Leo Kirch - werden wir ihm bald nachtrauern?

Fernsehen war gestern, heute ist Premiere, doch was kommt morgen?

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"Der Medien-Magnat, der aus allem Kommerz macht" - Leo Kirch hat seit Jahren schlechte Presse. Mittlerweile hat er auch noch schlechte Finanzen - Kredite im zweistelligen Milliardenbetrag wollen ausgeglichen werden. Das wird die "Ära Leo" bald beenden, freuen sich viele. Doch wäre das wirklich ein Fortschritt?

Den schlechten Ruf und den Neid - den hat er sich schon redlich erarbeitet. Dabei startete der heute 75-jährige Leo Kirch einst mit hehren Zielen: Wertvolle Filmkunst wollte er ins miefige deutsche Fernsehen bringen. Und so fuhr er 1956 persönlich gen Italien, um Federico Fellini die deutschen TV-Rechte für "La Strada" auf Kredit für 130.000 Mark abzukaufen. Da sich der Film zum Kassenschlager und Klassiker entwickelte, begründete dies eine Karriere und ein später vielgehasstes Imperium. 1958 lief bereits der erste Spielfilm im Fernsehen, bevor er überhaupt ins Kino gekommen war und 1960 verkaufte Kirch erstmals 700 Spielfilme an die ARD. Sein Filmrechtegeschäft war ein Novum, denn auf die Idee, nicht nur alte Schwarzweißfilme, sondern aktuelles Kino im Fernsehen zu zeigen, war man zuvor nicht gekommen - zu groß war einerseits die Angst der Kinobesitzer vor leeren Reihen und andererseits die Bedenken der Filmemacher, ihre wertvolle Ware in der kleinen Affenkiste nicht adäquat präsentieren zu können.

Wie groß sein Unternehmen war, hielt Leo Kirch ebenso wie die eigene Person jahrelang bedeckt, was erst recht zu wilden Spekulationen führte. Doch die Zeiten, wo er sich bei Franz-Josef Strauß Kreditunterstützung holen konnte, sind vorbei - und für den geplanten Börsengang war die Struktur offen zu legen: Die heutige Kirch-Gruppe besteht aus über 50 Einzelunternehmen, darunter etliche Free-TV-Sender wie SAT 1, Pro 7, N24, Kabel 1, 9live und DSF, das Pay-TV Premiere digital, die Nachrichtenagentur ddp, der Online-Zweig Kirch Intermedia mit beispielsweise Sport1.de sowie natürlich der eigentlichen Ursprung, die Rechtevermittlung, ob nun Film oder Fußball.

In den 60er und 70er-Jahren war Kirch durchaus beliebt, Buster Keaton vertraute ihm persönlich die Rechte an seinen Filmen an und Leonard Bernstein produzierte 20 Jahre lang mit einer Kirch-Gesellschaft exklusiv. ARD und ZDF kauften fleißig bei Kirch ein, bestritten große Anteile ihres Programms aus seinem Bestand, beklagten sich gleichzeitig aber über seine so erwachsende Monopolstellung.

Auf die Spitze geriet dies 2001 bei den unsäglichen Diskussionen um die Fußballrechte, in denen sich der ARD-Chef Fritz Pleitgen publikumswirksam scheinbar verweigerte und dann den Bundeskanzler noch publikumswirksamer sein Veto einwerfen ließ. Die Folge: Viel Geld fließt aus Gebührenzahlertöpfen für Bilder vom runden Leder und alle schimpfen wieder mal auf Kirch. Dabei hat niemand die Fußballvereine gezwungen, die Übertragungsrechte an die Kirch-Gruppe zu verkaufen und ebenso wenig ist diese verpflichtet, die Rechte an die ARD weiter zu geben: Kirch könnte den Ball ohne weiteres nur in seinen Sendern oder gar nur im Pay-TV rollen lassen. Auch ist Kirch durchaus nicht an allen Fußballrechtsproblemen beteiligt und bekommt auch mal Prügel für Schritte der spanischen Telefoinca. Tatsächlich ist es anderswo in Europa viel schlimmer als in Kirch-Land und alle Nicht-Fußballfans hoffen ohnehin auf den Tag, an dem der Hype um den Ball im Pay-TV verschwindet und angekündigte Spielfilme und Dokumentationen nicht mehr wegen Ballspielchen ausfallen.

Woher kommt die schlechte Meinung über die Firma Kirch denn dann? Nun, natürlich ist Kirch kein Engel - im Gegensatz zu seinen heutigen Gegenspielern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat er dies allerdings auch nie behauptet: Er spielte Konkurrenten an die Wand oder kaufte sie gleich auf, um sie einzustellen. Er brachte die proprietäre D-Box, wegen der das Digital-TV bis heute misstrauisch beäugt wird. Er zwang auch dem Österreichischen Fernsehen ORF die D-Box als Plattform für Satelliten-TV auf und sorgte dafür, dass dieses sehr beliebte Programm in Bayern nicht mehr so leicht terrestrisch zu empfangen war und folglich die Zuschauer die von ihm vermittelten Spielfilme auf seinen Programmen mit seinen Werbeunterbrechungen ansehen mussten.

Durch niedriges Niveau ("Tutti-Frutti") und massive Werbeunterbrechungen sowie Streits mit Medienanstalten und Politik fiel allerdings eher sein Gegenspieler, die RTL-Gruppe, auf - Kirch-Programme neigten eher zur Belanglosigkeit. Leo Kirch ließ Journalisten, die nicht freundlich über ihn berichteten, auf eine Blacklist setzen, sodass diese fortan keine seiner Presseinformationen und -einladungen mehr bekamen. Aber immerhin hat er nie versucht, Pressemitteilungen anderer Sender und Firmen per einstweiliger Verfügung abzufangen. Er hält 40% Aktien des Axel-Springer-Verlags, weshalb jegliche Berichterstattung dort als gekauft gilt. Das Arbeitsklima in den Kirch-Sendern ist nicht der Hit. Und er war immer mit der bayrischen CSU befreundet, die viele Jahre ebenfalls ein Monopol innehatte.

Außerdem war sein Unternehmen aber auch vom ersten Tag auf Kredit finanziert und mit schöner Regelmäßigkeit "kurz vor der Pleite". Doch Unkraut vergeht nicht - Leo Kirch überwand bislang noch jegliche finanzielle Klammheit und fand neue Geldgeber. Bis zum Dezember 2001.

Da zeigte das zum Börsengang notwendige Offenlegen der Bilanzen seine Schattenseite: Es fiel auf, dass er bei mehreren Banken Krediten in Milliardenhöhe hat - zusammen ergeben sich zweistellige Summen. Zuerst wurde die Dresdner Bank nervös und wollte einen 900-Millionen-Kredit kündigen, dann folgten Commerz- und Deutsche Bank. Würden diese Banken geschlossen ihre Kredite zurückverlangen, dann säße Kirch in der Tinte, zumal ein früherer Geldgeber, Rupert Murdoch, im Herbst 2002 seine Anteile an Premiere zurückgeben und seine 2,2 Milliarden Einlage zurückverlangen könnte. Ebenso der Axel-Springer-Verlag, der auch seinerseits Anteile an Pro 7 hält und sich so für Kirchs unterwünschte 40%-Beteiligung rächen könnte.

Der australische Medien-Mogul Murdoch könnte so Kirch schnell ausbooten und zusammen mit dem Amerikaner Malone die deutsche Medienszene übernehmen. Leo Kirch könnte es ja sogar ganz recht sein, nun mit 75 sein Lebenswerk zu verkaufen und sich zur Ruhe zu setzen. Das wird teilweise mit Freude aufgenommen, denn Kirch hat sich bislang quer gelegt und nur deutsch synchronisierte Sendungen im Pay-TV angeboten, während Filmfans auch gerne mal eine Originalfassung sehen würden. Grund sind auch hier wieder einmal die Filmrechte, wegen der überhaupt nur wenige Länder noch unkodierte Programme über Digital-TV abstrahlen. Nur durch die deutsche Synchronisation ist die bisherige Praxis tragbar.

Tatsächlich hieße der Ersatz von Kirch durch Murdoch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Unsere öffentlich-rechtlichen Programme haben zwar seit einigen Jahren vergessen, was ihre Aufgabe ist, und versuchen lieber, mit den Privaten im Bereich drittklassiger Talkshows und Unterhaltungssendungen zu konkurrieren sowie das Internet sturmreif zu schießen. Die Privatsender tun auch nur bedingt etwas für die Qualität. Von amerikanischen TV-Verhältnissen sind wir allerdings noch weit entfernt, die wahrlich nicht erstrebenswert wären.

Ebenso wenig zimperlich ist Murdoch: Bei ihm kostet alles Geld, der Fußball sogar ganz besonders. Allerdings: Filme sind bei Murdoch im Grundpaket, Fußball und andere Sportarten laufen als Pay-per-view. Das freut nicht nur die nicht oder selten am Sport Interessierten, es ist auch das bessere Geschäft, denn die echten Fußballfans vergleichen die Kosten für das Pay-TV mit dem Stadionbesuch samt Anreise und kommen so durchaus günstiger weg. Die Fußballklubs unterstützen diese Haltung durchaus: Sie wollen die Zuschauer möglichst mit maximalem Profit im Stadion und nicht bloß daheim an der Glotze. In den USA sorgt die National Football League (NFL) sogar dafür, dass Spiele nur dann im Fernsehen übertragen werden dürfen, wenn sie bis auf den letzten Platz ausverkauft sind. Gibt es noch Tickets, so müssen die Kabelgesellschaften im Veranstaltungsort einen schwarzen Bildschirm zeigen. Nur in genügend weit entfernten Städten, von denen eine Anreise nicht mehr zumutbar ist, wird ein Spiel aus einem halbvollen US-Stadion übertragen. Übernimmt Murdoch die Regie, würde also der Fußball aus ARD und ZDF verschwinden und damit auch die Diskussion über überhöhte Preise. Zugegeben nicht der unangenehmste Gedanke.

Selbst Kirchs ehemaliger Mitarbeiter Herbert Kloiber taucht inzwischen als Gegenspieler auf und will einen eigenen Pay-TV-Kanal mit drei Programmen aufziehen.

Tja, Monopoly spielt sich eben nur auf dem Brett einfach. Doch wer Kirch verschwinden sehen will, sollte sich die Folgen gut überlegen.