"Mein Mandant ist in ein Verantwortungsloch zwischen Deutschland und der Türkei gefallen"
Seit über 3 Jahren ist der in Bremen geborene Murat Kurnaz in Guantanamo inhaftiert. Ein Gespräch mit seinem deutschen Anwalt
Murat Kurnaz war am im Oktober 2001 als 19-Jähriger von Bfremen nach Pakistan gereist, weil er dort eine Koranschule besuchen wollte. In Pakistan wurde er festgenommen und den US-Soldaten übergeben. Anfang 2002 war er bereits in Guantanamo. Während sein Fall selbst in den US-Medien für Schlagzeilen sorgte, ist die Resonanz in Deutschland eher verhalten. Deutsche Behörden wollen ihn nicht mehr ins Land lassen, weil sein Aufenthaltsrecht verwirkt habe, weil er sich länger als sechs Monate im Ausland aufhielt und keinen Antrag auf Genehmigung eines längeren Aufenthaltes gestellt hat. Das aber war in Guantanamo unmöglich. Der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke verteidigt Murat Kurnaz, er konnte allerdings bisher mit seinen Mandaten trotz des Urteils des US-Supreme Court zu Guantanamo im vergangenen Sommer nicht persönlich sprechen ("Der Supreme Court hat die Bush-Administration an die rechtsstaatliche Kette gelegt"). Deswegen sprechen Juristen auch vom rechtsfreien Raum in Guantanamo.
Warum ist ihr Mandant im Gegensatz zu Guantanamo-Gefangenen aus Spanien und Großbritannien immer noch inhaftiert?
Bernhard Docke: Herr Kurnaz hat bisher keine starke diplomatische Lobby, er ist in ein Verantwortungsloch zwischen der Türkei und Deutschland gefallen. Deutschland fühlt sich nicht verantwortlich, weil Herr Kurnaz nicht im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ist. Die Türkei wiederum hat sich lange Zeit deutlich zu wenig für ihre Staatsangehörigen in Guantanamo interessiert.
Rechtfertigt die Beweislage gegen Ihren Mandanten die weitere Inhaftierung?
Bernhard Docke: Ganz im Gegenteil: Nach der Aktenlage - und diese Bewertung wird von US-Gerichten geteilt - liegt überhaupt nichts gegen Herrn Kurnaz vor. Mein Mandant ist in Pakistan ohne Verdacht einer Straftat festgenommen und offensichtlich an US-Soldaten in Afghanistan verkauft worden. Die Inhaftierung ist ein fortwährender Skandal. Das wird mittlerweile auch in Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit so gesehen. Dazu hat u.a. die Washington Post beigetragen, die den Fall meines Mandanten auf der Titelseite ihrer Osterausgabe ausführlich behandelt hat. Der Artikel sparte nicht mit heftiger Kritik an der US-Regierung. Die Regierung wurde gefragt, warum sie nicht die Kraft hat, zuzugeben, dass sie mit der Inhaftierung eines Unschuldigen einen Fehler gemacht hat.
Vor Wochen wurde kurzzeitig gemeldet, dass Ihr Mandant freigelassen und in die Türkei abgeschoben worden sei. Wie kam diese Meldung zustande?
Bernhard Docke: Die genauen Hintergründe dieser Scheinfreilassung kenne ich bis heute nicht.Die türkischen Behörden hatten die bevorstehende Überstellung signalisiert, die türkischen Medien von einer bereits stattgefundenen Freilassung berichtet. Ärgerlicherweise stellte es sich als falsch heraus. Vielleicht wurde Herr Kurnaz mit einem anderen türkischen Guantanamo-Gefangenen verwechselt, der kürzlich freigelassen wurde.
Welche Folgen hat die jüngste Entscheidung des US-Gerichts für Ihren Mandanten?
Bernhard Docke: Die US-Regierung ist verpflichtet worden, uns Anwälte mindestens 30 Tage vor einem geplanten Transfer von Murat Kurnaz in ein anderes Land zu unterrichten, falls er dort nicht umgehend freigelassen werden soll. Das Gericht gab unserem Antrag statt, wir wollen damit Willkür und unliebsame Überraschungen, z. B. einen Transfer in ein Drittland zum Zweck weiterer Haft und möglicher Folter, verhindern. Bei einer 30 Tage-Frist könnten wir etwaige Vorhaben durch US-Gerichte stoppen lassen.
Haben Sie Hoffnung, dass Ihr Mandant bald freigelassen wird?
Bernhard Docke: Die Hoffnung habe ich schon lange, immer wieder ist sie enttäuscht worden. Wir haben bislang alle gerichtlichen Verfahren gewonnen. Doch die US-Regierung hat immer wieder Rechtsmittel eingelegt und so eine Freilassung verzögert. Das Militär hat mittlerweile aber auch selbst eingesehen, dass ein Großteil der Guantanamo-Häftlinge völlig bedeutungslos ist. Ein Teil der Gefangenen soll über militärinterne Überprüfungstribunale binnen Jahresfrist freigelassen werden. Ich kann nur hoffen, dass der Name von Murat Kurnaz ganz oben auf der Liste der Gefangenen steht, die auf diese Weise frei kommen. Der gerichtliche Kampf um die Freilassung kann jedenfalls noch dauern. Das Bundesberufungsgericht in Washington wird über die Berufung der Regierung gegen das Urteil von Richterin Green vom 31.1.05 vermutlich im August 2005 entscheiden. Dieses Urteil kann wiederum durch eine Revision zum Supreme Court angegriffen werden.