Mein Feind, der Wal ist tot
Genanalysen lassen vermuten, dass die Wal-Populationen weitaus mehr dezimiert sind als bisher befürchtet
Forscher von der Stanford und der Harvard Universität berechnen die Populationsstärke von Walen anhand der genetisch bestimmbaren Artenvielfalt. Ihre Ergebnisse in Science lassen keinen Zweifel, dass 10 Tsd. Buckelwale (Megaptera novaeangliae), 56 Tsd. Finnwale (Balaenoptera physalus) und 149 Tsd. Zwergwale (Baleanoptera acutorostrata) ein bescheidener Rest sind im Vergleich zur anfänglichen Artenvielfalt.
"Die International Whaling Commission (IWC) ist die wichtigste Organisation, die den Walfang regelt. Danach ist kommerzieller Walfang erlaubt, solange die Population etwas mehr als die Hälfte der historischen Zahlen erreicht. Für die Berechnungen werden unbewiesene Beobachtungen aus dem 19. Jahrhundert zugrunde gelegt", erklärt der Studienleiter Stephen R. Palumbi von der Hopkins Marine Station der Standford Universität. Joe Roman vom Department of Organismic und Evolutionary Biology an der Harvard Universität ergänzt:
Es ist hinreichend bekannt, dass der Walfang alle Walarten beängstigend dezimiert hat. Die früheren Logbücher mögen zwar Anhaltspunkte geben, indes dürften sie unvollständig sein, weil falsch gezählt, durch absichtlich gering gehaltene Zahlen oder fehlerhafte Angaben über den Fangerfolg.
Unsere Untersuchungen sind der erstmalige Ansatz, mit genetischen Methoden statt mit dem Zählen der Wale die tatsächliche Zahl der Tiere zu ermitteln. Die Gene bergen Informationen über die Vergangenheit einer Population. Man kann die genetische Variation ermitteln, nämlich die Unterschiede in der DNA von einem Wal zum anderen, die Informationen kalibrieren und daraus auf die ursprüngliche Zahl der Tiere zurück schließen.
beschreibt Stephen R. Palumbi das Vorgehen. Die Formeln hat ihre Validität in der Tierwelt bereits unter Beweis gestellt. Kernelelemente sind die Mutationsrate, gemessen an der mütterlichen Mitochondrien-DNA, die genetische Vielfalt Theta, sowie die Populationsdichte der weiblichen Tiere.
Joe Roman und Stephen R. Palumbi konzentrieren sich auf Buckelwale, Finnwale und Zwergwale im nördlichen Atlantik, weil die Tiere im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vornehmlich gejagt wurden, um ihr Fett zu Kerzen, Seife und Parfüm zu verarbeiten, und aus ihren Barten die Peitschen, Schnürmieder und Stützkorsetts herzustellen. Das Fleisch der Zwergwale gilt auch heute noch in Norwegen und Japan als begehrter Leckerbissen.
"Nach der genetischen Analyse gab es im Nordatlantik von den drei Walarten zusammen 800.000 - 900.000 Tiere. Das ist ungleich mehr als man bisher vermutet hat", stellt Stephen R. Palumbi fest. Folglich sind bei den Buckelwalen nur noch 5 Prozent der erwarteten genetische Population am Leben. Bei Finnwalen sind es 16 Prozent, bei Zwergwalen 56 Prozent.
Im Licht unserer Erkenntnisse sind die Populationen von Buckel- und Finnwalen weit davon entfernt, gejagt zu werden. Zwergwale mögen näher an der von der IWC gesetzten Grenze sein. Aber auch hier muss die Freigabe zur Jagd mit weiteren Daten begründet werden
Stephen R. Palumbi
Boris Worm vom Biology Department an der Dalhousie Universität im kanadischen Halifax sieht in den neuen Ergebnissen die zusätzliche Bestätigung der Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe. Im Mai stellten sie in Nature ihre Analyse vor, wonach 90 Prozent der Gebrauchsfische abgefischt wurden.
Wale konsumieren Krill und kleine Fische. Wenn sie aber sterben sind sie Nahrung für viele andere Lebewesen. Der ausgewachsene Buckelwal wird 40 Tonnen schwer. Mit 240.000 multipliziert, wird erst der tatsächliche Verlust deutlich. Hinzu kommt, dass weder Haie noch Killerwale in die Überlegungen eingehen.
So aufrüttelnd diese Ergebnisse, so schwierig bleibt allerdings die Erklärung für die immense Diskrepanz zwischen den Schätzungen zur Populationsdichte. Stephen R. Palumbi spricht von "phantom knowledge":
Die Übereinstimmung zwischen Zahlen aus den 19. Jahrhundert vor der großen Waljagd und den heutigen Daten nach jahrelangem, zumindest teilweisen Schutz können nicht in eine verständliche Übereinstimmung gebracht werden. Andererseits kämen wir immer noch auf 75 Tsd. Buckelwale, wenn wir bei unseren Berechnungen das "worst-case scenario" annähmen. Aus wissenschaftlicher Sicht fehlt uns noch der genetische Gegenbeweis durch Zellkernanalysen in Verbindung mit besseren Informationen zu den Wechselbeziehungen, die zwischen den Walen im südlichen Atlantik und im Pazifik bestehen.
Warum müssen Wale überhaupt noch gejagt werden? Stephen R. Palumbi sieht keinen plausiblen Grund und verweist auf den Vorschlag, wonach der Tourismus, der sich auf die Beobachtung der Wale spezialisiert hat, bereits ein Millionengeschäft ist und noch weiter ausgebaut werden kann.
Die International Whaling Commission ist der falsche Adressat, auch wenn die WWF im Juni mit diesem Vorschlag an die IWC herangetreten ist und die IWC dazu selbst ein neue Kommission installieren will. Die IWC ist darauf aus, den Walfang baldmöglichst wieder freizugeben. Wir sind die Verwalter und Beschützer dieser faszinierenden Tiere und müssen sie vor dem Aussterben bewahren. Dazu gehört die detaillierte Kenntnis über die Vorgeschichte. Und dazu ist sehr viel mehr nötig als heute überhaupt bekannt ist.