Machtspiele in Georgien
Seit Wochen streiten die NATO und Russland über das gestern begonnene NATO-Manöver in Georgien, der georgische Präsident scheint die Nato für den eigenen Machterhalt zu instrumentalisieren
Russland versteht die Militärübung nicht nur als eine Provokation, sondern auch als einen möglichen Grund für einen neuen Kaukasuskonflikt. Bereits vor einem Jahr fand in dem Kaukasusstaat ein gemeinsames Manöver der NATO und Georgiens statt, welches nach russischer Auffassung Micheil Saakaschwili erst zu dem Angriff auf Südossetien ermutigt haben soll. Dies dürfte in diesem Jahr unwahrscheinlich sein, doch der angeblich vorgestern stattgefundene Militärputsch, der vielmehr eine Meuterei unzufriedener Soldaten war, deutet daraufhin, dass der georgische Präsident das jetzige Manöver durchaus für eigene Zwecke missbrauchen möchte. Um die innenpolitischen Proteste einzudämmen, finden seit Dienstag Verhaftungen statt.
"Cooperative Longbow 09/Cooperative Lancer 09“. Unter diesem Namen begann am gestrigen Mittwoch ein Manöver der NATO und der in ihren Aktionsplan Partnerschaft für den Frieden eingebundenen Staaten in Georgien, an dem ursprünglich 1.300 Soldaten aus 19 Ländern teilnehmen sollten. Doch die Teilnehmerzahl hat sich in den letzten Tagen verkleinert. Die von der weltweiten Wirtschaftskrise schwer gebeutelten baltischen Staaten Lettland und Estland sagten die Teilnahme an dem Manöver wegen finanzieller Probleme ab. Kasachstan, Moldawien, Serbien und zuletzt am Montag Armenien, verzichteten nach Konsultationen mit Russland auf die internationale Militärübung.
Die Absage kann Moskau durchaus als einen außenpolitischen Erfolg feiern. Schon vor Wochen rief Russland die teilnehmenden Staaten zu einer Absage an dem Manöver auf, und traf mit seinen Argumenten zumindest in den traditionell russlandfreundlichen Staaten auf Gehör. Denn für Russland bedeutet das Manöver nur eins: „Die geplante Übung in Georgien ist eine unverhüllte Provokation“, wie Präsident Dimitri Medwedew Ende April erklärte.
Bereits vor einem Jahr, wenige Monate bevor Micheil Saakaschwili den Angriffsbefehl auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali gab, fand in dem Kaukasusstaat ein gemeinsames Manöver der NATO und Georgiens statt, das nach Ansicht des Kreml Saakaschwili erst zu dem Militärschlag gegen die abtrünnige Republik ermutigte. Ein Szenario, dass sich aus russischer Sicht auch in diesem Jahr wiederholen könnte. In den letzten Tagen kam es erneut zu Spannungen zwischen Tiflis und Moskau, nachdem Russland am 29. April ein Abkommen mit Südossetien und Abchasien unterzeichnet hat. Dieses sieht vor, dass Russland die Grenze der beiden Republiken mit 10.000 Soldaten sichert, bis diese eigene Grenztruppen aufgebaut haben. Für Georgien, welches Südossetien und Abchasien zum eigenen Staatsterritorium zählt, ein Affront.
Unterstützung erwartet Georgien in diesem Konflikt von der NATO. Diese erhielt Tiflis auch durch das Festhalten des nordatlantischen Bündnisses an dem heute beginnenden Manöver, trotz der Drohungen, Forderungen und der daraus entstandenen Spannungen mit Moskau. Schon vor einem Jahr, noch vor dem russisch-georgischen Konflikt im August 2008, wurde das Manöver beschlossen, hieß es als Begründung der NATO, die im Gegenzug russische Beobachter zu dem Manöver einlud. Die Ereignisse vom Dienstag zeigen jedoch, dass das westliche Militärbündnis mit großer Vorsicht ihren georgischen Partner Micheil Saakaschwili entgegentreten sollte.
„Eine Gruppe ehemaliger Militäroffiziere, welche in Verbindung mit Agenten eines einzelnen Staates stand, das uns gut bekannt ist, versuchte und versucht immer noch Unruhen in der Militärbasis von Muchrowani zu organisieren“, erklärte der georgische Präsident Saakaschwili in einer Fernsehansprache. Fast zeitgleich rollten aus Tiflis 30 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge in das ungefähr 20 Kilometer von der georgischen Hauptstadt gelegene Muchrowani, um diesen angeblichen Militärputsch zu zerschlagen.
Doch der Militärputsch endete ziemlich unspektakulär. Ohne dass ein Schuss gefallen ist, gaben die angeblichen Putschisten auf. Erstaunlich, denn nach Regierungsangaben hatten sie eigentlich Großes vor. Wie Saakaschwili in seiner Fernsehansprache erklärte, wollten die Putschisten nicht nur die weitere Annäherung Georgiens an die NATO und die Europäische Union verhindern, die am heutigen Donnerstag beim Prager Gründungsgipfel der Östlichen Partnerschaft besiegelt werden soll, sondern die jetzige Regierung auch stürzen. Ein Sturz, bei dem auch Blut fließen sollte. Laut georgischer Regierungsangaben wollten die Putschisten neben Michail Saakaschwili, den Tifliser Bürgermeister Gigi Ugulawa, den Innenminister Wano Merabischwili, den stellvertretenden Außenminister Giga Bokeria, den Vorsitzenden des parlamentarischen Verteidigungsausschusses Giwi Targamadze sowie den Chefideologen der Rosenrevolution, Lewan Ramischwili, umbringen. Ein Unterfangen, das von Russland angeblich finanziell und logistisch unterstützt wurde.
Doch die Zweifel an dieser Version sind größer als der Glaube. In der Vergangenheit warf Micheil Saakaschwili schon öfters Russland eine Einmischung in die georgische Innenpolitik und militärische Provokationen vor. So soll Russland im August 2007 Georgien mit einer Rakete bombardiert haben (Eine herrenlose Rakete), und im November vergangenen Jahres sollen russische Wachposten gar die Wagenkolonne Saakaschwilis und des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski beschossen haben, als diese in der Dunkelheit die Pufferzone zwischen Georgien und Südossetien inspizierten (Präsidenten angeblich im Fadenkreuz russischer Soldaten). Eine Behauptung, die der polnische Geheimdienst von Anfang an bezweifelte.
Saakaschwili versucht, nach dem angeblichen Putschversuch, mit einer Verhaftungswelle seine Macht zu festigen
Der angebliche Militärputsch scheint eine Meuterei unzufriedener Soldaten zu sein, die sich lediglich weigerten, Befehle auszuführen. Und genügend Gründe, unzufrieden zu sein, haben die georgischen Soldaten durchaus. Auch wenn die Armee des Kaukasusstaates in den letzten Jahren von den USA ausgebildet und aufgerüstet wurde, haben sich die Lebensbedingungen in den Kasernen nicht besonders gebessert. Die Soldaten führen dasselbe ärmliche Leben wie die Zivilbevölkerung. Nicht verwunderlich, denn die wirtschaftliche Situation des Landes verschlechtert sich dramatisch. Die Handelsbeziehungen zu Russland sind seit dem August-Krieg fast zum Stillstand gekommen, und auch die Auslandsinvestitionen sind enorm zurückgegangen. Eine Entwicklung, die sich in allen Lebensbereichen bemerkbar machen muss und auch vor der Armee nicht halt macht.
Und diese Situation treibt die Menschen auch auf die Straße. Seit dem 9. April finden in Tiflis Proteste gegen Saakaschwili statt (Gefängniszellen für Saakaschwili). Und im Rahmen dieser Proteste ist auch der angebliche Militärputsch von Muchrowani zu sehen. Dafür spricht schon die Tatsache, dass auf dem Militärgelände auch 13 Zivilisten verhaftet wurden, die wohl kaum während eines richtigen Militärputsches auf einer Kaserne anwesend gewesen wären.
Doch der Zeitpunkt des Protestes, einen Tag vor Beginn des NATO-Manövers, dürfte für Michail Saakaschwili perfekt gewesen sein. Nach den heftigen Protesten Moskaus an der Militärübung, versucht er der westlichen Allianz zu demonstrieren, wie gefährlich Russland für Georgien ist. Aber noch einen größeren Nutzen erhofft sich Saakaschwili in der Innenpolitik.
Wie schon erwähnt, finden seit dem 9. April Proteste gegen Saakaschwili statt, die nach dem Willen der Opposition so lange andauern, bis der Präsident zurücktritt. Denn sonst, wie die Oppositionsführerin Nino Burdschanadse befürchtet, endet das Land in einer Diktatur . Eine waghalsige These, an der aber durchaus etwas sein könnte. Wenn es in Georgien politisch rumorte, versuchte sich Saakaschwili bisher immer durch Vorwürfe gegen Russland und angebliche Putschversuche zu retten. Und dies tut er auch jetzt, nur in einer neuen Dimension.
Wegen der Beteiligung an dem Militärputsch und Spionage für Russland wurden am Dienstag neben dem ehemaligen Kommandeur der Sonderkräfte, Gia Gchwaladze, weitere ehemalige hohe Militärs verhaftet. Am gestrigen Mittwoch wurde der ehemalige Diplomat Wachtan Maisaia, der zwischen 2004 und 2008 Botschaftsrat Georgiens bei der NATO war, wegen Spionage für Russland festgenommen. Eine Verhaftungswelle, die fast an einen anderen Georgier erinnert. In den 30er Jahren festigte Jossif Dschugaschwili, eher bekannt unter seinem Revolutionsnamen Jossif Stalin, seine Macht durch Verhaftungen und Schauprozesse.