Liste im Internet sorgt in Polen für Unruhe

Ein polnischer Journalist hat Tausende von Namen angeblicher Mitarbeiter des polnischen Geheimdienstes veröffentlicht - aus politischen Absichten

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Der Journalist Bronislaw Wildstein hatte die Liste mit über 24.000 Namen von angeblichen Mitarbeitern des polnischen Geheimdienstes Sluzba Bezpieczenstwa aus der kommunistischen Ära ins Netz gestellt. Diese Aktion hat in Polen eine heftige öffentliche Debatte ausgelöst. Die konservative polnische Tageszeitung Rzeczpospolita kündigte aufgrund der Veröffentlichung Wildstein. Man sei mit ihm in dem Bemühen einig, ehemalige Geheimdienstmitarbeiter zu enttarnen. Doch Wildstein habe eine politische Haltung eingenommen und damit das Berufsethos eines unabhängigen Journalisten verletzt, lautete die Begründung. Außerdem habe sich Wildstein die Liste unrechtmäßig aus dem Institut für nationales Gedenken (IPN) beschafft, das der hiesigen Gauck-Birthler-Behörde vergleichbar ist, so die weitere Kritik. Das Institut hat sich eindeutig von Wildsteins eigenmächtigem Handeln distanziert.

Mittlerweile kursieren verschiedene Versionen im Netz. Dabei scheint zwischen Tätern und Opfern nicht immer eindeutig unterschieden worden. Durch Wildsteins eigenmächtige Veröffentlichungspraxis sind auch sämtliche datenrechtlichen Bedenken übergangen worden.

Trotz diese Kritik ist die nur noch als Lista Wildsteina firmierende Internetseite der absolute Renner. Schließlich hat Wildstein, der der rechten Partei Liga der Polnischen Familien nahe steht, den Zeitpunkt seines Coup ganz bewusst gewählt. Noch in diesem Jahr muss das polnische Parlament neu gewählt werden.

Die regierenden Sozialdemokraten sind intern zerstritten. Ihnen werden große Stimmenverluste vorhergesagt. Trotzdem ist ein Sieg der Opposition so sicher nicht, wenn es ihr nicht gelingt, ihre Anhänger zu mobilisieren. Schließlich ist sie ebenso zerstritten wie die Regierung und das zündende Wahlkampfthema, mit dem sie gegen die Regierung punkten kann, hatte sie bisher nicht gefunden. Den neoliberalen Umbau der Wirtschaft mit all den bekannten sozialen Verwerfungen für die Beschäftigten hat die sozialdemokratische Regierung schon selber veranlasst. Auch außenpolitisch kann sich die Opposition schwer von der Regierung absetzen. Schließlich gehörte Polen unter der sozialdemokratischen Regierungszeit zu den engen Freunden der USA, die für den Pentagonchef Rumsfeld das neue Europa darstellten. Am Irakkrieg beteiligte sich Polen mit einen kleinen Kontingent.

Wenn es überhaupt noch Unterschiede zwischen Regierungs- und Oppositionslager gibt, dann ist es die Vergangenheit. Schließlich haben die regierenden Sozialdemokraten ihre Wurzeln in der polnischen KP, während das heutige Oppositionslager auch vor 1989 dort befunden hat.

Bei der aktuellen Regierungspolitik kann niemand davon sprechen, dass in Polen Kommunisten an der Macht sind. Ein Link in die Vergangenheit kann der rechten Opposition vielleicht das nötige Wahlkampfthema geben, um ihre Basis zu mobilisieren. Schließlich ist der Umgang mit der polnischen Stasi in unserem östlichen Nachbarland seit Jahren ein innenpolitisch brisantes Thema. Das IPN klagte häufig über mangelnde finanzielle Unterstützung .

Für herablassende Kommentare über den Umgang mit der Vergangenheit bei unseren östlichen Nachbarn, wie sie in den letzten Tagen zu hören waren, besteht kein Grund. Denn auch in Deutschland gab es eine Lista Wildsteina in kleineren Ausmaß. So wurden in der mittlerweile eingegangenen DDR-Oppositionszeitung Die Andere Zeitung 1990 ebenfalls die Daten von angeblichen Stasi-Mitarbeitern veröffentlicht. Hätte das Internet damals schon eine größere Rolle gespielt, wären die Daten sicher auch im Netz gelandet.

Auch in den letzten Jahren gab es wiederholt Versuche von tatsächlichen oder selbsternannten Stasiopfern, Daten von angeblichen Stasimitarbeitern ins Internet zustellen oder Links zu im Ausland gehosteten Datenbänken mit solchen Daten zu setzen, was aber von Datenschützern genau beobachtet und bekämpft wurde (Datenschutz auf Abwegen). Es bleibt abzuwarten, ob durch das polnische Beispiel auch hier neue Versuche in dieser Richtung gemacht werden. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings nicht, weil die Debatten über die Stasi in Deutschland eigentlich den verflossenen 90er Jahren angehören und heute nur noch wenig Resonanz hervorrufen.