Mehr Spaß mit E-Commerce

Die Bahn und das spannende Wechselspiel zwischen analoger und digitaler Welt

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Kino ist langweilig. Und Surfen ödet auf die Dauer an. Wer wirklich Spaß haben will, der geht dahin, wo es ordentlich kracht. An die Schnittstelle zwischen E-Commerce und Wirklichkeit. Zum Beispiel bei der Deutschen Bahn.

Schön war die Zeit damals. Noch in den 70ern konnte man an fast jedem Schalter handgedruckte und exakt ausgearbeitete Bahnbillets bekommen. Diese gelben Pappen wurden in den 80ern durch Tickets ersetzt, deren Nadeldruck schon von Siemens-Computern gesteuert war und deshalb klemmen konnte. Tippfehler schlichen sich ein - "Entschuldigen Sie, ich will nach Berlin, nicht nach Belfast". Diensteifrige Schalterangestellte gaben und geben heute noch komplizierte, dreistellige Codes von sich, und schon reserviert sich im Normalfall eine Hin- und/oder Rückfahrt. Unternehmen Zukunft.

Der neueste Schrei sind das Buchen via Internet und Do-it-Yourself-Automaten am Bahnhof. Vor allem beim Kartenkauf am blauen Schalterkasten kann daraus ein spannendes Wechselspiel zwischen analoger und der digitaler Welt entstehen.

Wer richtig Spaß haben will, versuche, eine Hin- und Rückfahrt unter 100 Kilometer Entfernung über das seltsame Interface selbst zu erstehen. Das ist eigentlich kein Problem. Der Automat spuckt schon nach zirka 12 Tastenbefehlen und 10 Minuten Hantierzeit dieses Ticket in Briefmarkengröße aus. Bezahlt wird mit VISA oder EC. Das erleichtert der Bahn die Abrechnung. E-Commerce soll ja nicht nur dem Kunden zugute kommen.

Allerdings hat dieser Bestellvorgang einen kleinen Schönheitsfehler: Hin- und Rückfahrt - und da ist der Automat beamtischer als es die Herren und Damen mit ihren gelben Pappen je waren - müssen an einem einzigen Tag angetreten werden. Es steht deutlichst auf dem Ticket: "Hinfahrt bis" und "Rückfahrt frühestens am". Und der Automat druckt hier die gleichen Datumsangaben. Programmiererdeutsch, aber nicht unlogisch. Eine spätere Rückfahrt sieht die Software übrigens nicht vor. Wer übernachtet, macht sich zum Betrüger.

Das sollte man übersehen, und dann kann der Spaß richtig losgehen. Man fährt also einfach einen Tag später als per Ausdruck erlaubt zurück und wird dann vom Schaffner zur Rede gestellt, da man kein gültiges Ticket mehr habe. Alle Ausreden helfen nichts, das fordert nach den Dienstvorschriften einen roten Zettel mit 60,- DM Gebühren. Egal, dass das Ticket preisidentisch mit zwei getrennten Fahrkarten ist, dass man auf die fehlerhafte Software hinweist, selbst in einem halbleeren Zug. Das Ticket gilt, und ein Ticket ist ein Ticket ist ein Ticket.

Zur Überweisung der Gebühr darf auch nur ein bestimmtes, mitgeliefertes Formular benutzt werden. Online-Banking ist nicht vorgesehen. Innerhalb von sieben Tagen hat man dieser Aufforderung zum Bankgang Folge zu leisten, außerdem ist bei all dem keine Telefonnummer oder Email wegen einer Beschwerde angeben.

Also nichts wie ins Internet und zu www.bahn.de . Die Pressesprecher sind aufgeführt - allerdings nur mit Telefonnummer, Email würde eine Tastatur am Dienstcomputer voraussetzen ... weiß man's ? -, ein Feedback-Button oder gar ein Beschwerdefeld fehlt. Mit der Volltextsuche ist aber immerhin der Webmaster und seine Mail-Adresse zu recherchieren. An den richtet man seine Bitte, die Wut des Kunden weiterzuleiten, und schon 48 Stunden später fragt auf elektronischem Wege die Beschwerdestelle an, was denn los sei.

Inzwischen sind von den 7 Tagen etwa 5 vergangen, man überweist also, um nicht Mahngebühren zu erhalten. Vorkasse, nennen wir das einfach "Vorkasse".

Nach einer weiteren Mail mit einer Fallschilderung wird man aufgefordert, den Fall noch einmal per Fax zu schildern und die Unterlagen dem Fax beizufügen. Also ein Fax. Gut. Kein Problem, wegen der Stunde will man nun auch nicht kleinlich sein.

Wenige Tage später kommt ein weiteres Email von der zentralen Beschwerdestelle, man möge doch in Frankfurt anrufen. Klar, kein Problem. Der Herr ist auch leicht zwischen 10.00 Uhr und 16.00 Uhr zu erreichen. Bevor man hier allerdings zu Wort kommt, wird man höflich gebeten, auf einen Rückruf der regionalen Beschwerdestelle zu warten. Der Rückruf kommt auch. Ein Räderwerk der Effizienz spult sich vor einem ab.

Dieses Mal kennt man den Fall schon und murmelt nur: "Ach ja, der Automat, da haben wir noch Schwierigkeiten." Mhm. Wieso weiß das die Beschwerdestelle und außer ihr sonst niemand? So erzeugt sich das Vertrauen in den E-Commerce, das alle Welt so sehnsüchtig erwartet. Man hat als Kunde zu akzeptieren, dass man der Bahn Kosten durch einen Automaten mit direkter Abbuchung spart und dann zur Belohnung mit spitzfindigen Tickets traktiert wird. Man hat als Kunde die Risiken eines Irrtums (der keine weiteren Konsequenzen für die Bahn hat, denn das Ticket wurde ja sauber abgebucht) selbst zu tragen und dann im Zug von gestressten Schaffnern auch noch belehrt und wie ein Schwarzfahrer behandelt werden. Aber nur, wenn man sich nicht stundenlang wehrt. Kundenzeit kostet nix.

Schade eigentlich. Dabei klang das alles so schön. Schnell im Internet oder direkt am Automaten die eigene Karte programmieren. Wie im Kino eigentlich, nur teurer. Die Bahn kommt, aber der Kunde bleibt lieber am Schalter, weil er nicht filmreif von Helden im blauen Anzug zur Schnecke gemacht werden will. Das ist sein gutes Recht. Und alles andere wäre auch kein netter Zug.

P.S.: Die Bahn wurde mehrmals um Stellungsnahme gebeten. Die Beschwerdestelle hat sie auch versprochen. Wir wollten mit dem Artikel aber nicht so lange warten. Das Leben eines Menschen ist zu kurz für den Kontakt mit der Bahn.