"Leider müssen wir mit einem kriegerischen Jahrhundert rechnen"

Seite 2: Innerwestliche Konflikte

Lassen sich diese Konflikte mit dem – marxistischen – Begriff des Imperialismus erklären?

Jörg Kronauer: Was die westlichen Mächte betrifft, die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien: ja. Daran liegt es auch, dass parallel zu den Machtkämpfen zwischen dem Westen und Russland bzw. zwischen dem Westen und China innerwestliche Machtkämpfe fortbestehen – insbesondere der zwischen der EU, einem, wenn man so will, Kartell der kontinentaleuropäischen Staaten, die sich zusammengetan haben, weil ihr eigenes ökonomisches und politisches Gewicht für eine alleinige weltpolitische Rolle nicht mehr ausreicht, und den USA, mit denen die EU-Mächte gleichzuziehen versuchen.

Dass Teile der herrschenden Klasse Großbritanniens ihre Interessen in der EU nicht wie gewünscht durchsetzen konnten, ist ein wichtiger Grund für den Brexit gewesen, wobei die britische Bourgeoisie diesbezüglich gespalten war.

Was Russland betrifft, würde ich von einer Politik mit imperialistischen Zügen sprechen, die im Ukraine-Krieg erstmals in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zutage getreten sind.

China expandiert ökonomisch, beschränkt sich dabei militärisch noch weitestgehend auf defensive Maßnahmen, wobei mir noch nicht ausgemacht scheint, wie sich die Volksrepublik im Innern entwickeln wird; dies wird entscheiden, ob China zu einer imperialistischen Macht wird oder nicht.

Viele Linke haben im Krieg Russlands mit der Ukraine Probleme sich zu positionieren. Handelt es sich um einen Krieg zwischen verschiedenen imperialistischen Ländern beziehungsweise Blöcken?

Jörg Kronauer: Ich würde sagen, es handelt sich um einen Krieg, der auf russischer Seite imperialistische Züge trägt, während der Kriegsgegner, die Ukraine, von den imperialistischen Mächten des Westens unterstützt wird.

Davon abgesehen stellt sich ja die Frage, wie man sich dazu positionieren soll: Ist es ein Krieg, bei dem man das Vorgehen beider Seiten gleichermaßen ablehnt und in dem man deswegen sozusagen neutral sein muss? Oder gibt es Unterschiede?

Ich würde denken, dass die westlichen Mächte in den vergangenen drei Jahrzehnten unter anderem mit der Nato-Osterweiterung Russland immer stärker bedrängt haben und dass man das als Bürger einer dieser Mächte nicht neutral betrachten kann, sondern dass dem entgegentreten muss: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.

Das bedeutet freilich nicht, dass sich der russische Überfall auf die Ukraine rechtfertigen ließe. Politisch ansetzen kann man aber letztlich nur mit dem Kampf gegen die eigene herrschende Klasse und in Solidarität mit Menschen in Russland, die in ihrem Land dasselbe tun.

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