Letzter Essay vom "Giganten des Journalismus": John Pilger warnt vor neuem Faschismus

Seite 3: Aufstieg des Faschismus in Europa

Der Aufstieg des Faschismus in Europa ist nicht strittig. Oder sagen wir "Neonazismus" oder "extremer Nationalismus", je nachdem, was Sie bevorzugen.

In der Ukraine, dem faschistischen Bienenstock des modernen Europas, ist der Kult wiedererweckt worden um Stepan Bandera, dem leidenschaftlichen Antisemiten und Massenmörder, der Hitlers "Judenpolitik" lobte, bei der 1,5 Millionen ukrainische Juden abgeschlachtet wurden. "Wir werden Eure Köpfe zu Hitlers Füßen legen", verkündete ein Pamphlet der Bandera-Bewegung den ukrainischen Juden.

Heute wird Bandera in der Westukraine als Held verehrt, und zahlreiche Statuen von ihm und seinen Mitfaschisten wurden von der EU und den USA finanziert. Sie ersetzen die Statuen russischer Kulturgiganten und anderer, die die Ukraine von den ursprünglichen Nazis befreit haben.

Im Jahr 2014 spielten Neonazis eine Schlüsselrolle bei einem von den USA finanzierten Putsch gegen den gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch, der beschuldigt wurde, "pro-moskauisch" zu sein. Dem Putschregime gehörten prominente "extreme Nationalisten" an – sie sind Nazis in allem, außer dem Namen nach.

Ukrainisches Nazi-Problem

Zunächst berichteten die BBC sowie die europäischen und US-Medien ausführlich darüber. Im Jahr 2019 berichtete das Time Magazine über die in der Ukraine aktiven "Milizen einer weißen Vorherrschaft".

NBC News berichtete: "Das Nazi-Problem in der Ukraine ist real." Das Verbrennen von Gewerkschaftern in Odessa wurde gefilmt und dokumentiert.

Angeführt vom Asow-Regiment, dessen Abzeichen, die "Wolfsangel", durch die deutsche SS berüchtigt wurde, fiel das ukrainische Militär in die östliche, russischsprachige Region Donbass ein.

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden im Osten 14.000 Menschen getötet. Sieben Jahre später, als die Minsker Friedensverhandlungen vom Westen sabotiert wurden, wie Angela Merkel zugab, marschierte die Rote Armee ein.

"Putin-Apologie" oder das Schweigen der Einschüchterung

Diese Version der Ereignisse wurde im Westen nicht berichtet. Wer sie auch nur ausspricht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein "Putin-Apologet" zu sein, unabhängig davon, ob der Autor (wie ich) die russische Invasion verurteilt hat.

Die extreme Provokation zu verstehen, die ein von der Nato bewaffnetes Grenzland, die Ukraine – dasselbe Grenzland, durch das Hitler einmarschiert ist –, für Moskau darstellt, kommt einem Bannfluch gleich.

Journalisten, die in den Donbass gereist sind, wurden zum Schweigen gebracht oder sogar in ihrem eigenen Land verdammt. Der deutsche Journalist Patrik Baab verlor seinen Job, und einer jungen deutschen freiberuflichen Reporterin, Alina Lipp, wurde ihr Bankkonto beschlagnahmt.

In Großbritannien ist das Schweigen der liberalen Intelligenz das Schweigen der Einschüchterung. Vom Staat besetzte Themen wie die Ukraine und Israel sind zu vermeiden, wenn man einen Job auf dem Campus oder einen Lehrauftrag behalten will.

Propaganda-Kritik unerwünscht

Was Jeremy Corbyn im Jahr 2019 widerfahren ist, wiederholt sich an den Universitäten, wo Gegner der israelischen Apartheid wie selbstverständlich als Antisemiten beschimpft werden.

Professor David Miller, ironischerweise die führende Autorität des Landes auf dem Gebiet der modernen Propaganda, wurde von der Universität Bristol entlassen, weil er öffentlich behauptet hatte, dass Israels "Aktivposten" in Großbritannien und seine politische Lobbyarbeit weltweit einen unverhältnismäßig großen Einfluss ausübten – eine Tatsache, für die es zahlreiche Beweise gibt.

Die Universität beauftragte einen führenden Kronanwalt, den Fall unabhängig zu untersuchen. Sein Bericht entlastete Miller in der "wichtigen Frage der akademischen Meinungsfreiheit" und stellte fest, dass "Professor Millers Äußerungen keine ungesetzlichen Äußerungen darstellten".

Dennoch entließ Bristol ihn. Die Botschaft ist klar: Israel genießt Immunität, und seine Kritiker müssen bestraft werden, ganz gleich, welche Schandtaten es begeht.

Keine Schriftsteller mehr, die grundsätzlich opponieren

Vor einigen Jahren stellte Terry Eagleton, damals Professor für englische Literatur an der Universität Manchester, fest, dass es "zum ersten Mal seit zwei Jahrhunderten keinen bedeutenden britischen Dichter, Dramatiker oder Romancier gibt, der bereit ist, die Grundlagen der westlichen Lebensweise infrage zu stellen".

Kein Shelley spricht für die Armen, kein Blake für utopische Träume, kein Byron verdammt die Korruption der herrschenden Klasse, kein Thomas Carlyle und kein John Ruskin zeigen die moralische Katastrophe des Kapitalismus auf.

William Morris, Oscar Wilde, HG Wells, George Bernard Shaw haben keine Entsprechung in der heutigen Zeit. Harold Pinter war damals noch am Leben, "der letzte, der seine Stimme erhob", schrieb Eagleton.

Das ist der erste Teil des Essays von John Pilger. Den zweiten Teil finden Sie hier.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem Magazin Brave New Europe. Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung: David Goeßmann.

John Pilger war ein australischer Journalist und Dokumentarfilmer, der am 30. Dezember 2023 im Alter von 84 Jahren verstarb. Er drehte über 60 Dokumentarfilme und schrieb zahlreiche Bücher, von denen viele die Außenpolitik der USA und Großbritanniens scharf kritisierten. Pilger berichtete ausgiebig über Kambodscha, Vietnam, Osttimor, Palästina und die verheerenden Auswirkungen der US-Sanktionen gegen den Irak. In den letzten zehn Jahren war er ein prominenter Unterstützer des inhaftierten Wikileaks-Gründers Julian Assange.