Machtmissbrauch – harter Vorwurf gegen Bildungsministerin Stark-Watzinger
Uni-Lehrkräfte und Gewerkschaft protestieren. Gefordert wird sogar ein Rücktritt. Wollte die Ministerin politisch motiviert Forschungsgelder streichen?
Mehr als 2.000 Hochschul-Lehrkräfte werfen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) einen "bisher nicht dagewesenen Angriff auf ihre Grundrechte" vor. Dies schreiben sie in einer offenen Stellungnahme zum Vorgehen der Ministerin angesichts eines offenen Briefs, in dem Berliner Uni-Lehrkräfte im Mai die polizeiliche Räumung eines Pro-Palästina-Protestcamps auf dem Gelände der Freien Universität kritisiert hatten.
Inhaltlich hatten sie sich den Forderungen der Uni-Besetzer nicht angeschlossen, wohl aber betont, dass in solchen Fällen von der Uni-Leitung eine "dialogische und gewaltfreie Lösung" anzustreben sei. Stark-Watzingers Ressort soll daraufhin harte Sanktionen erwogen und entsprechende Möglichkeiten dafür ausgelotet haben.
Lesen Sie auch:
Ukraine-Krieg: Wenn kritische Stimmen verstummen müssen
Maßstäbe der Medien: Politiker nach Belieben kritisieren?
Wie demokratisch sind deutsche Betriebe? Jugend fordert Wandel
Digital Services Act und Trusted Flagger: Was heißt das auf Deutsch?
Maulkorb statt Meinungsfreiheit? Warum eine chinesische Journalistin deutsche Medien kritisiert
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt von der Ministerin eine Erklärung zu dem Vorwurf, sie habe die Streichung von Forschungsgeldern für politisch missliebige Professoren prüfen lassen. Hintergrund ist ein Bericht des NDR, in dem vor wenigen Tagen aus internen Mails des Ministeriums zitiert wurde.
Rücktrittsforderung gegen Stark-Watzinger
"Wenn auch nur der Anschein besteht, dass Ministerin Bettina Stark-Watzinger die Förderung von Forschungsprojekten davon abhängig macht, dass Forschende sich politisch willfährig äußern, unterminiert sie nicht nur die Wissenschaftsfreiheit, sondern auch die Legitimität der Forschungsförderentscheidungen ihres Hauses", erklärte die Gewerkschaft an diesem Freitag und verlangte eine Stellungnahme.
"Stark-Watzinger muss zurücktreten", hatte unter anderem ein Redakteur der taz Mitte dieser Woche in einem Kommentar gefordert, nachdem der Mailverkehr bekannt geworden war. "In ihrem Ministerium ließ sie prüfen, ob man ihnen etwa bereits zugesagte Fördermittel wieder entziehen könnte. Das ist ein klarer Fall von Machtmissbrauch", so taz-Redakteur Daniel Bax.
Eingriff in Grundrechte und Wissenschaftsfreiheit?
Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Anja Reinalter, sagte dem Blatt zufolge: "Wir müssen entschieden gegen Antisemitismus vorgehen. Allerdings irritiert mich die Idee von Bettina Stark-Watzinger, die Streichung von Fördermitteln zu prüfen." Dies könne "ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sein".
Stark-Watzinger selbst hatte ihren Standpunkt zu dem offenen Brief der Uni-Lehrkräfte gegenüber der Bild-Zeitung deutlich gemacht: "Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost", hatte die Ministerin dem Blatt gesagt.
Die Bild hatte das Statement in eine Berichterstattung mit dem Schlagwort "Universitäter" eingebettet, die Beschwerden beim Deutschen Presserat zur Folge hatte – nicht nur von einem persönlich betroffenen Professor, sondern auch vom Präsidium der Berliner Humboldt-Universität. Der Artikel war am 10. Mai erschienen.
Meinungsfreiheit: Die schwierige Rolle der Uni-Leitungen
Danach kam es zu weiteren Besetzungsaktionen im Zusammenhang mit dem Israel-Gaza-Krieg und Boykottforderungen gegen Israel. Dialogbereite Uni-Lehrkräfte verwiesen zum Teil darauf, dass Studierende mit palästinensischem Hintergrund um Angehörige trauern und dementsprechend emotional reagieren.
Wegen ihres Dialogversuchs mit den Besetzern von der "Student Coalition Berlin" geriet auch die Präsidentin der Humboldt-Universtität, Julia von Blumenthal in die Kritik. Ihr Fall zeigt allerdings, dass manche Professorinnen und Professoren zu Beginn der Besetzungen die Aktivisten oder deren Umfeld selbst anders einschätzten und inzwischen nicht mehr glauben, dass ein Dialog gelingen kann.
Die Räumung der Besetzung sei "von oben" angeordnet worden, hatte Blumenthal zunächst betont. In diesem Zusammenhang fiel der Namen des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU)
Meinung geändert: Zuvor dialogbereite Uni-Präsidentin bedroht
Blumenthal selbst entschloss sich erst nach der Sichtung der zuvor besetzten Räume im sozialwissenschaftlichen Institut zu einer Strafanzeige. "Das Ausmaß der Sachbeschädigung und Schmierereien übertrifft, womit wir gerechnet hatten", sagte sie am 25. Mai dem Spiegel. Im Nachhinein wisse sie: "Ein Dialog mit diesen Besetzergruppen kann nicht gelingen."
Inzwischen wird neben Wegner auch Blumenthal selbst mit einem Symbol der palästinensischen Islamistentruppe Hamas bedroht, das bereits an Wände des sozialwissenschaftlichen Instituts gesprüht worden war. Die Hamas nutzt das rote Dreieck, um Feinde zu markieren.
Unbekannte enthüllten am Donnerstag an der Freien Universität (FU) in Steglitz ein Banner mit diesem Symbol – kombiniert mit der Drohung: "We are coming for you!" – Daneben die Namen des FU-Präsidenten Günter Ziegler, seiner Amtskollegin an der Humboldt-Uni, Julia von Blumenthal, und Kai Wegner.