Madrid: Coronavirus-Hauptstadt in Europa
Sechs Wochen zu spät will die Regionalregierung nun "so schnell wie möglich" drastische Maßnahmen ergreifen, die Beschäftigten im Gesundheitssystem drohen mit Streik
In Spanien breitet sich, wie von Telepolis seit Wochen erwartet und angekündigt, das Coronavirus immer weiter aus. Dass es für Madrid, angesichts geschönter Zahlen und anfänglich nur geringer Tests, richtig hart werden würde, war schon vor sechs Wochen absehbar. Das wurde auf Telepolis auch berichtet. Aufgezeigt wurde dabei, wie das Auswärtige Amt bei seinen Reisewarnungen auf geschönte spanische Zahlenspiele hereinfällt und lange nicht vor einer Reise in den Hotspot Madrid gewarnt hat.
Doch nun ist mit Verspätung auch im deutschen Mainstream angekommen, dass Madrid die Coronavirus-Hauptstadt in Europa ist. Es ist inzwischen unmöglich, die schlechten Zahlen so aufzuhübschen, um unauffällig zu bleiben. Allerdings wurde darüber erreicht, dass sich das Virus im Sommerurlaub aus der Hauptstadt wieder weitgehend unkontrolliert im ganzen Land ausbreiten konnte, wie hier ebenfalls schon vor einem Monat berichtet wurde. Damit wiederholte sich ein Vorgang aus dem Frühjahr, wo dies ebenfalls von der Zentralregierung trotz eines Alarmzustands zugelassen wurde.
Nun ist auch noch offiziellen Zahlen klar, dass Spanien wie kein anderes europäisches Land von der zweiten Welle heimgesucht wird. So stellen nun auch deutsche Medien fest, dass sich das Virus "in Spanien derzeit in einem rasanten Tempo" ausbreitet und "besonders Madrid von hohen Infektionszahlen mit Covid-19 betroffen" ist.
Die sozialdemokratische Zentralregierung, die dem unverantwortlichen Treiben der rechten Regionalregierung im Sommer erneut mit verschränkten Armen zugesehen hat, fordert nun von ihr endlich zu handeln, anstatt von sich aus zu handeln. Gesundheitsminister Salvador Illa hofft, am Donnerstag endlich Maßnahmen verkündet zu bekommen, die Madrid ergreifen will. "Es muss alles Notwendige getan werden, um die Lage in Madrid zu kontrollieren", erklärt er plötzlich das, was er hätte im August fordern müssen.
Die rechte Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso denkt nun darüber nach, einige Distrikte, Stadtteile und Gemeinden wieder mit einer Ausgangssperre zu belegen. Betroffen wäre mehr als eine Million Menschen. Zwischenzeitlich versuchte aber sie noch ein rassistisches Ablenkungsmanöver. Sie machte Einwanderer und ihren Lebensstil für die Ausbreitung des Virus in Madrid verantwortlich. Begrenzte Ausgangssperren können hilfreich und wirksam sein, dass hat man in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon gezeigt. Doch dazu muss man sie wie im Großraum Lissabon auch früh ergreifen. Es nützt nichts mehr, ein Sicherheitsnetz aufzuspannen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
Die Lage in der Hauptstadtregion Madrid kann nur noch mit einem Wort beschrieben werden: fatal! Neun von zehn Städten mit den höchsten Infektionszahlen in den letzten 14 Tagen finden sich im Großraum Madrid. Nur Lorca in Murcia, die Region wird ebenfalls von der Rechten mit Duldung der rechtsextremen VOX regiert, sticht an anderer Stelle in Spanien heraus. In einigen Städten im Speckgürtel um Madrid finden sich fast 1000 Neuinfektionen auf 100.000 Bewohner wie in Parla. Im Durchschnitt sind es mehr als 600 und außerhalb Spaniens gibt es keine Region, die über den Wert von 350 kommt.
Und da jetzt sicher die kommen, die das einer großen Zahl an Tests zuschreiben, ansonsten passiere ja nicht viel, da alle asymptomatisch seinen, hier nur ein paar Zahlen. Die Hospitäler sind zum Teil schon wieder an der Belastungsgrenze. In Madrid sind praktisch 40% aller Betten der Intensivstationen in den Hospitälern wieder mit Covid-Patienten belegt. Das Gesundheitsministerium weist in den letzten 7 Tagen 366 Coronavirustote aus. Die reale Zahl dürfte deutlich höher liegen, denn insgesamt spricht man von gut 30.000 und übernimmt oft nicht einmal die Zahlen der Toten, die die Regionen melden, in die zentralspanische Statistik.
Die Lage in Madrid ist wieder so schauerlich, dass die Regionalregierung darüber nachdenkt, im Messegelände Ifema wieder das Nothospital zu errichten, mit dem der Druck auf überlastete Hospitäler im Frühjahr genommen wurde. Ein teure und wenig nachhaltige Maßnahme, wie schon damals kritisiert wurde. Das Geld sollte lieber zur Verstärkung des Gesundheitssystems genutzt werden, was aber nicht passiert. Deshalb gehen die Beschäftigten im Madrider Gesundheitssystem weiter auf die Barrikaden. Neue Streiks von Ärzten und Pflegepersonal werden vorbereitet. Sollte sich die Lage nicht verändern, soll es ab dem 28. September zu einem unbefristeten Streik kommen.