"Maidan-Helden" wittern Verrat
Seite 3: Ukrainischer Nationalismus: Nichts gehört - nichts gesehen
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Dem Westen scheinen die Proteste der Ultranationalisten in Kiew peinlich. Medien und Politiker meiden das Thema und bekunden dafür umso lauter ihre Freude über die vom Parlament in erster Lesung beschlossene Verfassungsänderung zur Dezentralisierung der Ukraine. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Mark Toner, erklärte, "wir begrüßen die Annahme der Änderungen der ukrainischen Verfassung, welche die Dezentralisierung der Ukraine zum Ziel haben." Die Änderungen würden helfen, den Konflikt im Donbass zu regulieren. Aus dem deutschen Außenministerium hieß es:
Wir verurteilen die blutigen Ausschreitungen, die heute vor dem Parlament in Kiew stattgefunden haben, in aller Deutlichkeit. Gewalt auf der Straße ist in jeder Hinsicht inakzeptabel - Gewalt gegen Beschlüsse eines demokratisch gewählten Parlaments umso mehr. Es ist gut, dass die Gewalttäter ihr Ziel nicht erreicht haben und das ukrainische Parlament heute mit der Billigung der geplanten Verfassungsreform in erster Lesung einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Dezentralisierung und zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen gemacht hat.: Auswärtiges Amt
Die Gewalttäter vom Montag, "die ihre Ziel nicht erreicht haben", waren exakt die gleichen, über welche deutsche Medien und Politiker im Februar 2014 noch mit viel Verständnis berichtet hatten. Ukrainische Ultra-Nationalisten und Rechtsradikale, die sich bei der Erstürmung von Polizeidienststellen in Lwiw (Lemberg) mit Waffen versorgt hatten, schlugen am 21. Februar 2014 den gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch in die Flucht. In den Augen westlicher Politiker war er ein Bremsklotz bei der EU-Osterweiterung.
Dass es Rechtsradikale und Ultranationalisten waren, die Janukowitsch auf dem Maidan am 21. Februar 2014 das Ultimatum stellten, er müsse bis zum nächsten Morgen zehn Uhr "die Stadt verlassen", sonst "werde man die Präsidialverwaltung stürmen", wurde von westlichen Politikern und Medien damals kleingeredet oder verschwiegen.
Ultra-Nationalisten sollten sich an der Ost-Front "austoben"
Die Regierung in Kiew hatte gehofft, dass sich die Nationalisten und Rechtsradikalen im Kampf gegen die Separatisten in der Ost-Ukraine "austoben" und ihnen der Traum einer "nationalen Revolution" vergeht.
Das Ergebnis der Parlamentswahlen vom Oktober 2014 nährte diese Hoffnung. Die Partei Swoboda erreichte nur 4,7 der Rechte Sektor nur 1,8 Prozent der Wählerstimmen. Der Grund für das Abschmieren der Ultra-Nationalisten bei den Parlamentswahlen war, dass die großen Parteien "Block Petro Poroschenko" und "Volksfront" von Arseni Jazenjuk, die anti-russische Rhetorik der Ultranationalisten übernommen hatten. Dadurch wurden die Parteien Swoboda und Rechter Sektor schlicht überflüssig. Nun haben die Ultra-Nationalisten mit der Dezentralisierung ein Thema entdeckt, über das sie hoffen, sich erneut profilieren zu können.
Die Ereignisse vom Montag zeigen, dass das Einschmelzen der Ultra-Nationalisten in das Regierungslager nicht gelungen ist. In den vergangenen Monaten hatten es bereits Anzeichen dafür gegeben, dass sich die Partei Swoboda nach ihrer Wahl-Niederlage vom Oktober 2014 als "nationale Kraft der Straße" neu positioniert. Am 6. Dezember 2014 stürmten 600 Demonstranten unter den Fahnen der Swoboda-Partei in Vinnytsia, der Heimatstadt von Petro Poroschenko, eine Sitzung des Gebietsrates und wählten unter freiem Himmel einen "Volksgouverneur" (Aufruhr in Poroschenkos Heimatstadt). Mitte Juli dieses Jahres lieferte sich eine gut ausgerüstete Einheit des Rechten im ukrainischen Städten Mukatschewo, 40 Kilometer vor der ungarischen Grenze, Feuergefechte mit Polizisten und Schmugglern, die ihre Einnahmen nicht teilen wollten (Rechter Sektor probt den Aufstand in der Westukraine).
Vermutlich bekommen die Ultra-Nationalisten von der Partei Swoboda auch weiterhin Hilfe von ukrainischen Oligarchen, die fürchten, dass Petro Poroschenko ihre wirtschaftlichen und politischen Einflussbereiche beschneidet. Zu nennen wäre hier an erster Stelle der Oligarch Igor Kolomoiski, 2014 noch einer der Hauptsponsoren von Swoboda. Ob Kolomoiski, der Ende März von Poroschenko als Gouverneur von Dnjepropetrowsk abgesetzt wurde Will der ukrainische Oligarch Kolomoiski nun auch eine "Republik"?, die rechtsradikale Partei immer noch finanziell unterstützt, ist unklar.
Durch die vom ukrainischen Parlament beschlossene "Dezentralisierung" sehen die hartgesottenen Radikalen alles in Gefahr, wofür sie die letzten zwei Jahr hart gekämpft haben. In Anspielung auf die "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine behauptete am Montag einer der nationalistischen Redner vor der Werchowna Rada, es werde nun "zwei Territorien, zwei Armeen und zwei Budgets" in der Ukraine geben. Die Menge rief trotzig "Tod den Feinden! Es lebe die Nation!"
Parlamentspräsident: Dezentralisierung erst nach der "Befreiung"
Dabei hatte Petro Poroschenko mit den von ihm eingebrachten Verfassungsänderungen, gar nicht die Preisgabe der aufständischen Gebiete in der Ost-Ukraine im Sinn. Im Gegenteil. Mit der Verfassungsreform will er die präsidiale Macht in der Ukraine durch Vertreter des Präsidenten in den Regionen stärken. Dadurch soll eine "Parade der Souveränitäten", also Sonderrechte auch für Regionen verhindert werden (Poroschenkos Spiel mit dem Minsker Abkommen).
Auch das Gebiet Saparoschje im Zentrum der Ukraine hatte mehr Selbstständigkeit gefordert. Was man den aufständischen Gebieten Lugansk und Donezk "nach der Befreiung" (Parlamentspräsident Volodymyr Groysman gestern in der Rada) an Selbstständigkeit zugestehen will, soll in einem Extra-Gesetz geregelt werden. Jegliche direkte Verhandlung mit den Separatisten in der Ost-Ukraine über die Durchführung von Wahlen und die Form der Selbstständigkeit, wie es das Abkommen von Minsk fordert, lehnt Präsident Poroschenko ab. Wahlen in den "von Russland okkupierten Gebieten" sollen nach den Gesetzen der Ukraine stattfinden. Punkt.
Weil Donezk und Lugansk in Kiew keine Verhandlungsbereitschaft erkennen, haben sie nun für den 18. Oktober selbstorganisierte Kommunalwahlen angesetzt.