Macron bildet seine Regierung um
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Gewinne der Grünen bei der Corona-Kommunalwahl, Pleite für Macrons Partei: Zieht er jetzt nach rechts?
Sein Name klingt wie casse-tête (Kopfzerbrechen), doch aus Sicht seines Vorgesetzten Emmanuel Macron ist er der Mann, der es nun richten und die Probleme aus dem Weg räumen soll: Am gestrigen Freitag ernannte der 42-jährige Staatschef überraschend Jean Castex, den 55-jährigen Bürgermeister des Pyrenäenstädtchens Prades und früheren Berater seines Vor-Vorgängers Nicolas Sarkozys, zum Premierminister.
Bereits in den letzten Monaten hatte der nunmehrige frischgebackene Regierungschef unter Emmanuel Macron wichtige Funktionen eingenommen: Am 02. April dieses Jahres war er zum Sonderberater für den Umgang mit dem französischen Lock-down (confinement) respektive für das Vorgehen bei dessen progressiver Lockerung (déconfinement) ernannt worden. Damit übte er zeitweise einen richtig heiklen Job aus.
Die öffentliche Meinung scheint den doch im Endeffekt relativ reibungslosen Übergang von dem bis zum 11. Mai andauernden französischen Lockdown zum "Danach" zu honorieren. Zwar zeigt sie sich ausgesprochen skeptisch gegenüber den Entscheidungen zu Beginn und während der Corona-Krise, die damals im Elysée-Palast getroffen wurden, - und einem Teil des seinerzeitigen Polit-Personals.
Dazu zählt die Tatsache, dass sowohl die bis Mitte Februar amtierende Gesundheitsministerin Agnès Buzyn als auch die zum 1. Februar abgetretene gesundheitspolitische Beraterin von Präsident Macron, Marie Fontanel, offensichtlich nichts Besseres zu tun hatten, als just beim Auftauchen der Pandemie von ihren jeweiligen, nicht ganz unwichtigen Ämtern zurückzutreten.
In beiden Fällen taten sie dies aufgrund vergleichsweise popeliger Kommunalwahlen: Buzyn, um als Spitzenkandidatin der Präsidentenpartei LREM (La République en marche) zur Rathauswahl in Paris anzutreten; und Fontanel, um ihrem Ehemann zu folgen, welcher in Strasbourg kandidierte. Zum Zeitpunkt ihres jeweiligen Abtretens waren die Konturen der Corona-Bedrohung bereits erkennbar.
Agnès Buzyn sprach später, Mitte März, in einem Aufsehen erregenden Interview sogar davon, sie habe zum damaligen Zeitpunkt "einen Tsunami auf Frankreich zurollen" sehen, und sie habe im Übrigen gewusst, dass die Kommunalwahlen "nicht werden stattfinden können". Dass alle beide dennoch aus vergleichsweise nichtigem Anlass abtraten, wird in breiten Kreisen der Öffentlichkeit als Verantwortungslosigkeit aufgefasst.
Kommunalwahl: Pleite für LREM
Stattgefunden haben sie übrigens doch, ebendiese Kommunalwahlen - die erste Runde wie geplant am 15. März dieses Jahres. Kurz danach wurde der Wahlvorgang abgebrochen, die eine Woche später geplante Stichwahl wurde ausgesetzt. Später wurde bekannt, dass mehrere Leiter von Wahllokalen mit der Lungenkrankheit Covid-19 infiziert wurden.
Die zweite Runde fand dann über ein Vierteljahr später statt, am vorigen Sonntag, den 28. Juni. Buzyn, die nach mehrwöchigem vollständigem Abtauchen ihre Spitzenkandidatur Ende Mai dann doch wieder bestätigt hatte, wurde durch die Wählerinnen und Wähler gnadenlos abgestraft; und erhielt nur 13,3 %, in einer Stadt, deren soziologische Zusammensetzung das liberale Macron-Lager bislang eher begünstigt hatte.
Da die Macron-Partei auch im übrigen Frankreich mit einer Ausnahme überall scheiterte - LREM hatte sich als Wahlziel ausgegeben, frankreichweit 10.000 Kommunalverordnete und Bürgermeister in mehreren Städten wählen zu lassen; das öffentlich-rechtliche Fernsehen kam in einer Zählung im Nachhinein auf "693" Kommunalparlamentarier und so gut wie keine Bürgermeister zeichnete sich die Notwendigkeit einer Veränderung an der Regierungsspitze ab.
Dort zeigte Premierminister Edouard Philippe (49) gewisse Anzeichen von Ungeduld. Er trat selbst als Spitzenkandidat zum Rathaus von Le Havre an, wo er in der Vergangenheit bereits regierte - diese Stadt bildete dann auch just die eine Ausnahme, bei der das Macron-Lager bei den Kommunalwahlen nicht schmählich scheiterte, anders als in sonstigen größeren Städten. Philippe gewann das Rathaus von Le Havre mit 58,8 % der Stimmen.
Da allein die französische KP eine Kandidatur in der Stichwahl gegen ihn aufrechterhielt - diese Partei regierte die Hafenstadt seit der Nachkriegszeit bis 1995, hat jedoch in dem Vierteljahrhundert seither viel von ihrer früheren Basis eingebüßt -, hatte er auch ein relativ leichtes Spiel. Kurz vor der Stichwahl vom vorigen Sonntag äußerte der damalige Noch-Premier öffentlich, falls es mit einem Wechsel in das normannische Rathaus "schnell gehen" könne, sei dies aus seiner Sicht wirklich "sehr gut".
Philippe hat vom Regieren in Paris genug
Allem Anschein nach hatte Philippe tendenziell genug davon, das Regierungsschiff durch schwere Wasser zu steuern, dabei durch einen Präsidenten angespornt, dessen Entscheidungen er wohl nicht immer mittrug. So war Macron sehr euphorisch für ein Wiederanfahren der wirtschaftlichen Aktivität mit dem Ende des Lockdown, während Philippe sich, auch unter Beachtung sanitärer Risiken, da skeptischer zeigte.
Dabei honorierte die öffentliche Meinung offenkundig eher die bedächtig wirkende Position von Philippe und die des ihn sekundierenden Technokraten Castex als die des Staatspräsidenten Macron, bei dem letztlich die politischen Entscheidungen lagen. Wies Emmanuel Macron zu Anfang Mai nur noch Popularitätswerte von gut 30 Prozent auf, die sich mittlerweile - je nach Umfrage - leicht verbesserten, kam Philippe seinerseits auf zwischen rund 40 und rund 50 Prozent.
Wohl auch deswegen versucht Macron nun, trotz des Abgangs des populären, doch aufgrund interner Differenzen und der Ungeduld Edouard Philippes kaum noch zu haltenden bisherigen Premierministers - durch seinen Ersetzung mit Philippes bisherigem Lockdown- bzw. Lockerungs-Beauftragten - doch nach wie vor von ihrer relativen Popularität zu zehren.
Dabei ist Castex nicht nur "Technokrat" und hoher Beamter, sondern auch Politiker. Unter Nicolas Sarkozy war er 2011/12 ein gutes Jahr lang stellvertretender Generalsekretär im Elysée-Palast, das ist ein Amt, das ungefähr - sehr vergröbernd und im Rahmen eines unterschiedlichen politischen Systems - dem eines Kanzleramtsministers in Deutschland entsprechen könnte. Sein Nachfolger auf diesem Posten, nach dem Wechsel im Präsidialamt von Sarkozy zu François Hollande, hieß übrigens Emmanuel Macron.
Konservativer Anbau ans Regierungsschiff?
Jean Castex ist ausweislich seiner französischen Wikipedia-Seite noch immer Mitglied der stärksten konservativen Partei in Frankreich (bis 2015: UMP, seither: Les Républicains, LR) - der Eintrag dort wurde im Laufe des Freitagnachmittag korrigiert, kurz zuvor stand er dort noch als "parteilos" (sans étiquette), wohl, weil seine Liste zum Rathaus von Prades formal ohne Parteibindung war.
Nunmehr stellt sich die Frage umso mehr, die bereits in den Tagen zuvor in der Öffentlichkeit aufgeworfen war, noch bevor die Personalentscheidung zu Gunsten von Castex für das Amt des Regierungschefs bekannt wurde: Werden eventuell hochrangige Mitglieder der konservativen Opposition in die künftige Regierung eintreten?
Ihr Fraktionsvorsitzender in der Nationalversammlung, Damien Abad, erklärte dazu bereits am Mittwoch, solche Parteifreunde gegebenenfalls nicht verurteilen zu wollen; es handele sich "um eine individuelle Entscheidung", die sich im Fall der Fälle anscheinend seiner Kritik entzieht.
Nun gilt es, die konkrete Zusammensetzung des um- oder neugebildeten Kabinetts noch abzuwarten, doch deuten solche Signale auf eine erkennbare Erweiterung des Macron-Lagers auf den konservativen Flügel hin. Damit würden das, bei der Präsidentschaftskandidatur Emmanuel Macrons 2016/17 sich zunächst im Diskurs und kulturellen Auftreten eher linksliberal gebende, Regierungslager und die Partei LREM endgültig an die konservative Rechte angebunden.
Darauf deutet bereits etwa die Soziologie ihrer Wählerschaft in der Hauptstadt Paris hin, die (anders als 2017) im Frühjahr 2020 weitgehend auf eine Komponente der bürgerlichen Rechten zurechtgeschrumpft ist - so lautet jedenfalls eine Analyse der Pariser Abendzeitung Le Monde.
Trutzbündnisse gegen Grüne
Darauf deutet auch die Existenz mehrerer LREM/LR-Bündnisse in einer Reihe von Großstädten hin, die dort vor dem zweiten Durchgang der Kommunalwahlen vom 28. Juni geschlossen worden waren, um den erwarteten Wahlerfolgen der französischen Grünen bzw. des grün-linksliberalen Bündnissen EE-LV (Europe écologie-Les Verts, seit 1999 bestehend) etwas entgegenzustellen.
Zwar war zunächst der frühere Lyoner Oberbürgermeister (und Innenminister Emmanuel Macrons zwischen 2017 und 19) Gérard Collomb von LREM ausgeschlossen worden, weil er ein ebensolches Bündnis mit den Konservativen eingegangen war, um die Grünen aufzuhalten. Doch dann tat LREM es ihm kurz darauf in vielen anderen Kommunen nach, u.a. auch in den Großstädten Bordeaux und Strasbourg/Straßburg.
Noch 2017 klang LREM anders und sehr viel "grüner" sowie linksliberaler; bei der damaligen Vorstellungsveranstaltung des Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron an der Berliner Humboldt-Universität waren Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer, nicht zufällig, als prominente Publikumsgäste dabei.
Zwar versucht Emmanuel Macron, um nicht als reiner Wirtschaftslobbyist zu wirken, sich auch jetzt etwa zum großen Klima-Redner aufzuschwingen wie am Montag diese Woche, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es sich jedenfalls vorläufig nur um Ankündigungen handelt.
Der Rücktritt seines prominenten Umweltministers Nicolas Hulot, der im September 2018 mit einem Bekenntnis seiner Macht- und Einflusslosigkeit im Amt aus diesem abtrat, zeugt da jedoch von einer anderen Realität. Hulots Nachfolger François de Rugy, welcher 2019 infolge einer Selbstbedienungsaffäre abtreten musste, war ebenso ambitions- wie inhaltlich absolut erfolglos und war vor allem auf seine eigene Karriere bedacht. Den Posten kosteten ihn unter anderem prestigeheischende Hummer-Dîners auf Staatskosten, die sich auf die Reputation verheerend auswirkten.
(Um die Nach-Nachfolgerin Elisabeth Borne blieb es relativ still.)