Menschenrechtsverletzungen in 152 Ländern

amnesty international legt Jahresbericht 2002 vor und beklagt sinkende Beachtung der Menschenrechte durch Antiterrorpolitik

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Dass die fortschreitende Globalisierung und die multinationale Anti-Terror-Allianz nach den Anschlägen vom 11. September nicht zwingend zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation beitragen würden, war einigermaßen absehbar. Aber der soeben von amnesty international vorgestellte "Jahresbericht 2002" lässt weit Schlimmeres erahnen. Nach Ansicht von amnesty hat sich das "Gewicht der Menschenrechte in der internationalen Politik spürbar verringert".

Insgesamt dokumentierte die Organisation für das Jahr 2001 Menschenrechtsverletzungen in 152 Ländern (2000: 149). In 47 Ländern (2000: 61) wurden Menschen ohne ordentliches Gerichtsverfahren hingerichtet, 27 Staaten (2000: 28) führten die Todesstrafe auf "legalem" Wege durch. Doch das ist nur ein kleiner Teil der alljährlichen Horrorbilanz. 111 Ländern (2000: 125) konnte die staatliche Billigung und Anwendung von Misshandlungen und Foltermethoden nachgewiesen werden, 35 Staaten (2000: 30) ließen Regimekritiker, Journalisten u.a. ganz einfach verschwinden, und 56 Länder (2000: 63) inhaftierten politische Gefangene ohne rechtsstaatliche Rückendeckung.

amnesty international beunruhigen aber nicht nur diese Zahlen und die kaum annähernd abzuschätzende Dunkelziffer. Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen ai-Sektion, kritisiert darüber hinaus, dass auch die selbsternannte Zivilisation im Rahmen der internationalen Antiterror-Allianz Gefahr läuft, mühsam erkämpfte Standards aufzuweichen:

"Regierungen rund um den Globus halten es immer öfter für legitim, im Namen der Sicherheit Menschenrechte zu verletzen oder zu beschneiden."

Zu diesen Maßnahmen gehören Lochbihlers Ansicht nach die zeitlich unbefristete Verhaftung von Verdachtspersonen ohne entsprechendes Gerichtsurteil, aber auch politisch und psychologisch folgenschwere Entscheidungen wie die des UN-Sicherheitsrates, dessen "Anti-Terror-Komitee" die Menschenrechte ausdrücklich nicht in sein Mandat aufnehmen wollte. Das hat auch Auswirkungen auf die Asylpolitik, denn darunter "verstehen viele Staaten zunehmend die Frage, wie sie Flüchtlinge davon abhalten können, auf ihr Staatsgebiet zu flüchten."

amnesty international hält die bedingungslose Gültigkeit der Menschenrechte dagegen für eine Grundvoraussetzung zur Verbesserung der Gesamtlage:

"Menschenrechte sind nicht handelbar. Auch ein Terrorist verliert seine Menschenrechte nicht. Es macht moderne Rechtsstaaten aus, dass sie diesen Grundsatz respektieren."

Aber genau daran scheinen die wenigsten Interesse zu haben. Als "besonders erschreckend" beschreibt amnesty beispielsweise die Situation in Kolumbien und Israel. Bei den Kämpfen zwischen Regierungseinheiten und alliierten paramilitärischen Verbänden gegen die verschiedenen oppositionellen Gruppen starben in Kolumbien, wo im vergangenen auch 153 Gewerkschafter ermordet wurden, pro Tag etwa 20 unbeteiligte Zivilisten. Aus verschiedenen Regionen der Republik wurden mehrere hundert Massaker gemeldet, insgesamt sollen über 300.000 Zivilpersonen aus ihren Heimatorten vertrieben worden sein. In Israel und den besetzten Gebieten fielen 460 Palästinenser und 187 Israelis den Kamphandlungen und Selbstmordattentaten zum Opfer. Über 2.000 Palästinenser wurden aus Sicherheitsgründen" festgenommen, 33 Kriegsdienstverweigerer mussten für ihre Gewissensentscheidung mit einer Gefängnisstrafe büßen. Trotzdem deutet noch immer nichts darauf hin, dass internationale Menschenrechtsbeobachter in der Region ihre Arbeit aufnehmen können.

Unrühmlicherweise taucht auch Deutschland erneut im Jahresbericht von amnesty international auf. Die Organisation kritisiert vor allem die zahlreichen Fälle von Misshandlungen und Schusswaffengebrauch durch die Polizei und fordert nachdrücklich eine deutliche Verbesserung der antirassistischen Ausbildung. Außerdem sei eine "zügige Aufklärung noch anhängiger und zukünftiger Fälle" vonnöten, da z.B. gegen die beiden Polizisten, die im Jahr 2000 in einem Waldstück bei Ulm einen geistig behinderten Mann erschossen hatten, noch immer keine straf- oder disziplinarrechtlichen Maßnahmen eingeleitet wurden.

Schließlich hat amnesty aus der Vernetzung der internationalen Probleme auch selbst Konsequenzen gezogen. In Zukunft soll nicht nur die zivile und politische Rechtslage rund um den Globus dokumentiert, sondern darüber hinaus auch auf die Verletzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte hingewiesen werden. Vor wenigen Tagen hat die deutsche Sektion von amnesty international diese Mandatserweiterung in ihre eigene Satzung übernommen.