Marx ist Murks - Teil 1

Antworten auf die Einwürfe der Forenten zur Artikelserie "Was spricht für den Kapitalismus?

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Freundlicherweise hat es die Redaktion mir gestattet, mich den Einwürfen der Leser zu stellen und die Artikelserie "Was spricht für den Kapitalismus?" durch eine Nachbesprechung der Kommentare zu ergänzen. Dies erachte ich für den Zweck der Klärung der vorgebrachten Argumente für notwendig, doch ich werde mich dabei nur auf sachbezogene Kommentare der Forenten einlassen.

Auf meine Person gemünzte ad-hominem-"Argumente", Unterstellungen sowie Gegenstandsverschiebungen werden von mir größtenteils ignoriert, weil sie in der Debatte nicht zielführend sind. Ferner werden auch Themenkreise übergangen, welche die weiteren Teile der Artikelserie vorweg nehmen. Alles zu seiner Zeit. Ebenso wenig berücksichtigt wurden Forum-Einträge zum zweiten Teil der Artikelserie. Ich habe mir vorbehalten, die Rechtschreibung und Zeichensetzung der zitierten Forenten zu korrigieren.

Einwand 1: Der Autor betreibt Begriffsverwirrung

Mir wurde von einigen Lesern vorgeworfen, ich oder vielmehr Marx, auf den ich mich ja beziehe, würden mit falschen Begriffen hantieren. "Kapital" sei überhaupt ganz anders definiert als von mir vorstellig gemacht. Während ich Dämlack doch dreist behaupte, es handele sich um eine investierte Geldsumme, sei es doch in Wirklichkeit viel mehr als bloß Geld. Manche zählen die Produktionsmittel dazu, worunter sie wahlweise den Boden und das Humankapital zählen, manche nicht. Da ist jeder Jeck anders. Nun worin sie durchaus recht haben, ist, dass das Wort in anderen Disziplinen tatsächlich anders definiert wird als bei Marx. Und dort haben sie es halt anders gelernt, also wird meine Definition bestritten.

Meinetwegen. Ich tröte mal ins gleiche Horn: Hätten sie Soziologie studiert, hätten sie sogar einen noch breiteren Kapitalbegriff. Dort bezeichnet es "die Ressource, die den Menschen für die Durchsetzung ihrer Ziele zur Verfügung steht" (wikipedia: Kapital). Das kann von der monetären Ausstattung, dem Ausbildungsgrad (hard skills), dem sozialen Auftreten (soft skills) bis hin zum äußeren Erscheinungsbild und der familiären Herkunft reichen. Eben alles, was es braucht, um die eigenen Zwecke - welche? - zu realisieren.

Aber will man sich wirklich darüber streiten? Selbst in der Mathematik, die nicht zu Unrecht als die präziseste Wissenschaft, ja manchen sogar als die Verkörperung von Wissenschaft schlechthin gilt, kommt es nicht selten vor, dass die Definitionen eines Wortes von Autor zu Autor variieren. Der eine sagt so, der andere so. Das hat noch nie eine ausgebildete Mathematikerin beirrt. Warum nicht? Etwa weil sie es nicht so genau nimmt mit ihren Begriffen? Nein umgekehrt, eben weil sie es sehr genau nimmt, stört es sie nicht. Sie weiß nämlich ganz genau, dass Namen bloß Schall und Rauch sind und dass es bei einer mathematischen Analyse auf die Benennung der Objekte am allerwenigsten ankommt, dafür aber umso mehr auf die Zusammenhänge zwischen den benannten Objekten. Maßgeblich ist insofern nur, ob eine anfangs eingeführte Definition konsequent bis zum Ende durchgehalten wird.

Wer sich also daran stört, dass in seinem Kopf das Wort Kapital etwas gänzlich anderes bedeutet, eine engere, weitere oder ganz andere Bedeutung hat als bei Marx, der soll es halt anders nennen. Zum Glück mangelt es nicht an möglichen aussprechbaren Buchstabenkombinationen. Ich selbst behalte es mir jedenfalls vor, bei der Definition des Autors zu bleiben, dessen Werk ich hier ausbreiten möchte.

Einwand 2: Der Mehrwert ist überhaupt kein Rätsel

Von einigen Lesern wird behauptet, der Mehrwert sei doch gar nicht so geheimnisvoll wie im Artikel angedeutet. Dann wird selbstsicher "für Doofe" verkündet, was er seiner Substanz nach also sei, und dies sei ja ohnehin trivial. Wie könne man das nicht wissen? Dummerweise sind sich die altklugen Forenten in ihren Erklärungsansätzen nicht einmal einig. So viel zur Offensichtlichkeit.

Die einen sagen, der Mehrwert stellt sich über Angebot und Nachfrage ein. Also je kleiner das Angebot gegenüber der Nachfrage, umso höher der Preis der verkauften Waren, umso größer der erwirtschaftete Mehrwert. Stellen wir uns mal als Gedankenexperiment zwei in etwa gleich große Märkte für verschieden Warensorten vor, wo Angebot und Nachfrage in etwa ähnlich sein sollten. Das folgende Beispiel wird nie lupenrein sein, weil sich ja Angebot und Nachfrage gar nicht zweifelsfrei feststellen lassen, aber vielleicht wird durch das Bildnis der Punkt klar, den ich machen will.

Es soll sich im Gedankenexperiment um den Markt für Feuerwaffen und den für Munition handeln. Die beiden Märkte sind inhaltlich aneinander gekoppelt und insofern in etwa gleich groß: Wer eine Feuerwaffe kauft, kauft auch - im Durchschnitt - so und so viele Patronen. Man könnte also spekulieren, dass sich in beiden Märkten Angebot und Nachfrage in etwa gleichen. (Wem diese Spekulation zu weit geht, muss sich halt andere Warengruppe ausdenken, wo dies eher zutrifft.) Der Punkt ist: Wieso sind durchschnittliche Knarren umso viel teurer als eine durchschnittliche Packung Patronen, die man mit der Waffe gleich mitkauft?

Wenn der Preis durch Angebot und Nachfrage schwankt, um welches Preisniveau herum schwankt es dann? Das verrät einem die VWL bei all ihren ausgefeilten Angebot-Nachfrage-Diagrammen nie. Kann eine Packung Kartoffelchips so teuer werden wie eine Luxusvilla? Sie spielen nicht einmal dann in der selben Liga, wenn die Chips mit Blattgold überzogen sind. Höchstens als Kunstwerk, aber das ist dann eine andere Geschichte, weil der Kunstmarkt ein davon unabhängiger Markt ist und sowieso seine Besonderheiten hat.

Angebot und Nachfrage reicht nicht aus als alleinige Erklärung für Preise, und insofern auch nicht, um das Geheimnis des Mehrwert zu lüften. Es ist nur eine Erklärung für das Bewegungsgesetzes des Preises, nicht für das Preisniveau. Deshalb schließt Marx übrigens Angebot und Nachfrage gar nicht aus, man braucht es ihm also auch nicht vorzuwerfen, dass er das tut. Er benennt aber die Bühne, auf der sich das Schauspiel von Angebot und Nachfrage abspielt, und das ist der Wert, und darüber hinaus benennt er auch die Bewegungsgesetze dieses Wertes, was die VWL gar nicht erst für nötig erachtet.1

Andere Forenten begründen den Mehrwert über das Risiko des Unternehmers, seine Ware nach der Produktion absetzen zu können. Sie benennen dabei weder Ross und Reiter korrekt, wer es denn nun eigentlich wirklich ist, der das Risiko trägt. Nur der Unternehmer? Ganz so als ob die angestellten Arbeiter gar nicht davon betroffen seien, wenn ihr Arbeitgeber mangels Absatz Pleite geht und sie deshalb massenhaft entlassen werden müssen. Auch können sie nicht den Zusammenhang aufschlüsseln, wie sich das Risiko denn nun genau in einen Geldüberschuss übersetzt. Als Notbehelf wird wieder auf die von sich aus unzureichende Formel von Angebot und Nachfrage zurückgegriffen. Siehe oben.

Wiederum andere Forenten schreiben, es sei überhaupt vermessen von mir, meine "Vorstellung vom Mehrwert" (Forent "Palenthalse") anderen vorzuschreiben. Nun, was der Mehrwert seiner Erscheinung nach ist, darüber sind sich meines Wissens alle Ökonomen einig: eine über das investierte Kapital hinausgehender Rückfluss aus einem erfolgreichen Geschäft. Jedenfalls ist "Mehrwert" als terminus technicus nicht das, was hier von einzelnen Forenten eingeworfen ist, wenn sie beiläufig so Sätzen fallen lassen wie, dass auch eine "saubere Umwelt einen Mehrwert darstellt" (ebd.). Hier wird Alltagssprache und Fachsprache fahrlässig durcheinander geworfen. Aus solchen Prämissen ist letztlich jeder Unfug ableitbar. Dafür bin ich nicht verantwortlich. Das müssen die Forenten mit sich selbst ausmachen.2

Der maßgebliche Unterschied zwischen marxistischen und nicht-marxistischen Ökonomen in Bezug auf den Mehrwert ist, wie man seine Zusammensetzung korrekt begründet. Das ist keine subjektive Einstellungssache, sondern Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung. Wissenschaftlich arbeitende Anti-Marxisten arbeiten sich wenigstens an Marxens Argumenten ab, mehr schlecht als recht, aber stellenweise durchaus redlich. Sie lesen ihn wenigstens. Was jedoch hier im Forum passiert, ist etwas völlig anderes. Man baut sich lieber Strohmänner auf, um sie dann genüsslich anzuzünden. Was damit bewiesen wird, ist nicht, dass Marx falsch lag, sondern die eigene Unkenntnis seiner Theorie, über die man unbedingt sein Urteil loswerden will. Das kann jeder machen wie er will, hat aber nichts mit meinen Argumenten zu tun.

Bemerkenswert ist auch der fehlerhafte Bezug auf meinen Artikel. Plötzlich ist eine Debatte um die Arbeitswertlehre entbrannt. Die wird zwar später durchaus noch Thema sein, ist aber gar nicht Inhalt des ersten Artikels, insofern also zunächst nur eine Unterstellung. Die Marxsche Wertlehre, deren Auslassung mir von zwei marxistischen Forenten direkt oder indirekt als Mangel angekreidet wurde, weil ich damit von der sorgfältigen Marxschen Ableitung abweiche, habe ich den Lesern zunächst ganz mutwillig erspart. Warum? Ich habe im ersten Teil ganz bewusst keine Auskunft darüber geben wollen, was den Mehrwert ausmacht. Im Gegenteil habe ich die Leser dazu aufgerufen, sich in dieser Frage zunächst total unparteiisch zu stellen. Denn für die Kritik, die ich vorgebracht habe, ist es nämlich vollkommen irrelevant, was die Substanz des Mehrwerts ist. Ich wollte damit aufzeigen, dass man sich den Vorwürfen in den Argumenten 1 und 2 selbst dann dann stellen muss, wenn man die Marxsche Wertlehre total ablehnt. Die Argumente sind unabhängig davon, ob man Marxist ist oder nicht.

Einwand 3: Mehrwert ist gar kein Kriterium für die Produktion

Auch hier scheiden sich die Geister der anti-marxistischen Forenten.

a) Die einen bestreiten, dass der Mehrwert überhaupt ein Kriterium für das Was und Wie der Produktion ist. Als Gegenbeispiele werden Freeware und Hobbyimkerei aufgeführt. Als Einlassung könnte man sie zunächst gelten lassen, aber was ist dann mit den Fällen, wo es sich so verhält, wie ich beschrieben habe, d.h. die gesamte Massenproduktion der Gesellschaft? Sind die dadurch abgesegnet? Gehen die durch dieses seltsame Gegenbeispiel jetzt plötzlich klar? Sind es die Hobbytüftler, die den stofflichen Kreislauf der Gesellschaft am Laufen halten?

Man könnte auch das weit verbreitete Ehrenamt als zusätzliches Gegenbeispiel einwerfen. Ich bin durchaus gewillt, es gelten zu lassen. Aber letztlich ist doch auch dieses nicht wirklich eins. Wo tritt das Ehrenamt denn überhaupt in Erscheinung? Z.B. im sozialen Bereich. Dort zeigt sich aber gerade, dass das Kapital diese Felder nicht anrührt, weil sie jenseits jeglicher Rentabilität sind. Es sind also gesellschaftliche Notwehrmaßnahmen, um Leistungen, die das Kapital von sich aus nicht stiftet, doch noch irgendwie mit privaten, unbezahlten Opfern bereitstellen zu können.

Die Sache ist sogar noch viel schlimmer, wie sich in späteren Artikeln der Serie zeigen wird. Das Kapital produziert überhaupt erst diese Not, und zwar systematisch und im großen Stil, der besagte Abwehrmaßnahmen gelten. Das Gesetz des Eigentums, ohne das keine Marktwirtschaft und erst recht kein Kapitalismus möglich ist, produziert den "stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse" (Marx).

Einerseits kommt man an die Dinge des täglichen Bedarfs nur, indem man sie kauft, andererseits hat man seine Einkommensquelle, d.h. das Mittel des Kaufs, gar nicht in der Hand, man beherrscht sie nicht, weil man nicht über sie verfügt, und selbst wenn man über sie verfügt, als Eigentümer, ist da noch die liebe Konkurrenz. Insofern ist man auch beim Ehrenamt - mal wieder, wenn auch indirekt - auf Gedeih und Verderb abhängig von einer Rentabilitätsrechnung, die alles diktiert.

Das vorgebrachte Beispiel Freeware (oder meinetwegen auch Shareware) ist alles andere als ein Gegenbeispiel. Der Augenschein trügt. Freie Software ist eine der maßgeblichen Art, wie in einigen Segmenten der IT-Branche überhaupt erst Profite generiert werden. Beispiel Facebook, YouTube, die meisten Suchmaschinen und kostenlosen Apps. Das sind doch nur Plattformen für das eigentliche Geschäft: Schaltung von Werbung, Verkauf von Daten und Beteiligung an vermittelten Geldtransaktionen (Ebay, PayPal, Uber, Drivy, Airbnb etc.). Dann gibt es auch Freeware (z.B. gewisse Linux-Distributionen) von der Art, die zwar frei herausgegeben werdend, die Firma aber am technischen Support verdient. Oft ist dann auch das Freemium nur der Appetizer für die eigentliche Bezahlsoftware als Premiumversion. Gäbe es all diese extrem lukrativen Geschäftsmöglichkeiten nicht, und zwar so lukrativ, dass die Firmen, die solchen Service kostenlos betreiben, zu den reichsten der Welt gehören, dann gäbe es auch diese Plattformen überhaupt nicht.

Bereits erfolgreiche Unternehmen können auch Freeware anbieten, um die Konkurrenz, die solchen Dienst noch gegen Bezahlung anbietet, komplett vom Markt zu fegen, um diesen dann im Anschluss nach eigenen Wünschen neu umzugestalten, oder sie aufzukaufen. In diese Kategorie fällt auch der zwischenzeitige Verkauf von jeglichen Waren zu sogenannten Dumpingpreisen. Man kann bei genügend Reserve durchaus scharf kalkulierend eine gewisse Zeit lang auf den Mehrwert verzichten, jedoch nur mit der Berechnung, ihn später umso einfacher abschöpfen zu können.

Im Prinzip machen solche Phasen sehr viele Firmenneugründungen bis zum finanziellen Breakthrough durch, aktuell bestes Beispiel ist Tesla. Noch wird beklagt, dass es nur rote Zahlen schreibt, aber wenn sich seine Technologie durchsetzen sollte, kann im Prinzip ein Gutteil der weltweiten Autoproduktion eingemottet werden oder muss schnell nachziehen. Ein anderes Beispiel war Walmart, welches, so geht jedenfalls die Legende, zu der Zeit seines Aufstiegs zur weltweit dominanten Handelskette die Reklamation von Produkten gestattete, sofern der Kunde nur vorweisen konnte, dass es dieses Produkt woanders günstiger gibt. So kriegt man die Infos über die Konkurrenz frei ins Haus geliefert. Inzwischen hat auch Walmart die Preise angepasst. Ewig kann man das Spielchen ja nicht treiben. Die Shareholder würden das auch nicht zulassen.

Wahre Freeware geht im großen Maßstab in einer kapitalistischen Umwelt schon allein deshalb nur kaum oder unter erschwerten Bedingungen, weil ihre Entwicklung, ihre Instandhaltung und ihr Betrieb allesamt Kosten in großer Höhe generieren. Diese müssen halt irgendwie gedeckt werden. Staatlich, wie z.B. die Erste-Hilfe- oder Katastrophenwarnapps, oder privat, z.B. über Spenden oder Vereinsbeiträge. Wikipedia ist ein Beispiel für einen spendenbasierten Betrieb. Aber auch die kapitalistische Kehrseite tritt dabei deutlich zu Tage: Selbst der fleißige Einsatz von tausenden fleißigen Helferlein, den Content zusammen zu tragen, bewahrt die Betreiber nicht vor der entwürdigenden Aufgabe, regelmäßig um Spendenbeiträge betteln zu müssen. Die kapitalistische Umwelt ist eben kein geeigneter Nährboden für freie Software. Mit ihr werden bestenfalls Nischen gefüllt.

Ferner gibt es dann auch noch die Sorte Freeware von Einzelpersonen oder kleinen Klitschen, die ihr Produkt umsonst raushauen, um sich so einen Namen zu machen, d.h. sich selbst und das eigene Werk als ein geschäftstüchtiges Mittel für andere anzupreisen. Der gelungene Verweis auf die eigene Expertise dient ja nicht nur der eigenen Reputation, sondern die Steigerung der Reputation selbst ist die Methode, Finanzmittel anzulocken, aus denen sich dann hoffentlich ein Geschäft machen lässt. In meinem Bekanntenkreis ist das eine sehr verbreite Praktik. Alle hoffen auf ihr lang ersehntes Start-up. Damit soll die profitliche Plusmacherei dann erst so richtig losgehen.

Und wenn es tatsächlich einmal vorkommt - ja, das mag es auch geben -, dass einer seine Software völlig umsonst und ganz ohne monetäre Hintergedanken anbietet, allein um der Sache willen, etwa Börsen für Nachbarschaftshilfe, stark verschlüsselte Instant Messanger für Aktivisten, naja, dann hat man halt mal vereinzelte Ausnahme vom allgemeinen, universell gültigen Prinzip gefunden. Das fällt dann eben wieder unter die Abteilung soziales Ehrenamt (s.o.). Diese Produkte stellen sich dann aber auch explizit als antikapitalistische Projekte auf und verweisen damit sehr direkt, was die geltenden Prinzipien in dieser Ökonomie sind.

b) Umgekehrt gibt es auch solche, die sogar bestätigen, dass der Mehrwert das maßgebliche Kriterium der Produktion ist, finden aber nichts dabei. Im Gegenteil, sie finden es geradezu hochgradig rational. Ja gut, wem es egal ist, ob Medizinprodukte nicht entwickelt oder nicht vertrieben werden, weil es sich einfach nicht für das Geschäft lohnt; wem es egal ist, dass Wohnungen massenhaft leerstehen, während allein in Deutschland die Zahl der Wohnungslosen langsam auf die Million zusteuert, weil sie außer Stande sind, eine lohnende Miete abwerfen; usw., ja solch einer Person kann man zu seiner Rationalität nur gratulieren. Das Rentabilitätskalkül geht ihr eben über alles. Was soll man da noch großartig gegen sagen?

c) Der einzige richtige Einwand in Bezug auf den Mehrwert als Kriterium der Produktion kam von einem Marxisten, als er anmerkte, dass es nicht bloß darauf ankommt, dass Produktion und Verkauf von Waren einen Mehrwert versprechen müssen, sondern dass es schon auch noch zusätzlich drauf ankommt, dass genug Mehrwert produziert wird. Das macht die Sache nur noch schlimmer als ich es angedeutet habe. Ich habe es ausgelassen, um sie nicht unnötig kompliziert zu machen. Der Forent verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen Mehrwert und Profit, welches eben nur einen Teil des Mehrwerts ausmacht. Einen anderen Teil greift sich noch der Staat in Form von Steuern ab, und dann müssen ja auch noch die Geschäftsfelder der ihm feindlichen Klassenbrüder bedient werden: Kredite zurück zahlen an das Finanzkapital, Miete zahlen an den Grundeigentümer und all sowas, vielleicht sogar Schutzgeld an die Mafia.

Um mein Argument zu retten, kann man sich diese ganze Bagage der beteiligten Kapitalisten zunächst als einen Gesamtkapitalisten vorstellen. So macht es auch Marx in Band 1. Jedenfalls, genug Mehrwert muss es schon sein. Einen vorausgeplanten Mehrwert von nur 1 Euro bei 10.000 Euro Investment wird wohl kaum einen Unternehmer dazu anregen, sich fuchsteufelswild in die Produktion zu stürzen. Aber solche Präzisierungen nimmt Marx in Band 1 gar nicht wirklich vor, sondern verweist auf später geplante Werke. Allenfalls bespricht er in Band 1 die Frage, wie viel Mehrwert denn überhaupt genug ist, um den Kapitalisten als Kapitalisten zu erhalten.

Einwand 4: So einen Kapitalismus gibt es nicht

Ein mehrmals wiederholter Vorwurf gegen Marx besteht in der Behauptung, dass es solch einen Kapitalismus gar nicht gibt. Marx würde den Kapitalismus ganz ohne den Staat beschreiben, dabei sei der Staat doch in ökonomischen Fragestellungen die entscheidende Kraft, weil er die Märkte, die unter seiner Kontrolle sind, maßgeblich mitgestaltet: "In vom Marx diskutierten Kapitalismus ist der Staat dagegen nur ein passiver Zuschauer. Und das ist eine reine Fiktion, von der man längst erkannt hat, dass sie nicht funktioniert." (Forent "K3")

An anderer Stelle präzisiert er diesen Vorwurf: "Der Staat greift an tausend Stellen ein, um Standards herzustellen und eine Versorgung sicherzustellen. Der […] Umweltschutz zählt dazu. Der reine Kapitalismus, wie ihn Marx beschrieben hat, gibt es in keinem Land der Welt. Wer suggeriert, dass dies unsere Realität sei, um daraus anschließend politische Forderungen abzuleiten, der baut einen Popanz auf und führt die Leute hinter die Fichte." (Forent "K3")

Und er ergänzt in einem anderen Post: "Individuelle Vertragsfreiheiten werden eingeschränkt. Das wurden sie schon immer. Sei froh. Sonst müsstest du selbst mit deinem Arbeitgeber über solche Nickeligkeiten wie Urlaubsansprüche oder geregelte Arbeitszeiten verhandeln. Du müsstest selbst kontrollieren, ob die Lebensmittel, die bei Edeka im Regal stehen, auch nach allgemein üblichen Hygienestandards kontrolliert werden. Nur weil in die Vertragsfreiheit eingegriffen wird, darf Dir Edeka gar nichts anderes anbieten. Sonst würde man ihnen den Laden dicht machen." (Forent "K3")

Zunächst die Einlassung: Der Forent hat insofern recht, als dass es diese Wächter- und Richterleistungen des Staates wirklich gibt. Er gibt damit aber wiederum unfreiwillig zu, dass die rein ökonomische Seite des Kapitalismus all dies von sich aus eben nicht leistet. Ginge es nur nach dem Kapital. Das Kapital geht sogar so weit, dass es von sich aus die Basis seiner eigenen Reichtumsvermehrung unterminiert. Indem es die Arbeiter bis hin zur Vernichtung3 verschleißt und die Natur über die Maßen4 strapaziert, dass es die Basis des eigenen Geschäfts untergräbt. Als glänzende Beispiele zu nennen wären der Dammbruch von Brumadinho/Brasilien, der Fabrikeinsturz in Bangladesch, die Katastrophe von Bhopal, die Verseuchung der Bürger von Minamata, die Ölpest von Norilsk, die allesamt nicht bloß menschliches Versagen, sondern Resultat eines strengen, durch die Konkurrenz und die beschränkten Mittel aufgezwungenen Sparregimes waren.

Natürlich muss der Staat eingreifen, weil das Kapital es von sich aus eben nicht tut. Nicht etwa weil es sich bei Kapitalisten notwendig um bösartige Menschen handelt, nein sie müssen an Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen sparen, wo sie nur können, weil es Kosten sind, die ihnen bei Strafe des eigenen Untergangs in der weltweiten Konkurrenz ein Wettbewerbsvorteil sichern.

Marx kennt sehr wohl den Staat als Player, er charakterisiert ihn als den "ideellen Gesamtkapitalisten" und erklärt damit auch die Kriterien, nach denen er eingreift: als Retter des Geschäfts. Gerade indem er den Kapitalisten unter seinem Zugriff Schranken setzt, sorgt er dafür, dass so das Buisness auf Dauer gestellt werden kann, wovon er ja für seinem Staatshaushalt auch selbst etwas hat. Er hat neben ökonomischen auch andere Gründe, seine Bürger nicht dem Verschleiß anheimfallen zu lassen. Er braucht sie nämlich noch in anderer Funktion: als Wähler, d.h. als Garanten seiner Legitimation; als Soldaten, d.h. als kraftvolle Verteidiger seiner Interessen im Ausland; als Erzeuger und Erzieher seiner Machtbasis, des Volks usw. Es ist also keineswegs so, dass der Staat der Gegenspieler des Kapitals ist, was vielen Linken, besonders in der parlamentarischen Opposition, nicht so recht bewusst zu sein scheint, oder einfach ignoriert wird.

Und wie geht das Kapital mit staatlichen Beschränkungen um? Ganz unterschiedlich. Manchmal fordert es sie sogar selbst ein, meist in der Form, dass es unfaire Methoden bei der Konkurrenz anprangert, die schnellstmöglich allgemein geregelt, also verboten gehören. Dann gibt es auch die Verlaufsform, dass es mit der Strafe bewusst kalkuliert. Die Rechnung geht einfach: Was ist der potentielle Gewinn, falls das Geschäft gelingt? Wie hoch ist die Strafe, falls man bei einem Regelverstoß erwischt wird? Die Differenz dieser beiden Größen, gibt dann Auskunft darüber, ob sich ein solches Wagnis lohnt oder nicht. Dazu ein Zitat von dem englischen Gewerkschafter Dunning, einem Zeitgenosse Marxens:

Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.

Thomas Joseph Dunning

Da nicht jeder Beschiss auffliegt, ist - in dubio pro reo - in der Regel davon auszugehen, dass das Kapital die staatlichen Beschränkungen akzeptiert und selbst zum Wächter der Regeln wird - wie schon gesagt: bei der Konkurrenz. Ein effizienter Staat kontrolliert nicht aus eigenem Antrieb. Dafür hat er ein Reklamationssystem eingerichtet. In Deutschland heißt dieses Regelwerk BGB, das Bürgerliche Gesetzbuch. Wo keine Klage, da auch kein Verbrechen. Es besteht aus vielen Bänden und noch mehr Kommentaren und zeugt - nebst seinen prachtvollen Institutionen, vor allem das Justiz- und Polizeiweisen etc. - allein schon dadurch davon, dass es in einem kapitalistischen Staatswesen offenbar viel Ordnungs- und Regelungsbedarf gibt. Von sich aus regelt sich da gar nichts.

In der Funktion des Geschäfteretters kann der Staat auch ganz umgekehrt auf die Bühne treten, nicht als Beschränker, sondern als Ermöglicher, indem er fleißig Subventionen verteilt. Manche Branchen sind einfach so kostenintensiv, dass es zunächst nichts geringeres als einen Staatshaushalt braucht, um die Anschubfinanzierung zu gewährleisten. Alles, was mit Infrastruktur und Energiefragen zu tun hat, ist zunächst als ein Großprojekt des Staates in die Welt gekommen, oder wurde von diesem maßgeblich co-finanziert. Post, Internet und Telefonnetz, AKW-Betrieb, der Bahnverkehr, der Straßen-, Brücken-, Hafen- und Tunnelbau, das Gesundheits- und Bildungswesen und ein Großteil der Forschung in Form einer Universitätslandschaft, das Raumfahrtprogramm etc. Von sich aus hätte das Kapital zu Zeiten, als es drauf ankam, nichts unternommen, zu risikoreich, zu teuer. Wer soll das bezahlen?

Erst danach wurden Sektoren, in denen sich damit ein profitliches Geschäft machen lässt, folgerichtig privatisiert. Der bürgerliche Staat ist schließlich der Inbegriff des Gedankens, dass das Kapital ohnehin alles am besten regelt, also ist es nur naheliegend, nach und nach ein ertragliches Buisness aus diesen Branchen zu machen. Ganz trauen tut zumindest der deutsche Staat dem Braten aber dann doch nicht. Insofern versucht er eine Versorgungsleistung, die das Kapital mangels Rentabilität von sich aus nicht mehr gewährleisten würde, noch dadurch zu garantieren, dass er sich weiterhin eine Geschäftsbeteiligung in einer knappen Mehrheit an der jeweils neu entstandenen Unternehmungen vorbehält.

Von sich aus würde das Kapital viele Versorgungsleistungen radikal durchstreichen: Abbau von Krankenhäusern, Stilllegung von Schienen, Streichung von gewissen Dienstleistungen usw. In USA ging der Zirkus sogar so weit, dass das Kapital bewusst die Infrastruktur sabotierte. Die Autoindustrie kaufte sich städtische Verkehrsbetreiber auf und ruinierte sie ganz bewusst, um darüber ihr Autogeschäft anzukurbeln.

Marx hat schon ganz recht getan, den Staat aus seiner Analyse so weit es geht herauszuhalten. Das ist auch vollkommen logisch. Man muss in einer Analyse ja erst einmal die (destruktive) Eigendynamik des Kapitals verstehen, bevor man überhaupt erkennen kann, was an Regelungsbedarf und sonstiger Hilfestellung überhaupt alles so anfällt. Und das ist tatsächlich von Staat zu Staat völlig anders, da überall unterschiedliche Bedingungen vorliegen. In den sogenannten "Entwicklungsländern" - ein euphemistischer Begriff, weil dort fast gar nichts entwickelt wird -, sind die Machtmittel über die der Staat via Haushalt verfügt ganz andere. Diese sind so abgehängt in der internationalen Staatenkonkurrenz, dass sie sich anderweitig als über ihr bescheidenes Produktionsniveau lukrativ machen müssen, um Kapital an ihren Standort anzuziehen. Dann wird auch schon mal auf den Arbeitsschutz gänzlich verzichtet, zumal ohnehin die Mittel fehlen, um ihn zu kontrollieren.

Marx kennt all diese Unterschiede zwischen den verschiedenen Staaten und ihren besonderen Gegebenheiten (Stichwort: "moralisches Element" der kapitalistischen Produktion). Deshalb hat der Kapitalismus in verschiedenen Ländern unterschiedliche Verlaufsformen, weil jeweils unterschiedlicher Betreuungsbedarf ansteht und die staatlichen Durchsetzungsmittel sich von Staat zu Staat unterscheiden.

Marx selbst wollte die Rolle des Staates in späteren Werken explizieren. Stellenweise hat er das in seinem Briefverkehr getan. Da er verstarb, bevor er dieses Projekt angehen konnte, war es an der marxistischen Nachwelt, dies zu Ende zu führen. Es gab unter Marxisten in den 1970er Jahre eine "Staatsableitungsdebatte", die sich genau mit dieser Frage befasste. Dies wurde von der "Marxistischen Gruppe" (Eigenname), einem bundesweiten Autorenkollektiv letztlich auch geleistet, jedenfalls zu meiner Zufriedenheit.

Zuletzt möchte ich gegen den Forenten "K3"5 noch einwenden, dass auch im Kapital (Band 1) der Staat an mehreren Stellen, so weit unbedingt nötig für die Analyse, in exponierter Rolle vorkommt. Als Garant des Eigentums und des Vertrags (Kap. 2), als Garant des Geldes (Kap. 3), als Regler des Klassengegensatzes (Kap. 8) und an etlichen anderen Stellen mehr.

Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?

Marx im Kapital, Band 1

Einwand 5: Auf Waren kommt es gar nicht an, sondern auf Dienstleistungen

Ein Forent vermisst bei Marx "die große Bedeutung von Dienstleistungen. Ja, Marx hat etwas zu Dienstleistungen gesagt, aber ihre große Bedeutung verkannt. Hier sind sehr viele Leute beschäftigt und das ohne Produktionsmittel beschäftigt zu sein. Außer man definiert Produktionsmittel seeehr weit." (Forent "Spießbürger")

Von den Produktionsmitteln ist in meinem Text keine Rede. Dazu verweise ich auf Teil 2 der Artikelserie. Aber wenn die Frage schon im Raum steht, was sind denn die Produktionsmittel von Dienstleistern? Die Putzkräfte brauchen Reinigungsmittel, Hotline-Telefonisten brauchen einen Computer, Telefon, Schreibtisch etc. Fast jede Dienstleistung braucht ihre Produktionsmittel, sogar Leute, die nur in Beraterfunktion tätig sind. Das fängt schon mit dem Dresscode an, um überhaupt als Experte wahrgenommen zu werden. Kleider machen Leute. Insofern brauchen sogar Pantomimen Produktionsmittel. Produktionsmittel können sehr bescheiden sein. Als Nachhilfelehrer für Mathematik braucht es nur Stift und Papier, sehr günstig, aber sie sind halt auch notwendig.

Man hört das Wort "Dienstleistungsgesellschaft" häufig als einen Einwand gegen die Marxsche Analyse, der ja in Band 1 nur die Warenproduktion beschreibt? Das ist leider Unsinn. Erstens, Marx versteht die Dienstleistung ebenfalls als eine Ware, mit der Besonderheit, dass bei ihr die Produktion und die Konsumtion zeitlich zusammenfallen. Das verkaufte Produkt ist nicht körperlich. Wenn ich mir eine Operette anschaue, dann konsumiere ich sie in eben jenem Moment, in dem sie erzeugt wird, abzüglich der Differenz der Signal-, sprich Schall- und Lichtgeschwindigkeit vielleicht. Aber wir wollen keine Erbsenzähler sein. Zweitens, inwiefern ist der Verweis auf den Dienstleistungssektor ein Einwand gegen die bisherigen Bestimmungen? Auch sie werden, sofern nicht vom Staat gestiftet, nur auf Basis eines in Aussicht stehenden Mehrwerts produziert.

Einwand 6: Die Arbeiter können sehr wohl mitreden bei Produktionsentscheidungen

Es wurde im Forum bestritten, dass das Kapital allein über die Produktion entscheidet. Den Staat als maßgeblichen Akteur über das Produktionswesen haben wir inzwischen abgehandelt (s. Einwand 4). Als Gegenbeispiel wurde das betriebliche Vorschlagswesen und die Entwicklungsabteilung angeführt. Really?

Der Name "Vorschlagswesen" sagt doch schon von sich aus, welche Rolle hierbei dem Arbeiter zufällt. Er darf halt vorschlagen. Warum auch nicht? Er arbeitet an der Front und weiß aus der so gewonnenen Expertise, wo sich am Arbeitsplatz was verbessern lässt. Dabei kommen Ideen heraus, auf welche die Verwalter des Kapitals von sich aus vielleicht nicht gekommen wären. Wird auf Vorschläge auch eingegangen? Ja klar, sofern sie sich für die vorgeschlagene Maßnahme ökonomisch oder politisch lohnen oder der Staat den Unternehmer dazu zwingt, sie umzusetzen, z.B. in puncto Arbeitsschutz. Wenn die Idee gut ist, wird sie sogar großzügig vergütet. Eine häufige Verlaufsform des Vorschlagswesens ist es aber auch, dass ein Vorgesetzter, als Mittelsmann zwischen Arbeiternehmer und Arbeitgeber, den eingebrachten Vorschlags als eigene Idee vorstellig macht.

Das Wort "Vorschlagswesen" beschreibt sehr gut die Rolle heutiger Gewerkschaften. Sie dürfen dem Kapital helfen, den Standort aufrechtzuerhalten. Sie dürfen Vorschläge machen, wie man z.B. eine Massenentlassung am effizientesten abwickelt und dabei gleichzeitig die Spitzen aus den zugemuteten Härten herausbügelt. So können sie sich also sozialpolitisch beteiligen und dies ihren Mitgliedern als großen sozialen Beitrag vermarkten. Die lassen sich aber nicht lumpen, weshalb die Gewerkschaften seit Jahren unter Mitgliederschwund leiden. Sie haben es ohnehin nicht in der Hand. Das Kapital wandert ins Ausland ab und sie können dabei nur zusehen.

Halt doch! Sie könnten sehr wohl etwas dagegen tun: sich mit der Arbeiterschaft des besagten Auslands solidarisieren, kapitalismuskritische Massenagitation betreiben und Sammlungspunkt einer solchen Bewegung organisieren, den Verkehr lahmlegen (wie es immerhin die Eisenbahnergewerkschaft wenigstens versucht hat), für den Generalstreik mobilisieren, um Druck auf die Politik auszuüben, ja gar mit der Übernahme des Staates drohen bzw. diese tatkräftig angehen, wie etwa die anarchosyndikalistische Confederación Nacional del Trabajo (kurz: CNT) in Spanien zur Zeiten des dortigen Bürgerkriegs, die zu dieser Zeit wohl angeblich die größte Gewerkschaft der Welt war. Sie war eben deshalb so groß, weil sie ihren Mitgliedern etwas anderes als "Lohnsklaverei" versprach.6 (Aber der Lohn ist ein ganz anderes Thema. Wir kommen auf ihn später in der Artikelserie noch zu sprechen).

Und die besagte Entwicklungsabteilung? Neue Ideen zu generieren ist ihr Job. Das ist, wenn man so will, ihr Produkt, ihre Ware. Sie ganze Abteilung steht genauso unter dem Vorbehalt des Mehrwerts wie andere Waren. Wenn die gesamte Entwicklungsabteilung nichts Gescheites auf die Reihe kriegt, wird sie eben eingestampft und man besinnt sich auf das Kerngeschäft oder macht den Laden gleich dicht. Eventuell holt man sich Expertise von außen, dem Geschäftsfeld der externen Consulter wie McKinsey & Co.

Von anderen Forenten gab es den Einwurf, dass die Arbeiter doch immerhin als Konsumenten über die Produktion entscheiden. Wie tun sie das? Indem sie einfach nur die Güter kaufen, die sie wollen. Ums Kaufen kommen sie ja sowieso nicht umhin. Indem sie ja aber ein Produkt kaufen, geben sie ihre Stimme ab: ja, dieses Produkt braucht es! Und indem sie ein Produkt mit einem Umwelt- oder Fair-Trade-Siegel kaufen, diktieren sie eben auch die Produktionsbedingungen. So jedenfalls die Illusion. Diese ganze Abteilung der bürgerlichen Ideologie läuft unter dem Titel "Konsumkritik", ein schwer angesagtes Thema.

Aber es ist zu weit, um es mit einem Absatz abzutun. Vielmehr wäre es eins für eine weitere Artikelserie. Aber wenn man sich tatsächlich für die marxistische Perspektive interessiert auf das Thema, hat man ja jetzt ein Stichwort für die eigene Recherche.

Zu guter Letzt werden noch ein Beispiel für ein ungeschicktes ad-hominem-"Argument" und ein Beispiel für eine Gegenstandsverschiebung, mit denen Marxisten immer wieder konfrontiert werden, vorgestellt.

Einwand 7: Geh doch erstmal arbeiten!

Der Kapitalismus ist eine Wirtschaftsordnung, der man die Ausbeutung nicht unmittelbar ansieht (vgl. dazu Teil 4 der Artikelserie), man muss sie sich erschließen. Tut man das nicht, stellt sie sich gar als ihr Gegenteil dar. Nachdem er erst einmal mit Gewalt blutig durchgesetzt wurde - Marx behandelt das Thema in der ursprünglichen Akkumulation -, verfielen die Arbeiter nach und nach auf all die Illusionen der kapitalistischen Produktionsweise. In dieser Optik erscheinen marxistische Agitatoren nicht als solche, welche die Arbeiter dazu theoretisch ermutigen, sich vom Joch der Ausbeutung zu befreien, sondern als reine Störenfriede.

Da der theoretisch ungeschulte Arbeiter - wer will es ihm auch verübeln? -, dem marxistischen Intellektuellen argumentativ ohnmächtig gegenübersteht , verfällt er landauf, landab immer wieder auf das blödeste aller "Argumente": Geh doch erstmal arbeiten! Als ob das irgendwas zur Klärung und Aufklärung beitragen würde. Im Grunde zeugt dies nur von Hilflosigkeit, denn ein Argument ist es jedenfalls nicht. In der Weltanschauung solch eines Arbeiters, der meint, in der besten aller Welten zu leben, kommen ihm die Marxisten doch glatt wie Taugenichtse vor, die sich die Schwielen an den Händen erst noch verdienen müssen, bevor sie ihr Maul aufreißen. Das liest sich dann zum Beispiel so:

Ja dann mach doch mal eben, du Klugscheißer! Wenn das ja nichts ist und so toll und einfach, dann fordere ich dich auf, ein Unternehmen zu gründen und zu entwickeln, dass einen siebenstelligen Jahresumsatz aufweist, nur um uns die Richtigkeit deines Gefasels zu beweisen. Kannst es ja danach wieder dicht machen! Und heule bitte nicht rum, du hättest kein Kapital, das kriegst du bei der Bank für fast keine Zinsen. Und da ja nach deinen Erklärungen alles so einfach ist, sobald das Kapital einmal da ist, und man nur noch die Leistungen anderer zusammen schmarotzt, besteht ja quasi gar kein Risiko einer Bruchlandung, oder dass du dich ruinierst, was dich ja eh nicht scheren dürfte, werter Genosse.

Forent "lolbob"

Was soll das denn bitte überhaupt beweisen? Es wurde ja gar nicht behauptet, dass Kapitalisten notwendig Idioten sind, die nichts könnten. Ich habe nicht bestritten, dass nicht ein gewisses Geschick dazu gehört, die von mir gelisteten Betriebsbedingungen zu organisieren. Nur was soll daraus folgen im Hinblick auf Eigentumsfragen? Und überhaupt, wie soll ich mit der vorgeschlagenen Beweismethode das Verlangte erreichen, also zu zeigen, dass es der Kapitalist ein heller Kopf sein? Nach dieser Logik doch wohl nur, indem ich selbst an der vorgelegten Aufgabe scheitere. Und wenn ich wider des Forenten Erwartung erfolgreich sein würde, was hieße das dann? Welche Schlüsse folgen daraus? Würde ich damit beweisen, dass es für einen erfolgreichen Kapitalisten letztlich nicht mehr braucht, als ein Taugenichts wie ich zu sein?

Hier passt vorne und hinten nichts zusammen. Soll hier mit einem Einzelbeispiel eine allgemeine Aussage empirisch bewiesen werden? Im Grundkurs Logik habe ich etwas gelernt, nämlich dass genau das nicht geht, das nennt man eine unvollständige Induktion. Aber nicht erst im besagten Kurs, solche Methoden des Denkens sind im Grunde leicht vermittelbares Allgemeinwissen.

Ein klitzekleiner erkenntnistheoretischer Einschub, der sich eigentlich von selbst verstehen dürfte: Mit der Analyse eines ökonomischen Sachverhalts oder überhaupt eines wissenschaftlichen Gegenstands im Allgemeinen hat meine oder irgendeine Person rein gar nichts zu tun. Kriterien für Wissenschaftlichkeit sehen ja gerade vom Urheber eines Arguments vollständig ab, sie sollen gerade gelten, egal wer das Argument vorbringt. Das macht sie erst objektiv. Allein der Verweis auf die bloße Autorität war noch nie ein gültiger Prüfstein dafür, ob eine Aussage richtig oder falsch ist. Nicht Marx ist das Argument, sondern das Argument ist das Argument, und Marx trägt es lediglich vor. Es muss aber gänzlich unabhängig von ihm eine Richtigkeit beanspruchen können, sonst taugt es nichts.

Einwand 8: Marxisten sind Blutsäufer

Natürlich ist es dem Leser unbenommen, die wirklichen Inhalte des Artikels als beliebigen Vorwand aufzugreifen, um sich dann über ganz andere Dinge in Rage zu tippen. Nur muss man fairerweise auch einwenden, dass das mit mir und den von mir dargelegten Argumenten ebenfalls rein gar nichts zu tun hat. Es wurde mehrmals auf verschiedene Weise behauptet, ich würde dem Stalinismus zuarbeiten und - ich paraphrasiere mal - in Berlin einrollende Panzer herbeisehnen. Das ist eine freche Unterstellung.

Eine Kritik dieser Wirtschaftsordnung und ihren Funktionsweisen ist nicht automatisch gleichzusetzen mit der Gutheißung der wirklichen oder vermeintlichen - weil bloß unterstellten - Fehlern anderer Wirtschaftsordnungen, wie etwa dem Realsozialismus östlicher Prägung oder dem kommunistisch bemäntelten Kapitalismus Chinas. Mit Kommunismus hat letzteres nur sehr wenig zu tun, mit einem verspäteten nationalen Aufbruchsprogramm eines abgehängten Agrarstaats in die hochindustrialisierte Staatenkonkurrenz aber um so mehr.

Die welthistorischen Projekte aufsässiger Völker der Neuzeit, den Kapitalismus auf dem jeweiligen Boden ihres Landes gänzlich abzuschaffen, einzuschränken oder zu modifizieren, sind jeweils ein großes Thema für sich und können hier unmöglich behandelt werden. Das wäre vielleicht ein Thema für eine weitere Artikelserie, die sich damit befasst, wie man eine alternative Gesellschaftsform besser nicht einrichtet, wobei ich die bisherigen Versuche auch nicht großkotzig paternalistisch abwatschen möchte. Es waren halt Versuche.

Man hat immerhin erkannt, dass es so nicht weiter gehen kann und das Kapital große Teile der Bevölkerung notwendig ins Elend stürzt - nicht weil es böse ist, sondern, weil es seiner Logik entspricht. Dennoch lassen sich einige Fehler von der Sorte "hätte man auch vorher wissen können" durchaus benennen, weil es ja zum Teil genau die Fehler des Kapitalismus sind, die in die neue Wirtschaftsordnung hinübergerettet wurden. Aber die muss man halt vorher auch erst einmal kennen, sonst kann man sich ewig an vermeintlichen Alternativen abarbeiteten, die keine sind. Insofern gehört vom Standpunkt einer Kapitalismuskritik die Besprechung solch alternativer Systeme - UdSSR, Jugoslawien, China, Kuba, Vietnam, Pariser Kommune, Katalonien während des spanischen Bürgerkriegs etc. - hinten angestellt. Erst einmal ist angesagt, die hiesige Gesellschaft zu verstehen, sonst ist jede Alternative bloß Fantasterei.

Aber auch "Transformationsprozesse" (Revolution, Putsch, Generalstreik, Reformation oder gar selbstständige Hinentwicklung auf Basis der Eigendynamik des Kapitalismus etc.) sind ein weites Thema für sich und haben rein gar nichts mit den bisher dargebrachten Argumenten im Artikel zu tun. Jedenfalls sind alternative Systemformen nicht über Nacht entstanden, es hat von Fall zu Fall Jahre bis Jahrzehnte gedauert, sie gegen imperialistischen Widerstand durchzusetzen, täglich mussten politischen Entscheidungen getroffen werden, die sich an der jeweiligen, tagesaktuellen Realität abarbeiteten. Eine sorgfältige und wissenschaftlich redliche Analyse müsste diesen Momenten Rechnung tragen, anstatt sie erstens alle in einen Topf zu werfen, wie das viele Forenten tun, und zweitens mit dem unsinnigen Stichwort "100 Millionen Tote unter Stalin" abzutun. Es gab Gründe, warum der Osten "untergegangen" ist, und es sind nicht diejenigen, die sich die Forenten denken, manche sind sogar genau das Gegenteil davon.

Eine beliebte, aber unsinnige Behauptung, der Realsozialismus sei nicht im Stande gewesen, seine Bevölkerung mit dem zu versorgen, was sie will7, daran sei er gescheitert. Dabei wird die Kaltkriegfront, die der Westen dem Osten direkt nach dem Weltkrieg unter Androhung der Atombombe aufgemacht und die Sowjetunion zur Totrüstung gezwungen hat, z.B. komplett ausgeblendet. Dass die USA nicht gleichermaßen kaputt gegangen ist, liegt daran, dass sich dort die Waffenproduktion als Geschäft organisiert, während im Osten jede Betätigung in dieser Branche ein tatsächlicher Abzug von der staatlichen Wohlfahrt ist.

Wenn der Realsozialismus etwas konnte, dann ist es genau das Gegenteil der Behauptung: Jedes hinterletzte Dorf an der nordsibirischen Küste mit den wichtigsten Lebensressourcen zu versorgen, hat er jedenfalls hingekriegt. Etwas, was die marktwirtschaftlichen Nachfolgestaaten der Sowjetunion eben nicht mehr hinbekommen haben, weil sich daraus kein Geschäft machen lässt. Heute ist der Osten überzogen mit verwaisten Geisterdörfern und Geisterstädten und verwaister Infrastruktur. Und ausgerechnet diese immense Versorgungsleistung soll Ausdruck einer unterlegenen Wirtschaftsweise sein?

Es stimmt auch nicht, dass der Osten allein am unzufriedenen Volkswillen gescheitert ist. Wenn man sich die einzelnen Staaten mal genau anschaut, wird man erkennen, dass die Sache sich anders darstellt als das offizielle Narrativ. Hier zwei knappe Beispiele.

Beispiel 1: Sowjetunion. Das ach so blutige kommunistische Regime befragte am 17. März 1991 in einem Referendum das Volk, wie es um die Zukunft der Nation fortan stehen soll. Mit einer Wahlbeteiligung von ca. 80 % und etwa 70 % Zustimmung entschied sich das Volk für den Weiterbetrieb der UdSSR. Aber Russland unter Jelzin, die Ukraine unter Krawtschuk und Weißrussland unter Schuschkewitsch, allesamt radikale wie naive Verfechter der Marktwirtschaft, haben die wechselseitige Unabhängigkeit gerade an Volk und Parlament vorbei beschlossen und die anderen Republiken vor vollendete Tatsachen gestellt (Stichwort: Vereinbarung von Belovezha, 8.12.1991).

Beispiel 2: Rumänien. Das offizielle Narrativ im Westen, ja sogar in Rumänien selbst, ist, dass es sich um eine Revolution des Volkes gegen das verhasste Regime gehandelt hat. Es ist inzwischen aber längst hinlänglich gut dokumentiert, dass es ein verdeckte Operation des CIA unter französischer Beteiligung war, inklusive der unverhohlenen Geständnisse der Beteiligten vor laufender Kamera. Interne Parteimachtkämpfe spielten dabei wie in der UdSSR natürlich auch eine Rolle.

Zuletzt möchte ich noch eingehen auf den häufigen Vorwurf, die Sowjetunion wäre nicht in der Lage gewesen, mit dem kapitalistischen Fortschritt mitzuhalten. Was den Charakter des kapitalistischen Fortschritts angeht, darauf wird noch in Teil 5 der Artikelserie ausführlich eingegangen. Da stellt sich vor allem die Frage, wem dieser Fortschritt dient.

Was die Sowjets angeht, so hat es an Wissenschaft und Fortschritt jedenfalls nicht gemangelt, auch an der technischen Umsetzung nicht. Als Wissenschaftshistoriker, aber auch als Sohn eines sowjetischen Industriekombinatsleiters, kann ich dies aus erster Hand nur bestätigen. Man muss sich das nur einmal vor Augen halten. Ein Agrarstaat vollzieht unter den widrigen Bedingungen zweier Weltkriege und eines Bürgerkriegs innerhalb von nur einer Dekade die Industrialisierung, und innerhalb von nur einer halben Generation den Übergang zu einer militärischen Weltmacht, er garantiert die Versorgung mit allem Lebenswichtigen für das gesamte Volk und leistet sich darüber hinaus auch noch den Luxus, andere Staaten zu subventionieren (Kuba, Afghanistan etc.). Ferner gewinnt er in fast allen Punkten das Space Race, spielt in fast allen wissenschaftlichen Disziplinen eine weltweit führende Rolle, nicht nur in den Naturwissenschaften, Technik und Mathematik, auch in kulturellen Fächern. Jedenfalls hat es an Orientalisten, Künstlern und Archäologen in der UdSSR nicht gemangelt. Das muss eine Nation, die vorgestern noch in zaristischer Leibeigenschaft lebte, auch erst einmal hinkriegen.

Leute, die den angeblich mangelhaften Fortschritt im Realsozialismus bemängeln, sollten sich besser informieren und vorsichtig mit solchen Vorwürfen sein, weil sie heute von diesen Fortschritten selbst schmarotzen. Es war gerade der Brain Drain in Folge der Zersetzungserscheinungen der Sowjetunion gen Westen, der die amerikanischen IT-Branche maßgeblich bereicherte. Dieser Hinweis soll nicht dazu dienen, stolz die Brust anschwellen zu lassen, sondern einfach nur die freche Behauptung zurückweisen, der Realsozialismus würde keine technologischen Fortschritte kennen. Er kennt nicht nur Fortschritte, er kennt technische Meilensteine.

Nur um mal bei einem zeitgenössischen Beispiel zu bleiben: Das kleine Kuba, welches sich gegen den Protest der Vereinten Nationen seit mehr als fünf Jahrzehnten unter US-amerikanischem Embargo befindet, und deshalb nie seine Industrialisierung effektiv durchziehen konnte, ist trotz dieser extrem widrigen Bedingungen immerhin in der Lage, eine leistungsstarke Bio- und Pharma-Technologie auf die Beine zu stellen. Dort werden medizinische Präparate entwickelt, von der US-amerikanische Wissenschaftler schwärmen, weil sie sie nicht haben und wohl auch noch technisch nicht in der Lage sind, sie zu plagiieren. Medikamente gegen verschiedene Krebsarten (Racotumomab, VSSP, Nimotuzumab), insbesondere Lungenkrebs (CimaVax), ohne toxische Nebenwirkungen, die auch in der Produktion wohl auch noch extrem preisgünstig sind und kubanischen Bürgern sowieso kostenlos zukommen; oder z.B. Medikamente gegen diabetisinduzierte Fußgeschwüre, die mangels Alternative überall sonst auf der Welt mit einer traumatischen Amputation behandelt werden.

Aber ja, man kann auch weiterhin denken, dass sozialistische Staaten nichts auf die Kette bringen. Nur sollte man sich auch vor Augen halten, dass man an solchen Behauptungen leicht blamiert werden kann.

Am Fortschritt ist relevant, wem er zum Nutzen gereicht, den Bewohnern des Landes oder einem schnöden Geschäftsinteresse. Was nützt der Fortschritt, wenn er zwar vorliegt, aber für diejenigen, die ihn brauchen, unerschwinglich ist? In USA scheitern regelmäßig und massenhaft Erkrankte daran, dass sie sich die jeweilige Therapie oder Medikamente nicht leisten können. Pech gehabt. Familien nehmen Kredite auf, um ein Mitglied heilen zu lassen, und ruinieren sich darüber dauerhaft finanziell. Diese Behauptung war jedenfalls einer der Kernthesen im Wahlkampf von Bernie Sanders. In Kuba ist die Staatsräson eben eine völlig andere als beim nördlichen Nachbarn.

Da wundert es auch nicht, dass dort der staatliche Katastrophenschutz viel effektiver ist als beim hochtechnologisierten Nachbarn. Bei jedem Hurrican sterben dort deutlich weniger Menschen als in Florida, obwohl es beide Landstriche meist mit gleicher Wucht erwischt.

Ein Forent behauptete, der Fortschritt im Kapitalismus sei allein schon deshalb notwendig schneller, weil dort jedes Talent an seinem Platz wirken könne, an seinem Traumarbeitsplatz, wo man sich verwirklichen könne, während im Osten die Parteibonzen entscheiden, wer wohin kommt. Das sei ineffektiv. Nun, zunächst einmal scheitert(e) in diesen angeprangerten Ländern niemand an der Finanzierung des Studiums. Wie viele helle Köpfe hat die kapitalistische Gesellschaft allein schon auf diese Weise von der Wissenschaft abgehalten? Außerdem lässt sich das Argument leicht umdrehen: Im Kapitalismus arbeiten die Fachkräfte dort, wo ihnen der meiste Lohn geboten wird, oder wenigstens überhaupt einer, wenn die Konkurrenz zu stark ist, nicht jedoch dort, wo sie am besten gesellschaftlich wirken können. Man sollte sich ferner mal schlau machen über das Berufswahl- und Bewerbungswesen, bevor man solche steilen Thesen aufstellt, die vollkommen an der Realität vorbei gehen.

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