohne das Chinageschäft ist das Unternehmen in seiner heutigen Form nicht mehr vorstellbar.
Aus dem deutschen Wirtschaftsinteresse an einer Kooperation mit China entsteht Konfliktpotenzial mit den USA, die ein "Decoupling" – eine wirtschaftliche Abkopplung der Volksrepublik – teilweise oder sogar ganz anstreben. Für die deutsche Wirtschaft hätte ein solches "Decoupling" gravierende Folgen. China wiederum verfolgt das Ziel, seinen weiteren Aufstieg zur Weltmacht abzusichern und durchzusetzen.
Welche Rolle spielt Geopolitik bei diesen Konflikten?
Jörg Kronauer: Was den Konflikt mit Russland anbelangt, hat die Nato-Osterweiterung eine fatale Rolle gespielt. Sie hat das westliche Bündnisgebiet immer weiter in Richtung Russland verschoben und die Verhältnisse in Europa damit mehr und mehr von dem strategischen Kräftegleichgewicht entfernt, das vielleicht um 1990 noch ansatzweise gegeben war.
Spätestens der Nato-Beitritt der Ukraine, den Kiew ja anstrebte und für den es im Bündnis auch Unterstützer fand, hätte Russland jegliche "strategische Tiefe" genommen und es auf lange Sicht militärisch in eine schwer zu verteidigende Lage gebracht. Das ist auf russischer Seite eines – aber auch nur eines – der Motive für den Überfall auf die Ukraine gewesen.
Was den Konflikt mit China anbelangt, spielen geostrategische Faktoren beispielsweise eine wichtige Rolle bei den militärischen Aktivitäten der westlichen Mächte im Pazifik. Die Vereinigten Staaten bauen ihre Stützpunkte auf mehreren Pazifikinseln zwischen Hawaii und Südostasien aus – quasi als "Trittsteine" für ihre Streitkräfte beim Weg über den Ozean in Richtung Ostasien.
Guam hat – wie schon zuvor in der Geschichte – einige Bedeutung als militärische "Speerspitze" gegen China; die USA versuchen zudem, ihre Positionen auf der "ersten Inselkette" auszubauen, die von Japans südlichen Inseln, etwa Okinawa, über Taiwan und die Philippinen bis Borneo reicht.
China wiederum ist bemüht, sich von derlei US-Aktivitäten nicht einschnüren zu lassen, Abwehrpositionen im Südchinesischen Meer zu errichten und die "erste Inselkette" bei Manövern und Patrouillenfahrten immer wieder zu durchbrechen, um zu zeigen, dass es sich nicht quasi vor der eigenen Küste festsetzen lässt.
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