Libyen: Die Regierung in Tobruk will Ende des Waffenembargos
Die Libyen-Expertenrunde des UN-Sicherheitsrates empfiehlt dringend die Bildung einer internationalen Küstenwache wegen der vielen Waffen, die ins Land geliefert werden
Es sieht nicht gut aus in Libyen. Die Regierung in Tobruk, die militärisch und politisch mit Ägypten kooperiert, drängt beim UN-Sanktionskomittee darauf, dass das Waffenembargo (UN-Resolution 2174) aufgehoben wird, um es mit einem Gegner aufnehmen zu können, den man nun mit der schwarzen Flagge des IS als besonders gefährlich und eindeutig extrem-islamistisch plakatieren kann.
"Libyen bittet bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zum Kampf gegen die IS-Terrormiliz um ein Ende des geltenden Waffenembargos", berichtete die SZ am 19. Februar. Als ob noch nicht genügend Waffen in Libyen wären.
Dass genügend Waffen im Umlauf sind, bestätigt auch ein aktueller Bericht der Libyen-Expertenrunde des UN-Sicherheitsrates. Nach Informationenvon Reuters stellen die Experten fest, dass es in Libyen einen unkontrollierten Im- und Export von Waffen - und Öl - in einem Maße gebe, der es dringend erscheinen lasse, eine internationale Küstenwache - "international maritime force" - zu bilden. Als ob es nicht schon genügend internationale Einmischung in Libyen gebe und gegeben hätte.
Ägypten hatte vor kurzem aufsehenerregende Luftangriffe auf Orte in Libyen geflogen, die stolz im Staatsfernsehen als erfolgreiche Vergeltungsschläge gegen den IS dargestellt wurden. Dass dabei auch Zivilisten ums Leben kamen, wurde weniger herausgestellt, bzw. gar nicht. Doch schaffen solche Angriffe böses Blut, wie Ägypten schon bei militärischen Interventionen zuvor festgestellt haben muss. Ein Effekt solcher Angriffe ist, dass sich Gruppen miteinander verbinden, die vorher noch getrennte Wege gingen, jetzt aber einen gemeinsamen Feind haben.
Polarisierung
Was zum Beispeil auf die in hunderte Gruppen zersplitterten Milizen in Misrata zutraf, nachdem die Vereinigten Arabischen Emirate mithilfe Ägyptens im Sommer 2014 Luftangriffe auf Ziele in Libyen flogen. Inwieweit Ägypten beteiligt war, blieb im Vagen. Es genügte aber, dass sich Gruppen in Misrata der Allianz "Operation Morgenröte (Fadjr)" anschlossen, die vorher noch gezögert hatten.
Der Grund des Zögerns ist interessant: Die Gruppen fühlten sich ihren örtlichen Gemeinschaften mehr verpflichtet und näher als der großen Fadjr-Sache, wo die ideologische Ausrichtung - der Islamismus - ein größeres Gewicht bekommt. Kommt die Kriegslogik ins Spiel, ordnen sich die Verhältnisse nach anderen Verpflichtungen, es bilden sich Pole, wo zuvor divergierende Interessen zu beobachten waren.
Und es ist genau diese Polarisierung, die mit dem Auftritt des IS in Libyen noch verstärkt wird. Bislang verstellen noch viele Gerüchte und Propaganda ein genaues Bild der Präsenz der IS-Dschihadisten in dem Land. Man weiß, dass Teile der libyschen Islamisten von Ansar-al-Scharia dem IS Gefolgschaft geschworen haben, aber wie die Verbindungen zu libyschen Milizen genau aussehen, wie verankert der IS in diesem unübersichtlichen Netzwerk ist, wie die Kommando- und Kontrollstruktur konkret beschaffen ist, ist noch nicht ausgemacht.
Spalter Haftar als Oberkommandeur der libyschen Armee?
In Ägypten wird das nach der grausamen Vorführung der Ermordung von ägyptischen Fremdarbeitern in Libyen durch IS-Milizen (IS tötet koptische Geiseln in Libyen) anders gesehen; zumal neue Entführungen von koptischen Ägyptern das Schlimmste befürchten lassen. Auch westliche Nationen sehen das, aufgerüttelt durch das Mordvideo, anders: Die Propaganda des IS bzw. seiner Anhänger weckt Ängste ("Eine lange Küste gegenüber den Kreuzzugsstaaten"), die möglicherweise die tatsächliche Position des IS, seinen Einfluss, seine Präsenz in Libyen, verzerren.
Das stärkt auf der anderen Seite aber auch den Gegner in seiner Argumentation, siehe den Antrag auf Aufhebung des Waffenembargos. Dass General Haftar, der zuvor nur mit bestimmten, wenn auch mächtigen Teilen der Regierung in Tobruk und dem Rest der libyschen Armee in engsten Verhältnissen stand, nun laut Gulfnews, das einen Sprecher der Tobruker Regierung (HoR) zitiert, davor steht, als Oberkommandeur der Armee berufen zu werden, ist ein Zeichen dafür, dass eine Lesart der Konflikte in Libyen Überhand gewinnt, die das Land aufs Neue einer Spaltung ausliefert, die nichts Gutes verheißt.
Für Haftar, hinter dem Ägyten steht und der über jahrelange Beziehungen zur CIA verfügt, ist ausgemacht, dass er gegen Islamisten kämpft - und nun auch gegen den IS, also Terroristen.
Hoffnung auf Brückenbauer Algerien und Tunesien
Das Parallelparlament zum Tobruker "Repräsentantenhaus" (HoR) - von der UN, den USA und den wichtigsten westlichen Staaten als offizielle Vertreteung anerkannt - sitzt in der Hauptstadt Tripolis und hat den Namen des vorhergehenden Parlaments beibehalten: General National Congress (GNC). Von dort kommen nach Informationen von Beobachtern in der Tat seltsame Zeichen, die auf jeden Fall erkennen lassen, dass man sich von den dschihadistischen Gruppen nicht eindeutig distanziert: "The nature of the relationship is really not clear."
Aber, wie es bei der Analystin der International Crisis Group, Claudia Gazzini, eben auch zu lesen ist, genauso klar ist, dass der GNC kein monolithischer Block ist. Die libyschen Muslimbrüder sind ein großer Block, aber es gibt auch andere Fraktionen, ein gewisses Spektrum, es gibt auch einzelne Personen mit dschihadistischem Hintergrund, aber ob es gegenwärtige direkte Verbindungen zu radikalen Gruppen gibt, ist diffus. Das würde sich wahrscheinlich ändern, wenn die Freund-Feind-Aufteilung weiter verschärft wird.
Weswegen eine gewisse Hoffung in den Verhandlungen liegt, die von den Vereinten Nationen in Genf Mitte und Ende Januar veranstalten wurden. Dort trafen sich Mitglieder beider Parlamente unter der Leitung von Bernardino León, dem Special Representative des UN-Generalsekretärs, um Brücken zu schlagen. Die Distanzen sind groß, aber nicht so unüberbrückbar wie im Fall Syrien, lässt zumindest die Zusammenfassung der International Crisisgroup erkennen.
Auch diesem Think Tank hat man in der Vergangenheit eine Nähe zu Interessengruppen vorgeworfen, die auf Interventionen gedrängt, jedoch nichts besser gemacht haben. Aber im Fall Libyen nimmt die Empfehlung der Crisisgroup Partei für die Einbeziehung von Algerien und Tunesien. Das sind unmittelbare Nachbarstaaten, die andere Ziele verfolgen als die Militärregierung in Ägypten, die Türkei, Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate, und sie setzen nicht auf Polarisierung.