Maryam H.: Femizid oder Ehrenmord?

Seite 2: Die Erklärung "Mann" reicht nicht

Vermutlich am 13. Juli 2021 wurde Maryam H. ermordet, laut Staatsanwaltschaft Berlin stehen zwei Brüder unter dringendem Tatverdacht. Diese sollen die Leiche der Schwester in einen Rollkoffer verfrachtet, per Fernbahn nach Bayern transportiert und dort in einem Waldstück vergraben haben. Wie die Kollegin Claudia Wangerin im Telepolis-Artikel "Morde im Namen der Ehre oder 'Das sind keine Äpfel, das ist Obst'" berichtete, war Maryam H. Mutter zweier Kinder, geschieden und lebte in einer neuen Beziehung. In der Welt ihrer Brüder eine "ehrlose" Frau, die nicht nur ihre eigene, sondern auch die "Ehre" der Familie beschmutzte, die wieder herzustellen die Brüder sich bemüßigt fühlten.

Nach Bekanntwerden der Tat und der vermuteten Umstände fiel das Stichwort "Ehrenmord". Die Berliner Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) betonte angesichts dessen laut Tagesspiegel: "Das ist kein Ehrenmord, das ist Femizid." Jeden dritten Tag werde in Deutschland eine Frau von ihrem Partner umgebracht, so die Senatorin. Der Begriff "Ehrenmord" fokussiere die Herkunft der Tatverdächtigen, adressiert werden müsse aber deren Geschlecht.

Damit hat sie Recht und Unrecht gleichermaßen. Fakt ist, Morde aufgrund des Geschlechts, beziehungsweise eines Verstoßes gegen die dem Geschlecht zugeschriebene Sexualmoral werden fast ausschließlich von Männern begangen. In Deutschland betrifft dies hauptsächlich Frauen, die sich der Bevormundung durch einen (Ehe-)Partner entziehen wollen, aber auch Prostituierte, Homosexuelle und Transpersonen; wenngleich Morde an männlichen Homosexuellen und Transpersonen nicht als Femizid gelten. Fakt ist aber auch, die Täter morden nicht, weil sie als Männer genetisch darauf geeicht sind, sondern aufgrund ihrer patriarchalen Weltsicht. Diese wiederum resultiert aus ihrer Sozialisation. In einer Welt, in der Männer morden, schlicht, weil sie biologische Männer sind, würde wohl niemand von uns leben wollen.

Dennoch ist auch in westlichen Gesellschaften auffällig, dass körperliche und sexualisierte Gewalt in erster Linie männlich ist. Jedenfalls unter Erwachsenen, bei Gewalt gegen Kinder sieht es anders aus, da werden durchaus auch Mütter zu Täterinnen. Daran lässt sich erkennen, dass die Ausübung von körperlicher - auch sexualisierter - Gewalt etwas mit Macht, beziehungsweise einem Machtgefälle, zu tun hat.

Es ist nur wenige Monate her, da wurden solche Taten noch völlig selbstverständlich als "Beziehungstaten", "Familiendrama" und dergleichen bezeichnet. Dass jetzt auch in Medien der Begriff "Femizid" verwendet wird, und auch Senatorin Breitenbach die Tat als solchen einordnet, ist schon mal ein Fortschritt, für den Frauenrechtlerinnen lange gekämpft haben. Doch auch für "Mord" und Femizid" gilt: "Das sind keine Äpfel, das ist Obst".

Mord ist der Oberbegriff, Femizid eine spezielle Form, juristisch häufig nicht einmal als Mord, sondern als Totschlag oder gar Körperverletzung mit Todesfolge geahndet. Das macht hinsichtlich des Strafmaßes einen erheblichen Unterschied. Und es wirft ebenfalls die Frage nach dem Wert des Lebens einer Frau auf.

Es geht um die Sozialisation der Täter

Nur, wie die Kollegin schon schrieb, reicht es nicht, in diesem Fall von "Femizid" zu sprechen. Und im Grunde weist Elke Breitenbach selbst darauf hin, dass es sehr wohl auf die feinen Unterschiede ankommt, wenn sie sagt: "Und ich habe leider keine Idee, wie man Männer besser integrieren kann." Weiter sagt sie: "Es geht nicht um die Herkunft und die Nationalität der Täter, es geht um die Frage des Geschlechts." Und genau das ist der Denkfehler. Wie bereits erwähnt, Männer morden nicht, weil sie Männer sind, sondern aufgrund ihrer Sozialisation. Und die Sozialisation junger afghanischer Männer unterscheidet sich nun mal ganz grundlegend von der Einheimischer. Jedenfalls in den allermeisten Fällen.

Wenn wir den Mord an Maryam H. verstehen wollen, dann müssen wir uns mit der Sozialisation der mutmaßlichen Täter befassen. Im Ranking der gefährlichsten Orte für Frauen steht Afghanistan nach Indien an zweiter Stelle. Dieses Ranking zielt auf weibliche Reisende ab. Doch auch der Alltag für einheimische Frauen ist in Afghanistan alles andere als rosig. Frauen haben in Afghanistan nicht einmal einen Namen, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Sie sind die "Tochter von …", die "Schwester von …", die "Ehefrau von …". Nicht einmal in die Geburtsurkunde wird der Name der Mutter eingetragen.

Laut der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale stand auch vor den jüngsten Gebietsgewinnen durch die Taliban ein Großteil der weiblichen Bevölkerung unter der Knute religiöser Moralwächter, was bis heute auch für Gebiete gilt, die noch nicht von den Taliban zurückerobert wurden: Staatliche Gesetze, religiöse Regeln und lokale Konfliktlösungsmechanismen überschneiden und widersprechen sich, ein großer Teil aller Konflikte wird durch Dorfräte beigelegt. Das heißt in der Praxis: Wenn Frauen in Konflikte involviert sind, werden ihre Rechte bei der Lösung nicht berücksichtigt. Entscheidend waren und sind lokale Machtverhältnisse, Traditionen, frauenfeindliche Auffassungen des Islam und die Versöhnung der beteiligten Familien.

Afghanische Frauen dürfen nach den gängigen Moralvorstellungen in der Öffentlichkeit nicht laut sprechen, das Haus dürfen sie nur in Begleitung eines männlichen Verwandten verlassen - und für sie gilt strikte Kleiderordnung, die Burka, sprich Ganzkörperverschleierung. Und zwar eine spezielle Form der Burka, bei der auch die Augen durch ein Stoffgitter verdeckt sind. Diese müssen sie auch im Haus tragen, sofern sich männliche Wesen darin aufhalten. Das gilt beispielsweise auch für adoptierte/angenommene Brüder, adoptierte Mädchen sind immer gezwungen, sich zu verhüllen. Die Fenster im Erdgeschoss und im ersten Stock sollen abgeschirmt sein, damit ja niemand ein zum Haushalt gehörendes weibliches Wesen von außen erkennen kann.

Zwangs- und Kinderheiraten sind weit verbreitet, im Falle von Vergewaltigungen wird nicht selten die Frau als Täterin angeklagt und verurteilt. Weil in dieser verquasten Moral die Frau per se die Sünderin ist und den Mann verführt. Das gilt übrigens auch in Katar. Frauen, die zur WM reisen und Opfer von Sexualstraftaten werden, müssen damit rechnen, dass sie inhaftiert, angeklagt und verurteilt werden. Nur: Wer sagt das den weiblichen Fußballfans?

Vergewaltigung und nicht-eheliche Verhältnisse sind häufig der Grund für Ehrenmorde, nicht nur in Afghanistan, sondern in verschiedenen islamischen Ländern und auch in islamische geprägten Communities in der westlichen Diaspora. Auch ein vergewaltigtes Mädchen beschmutzt in dieser streng patriarchal und religiös determinierten Welt die "Ehre" der Familie. Da "hilft" entweder die Heirat mit dem Peiniger oder eben Ehrenmord.

Seit 2001 haben Frauen in Afghanistan formal Rechte erstritten, u.a. das Recht auf den eigenen Namen. Doch das Land ist auch ohne die Taliban ein Scharia-Staat und die formalen Rechte werden jedoch von den Stämmen und Dorfräten negiert. Aktuell erobern die Taliban das Land Stück für Stück zurück und die erstrittenen Frauenrechte sind damit komplett hinfällig. Frauen, die sich aktiv und öffentlich für ihre Rechte einsetzen, die misshandelte Frauen betreuten, Mädchen vor Zwangsheirat schützten, müssen um ihr Leben fürchten. Viele von ihnen werden nicht überleben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.