Merkel setzt weiter auf Erdogan-Karte

Die Bundeskanzlerin äußert Sorge, setzt aber keine roten Linien im Umgang mit der Türkei

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Bundeskanzlerin Merkel hat sich vor dem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan mit "Vertretern der Zivilgesellschaft", also mit Nichtregierungsvertretern, getroffen. Merkel nimmt am 1. Humanitären Weltgipfel teil, der ist aber Nebensache. Sorgsam beäugt wird die Bundeskanzlerin, die den Flüchtlingsdeal-Deal mit der Türkei auch europäisch durchgesetzt hat und an ihm trotz aller Eskapaden der türkischen Regierung, d.h. vom Erdogan, festhalten will.

Merkel kämpft um ihr Überleben. Und sie macht deutlich, dass sie gewillt ist, ihre politischen Machtinteressen durchzusetzen, egal welche Kollateralschäden dies zur Folge hat. Sie lässt auch im Zwist mit dem Koalitionspartner zu, dass Böhmermann in Deutschland aufgrund eines veralteten Majestätsbeleidigungsparagrafen strafrechtlich verfolgt werden kann. Und sie sieht weg, wenn Medien und Journalisten in der Türkei unterdrückt werden, wenn die türkische Regierung islamistische Rebellen in Syrien unterstützt, wenn die Türkei Flüchtlinge instrumentalisiert und einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung führt. Es wird nachsichtig "Sorge" ausgedrückt, wenn auf Drängen der regierenden AKP das Parlament gesäubert wird.

Bild: Hoplaaaa u.a./gemeinfrei

Merkel verkündet, sie werde mit Erdogan über ihre "große Sorgen" und "alle wichtigen Fragen" sprechen, aber sie macht nicht klar, wo die roten Linien sind. Die gibt es auch nicht. Die von ihr behauptete "Notwendigkeit zum Interessenausgleich", der vieles zum Opfer fallen muss, wird auch noch einmal klar mit der Entscheidung, mit wem sie sich im Vorfeld zu Erdogan trifft.

Natürlich äußerte sich Merkel "besorgt" über die Immunitätsaufhebung vieler Abgeordneter. Klar ist, dass es gegen die HDP geht, die die kurdischen Interessen vertritt und die Erdogan ausschalten will, um seinen Krieg gegen die Kurden ungestörter fortsetzen zu können. Wäre Merkel wirklich besorgt, hätte sie sich mit Vertretern der HDP treffen können. Aber Fehlanzeige. Auch mit verfolgten Journalisten oder bekannten Regierungsgegnern wollte Merkel sich nicht gemein machen. Das könnte ja die Stimmung beim Treffen mit Erdogan vermiesen. So wird die Veranstaltung zur bloßen Show und verstärkt die Politikverdrossenheit.

Ohne jedes Rückgrat lässt sich wendig Politik machen, wenn keine Krisen aufkommen. Die Zeit ist zu Ende. Das dürfte auch bedeuten, dass es mit Merkel und der Großen Koalition dem Ende zugeht, wo alles in Kompromissen untergeht. Kompromisse gehören zur Demokratie, aber es muss auch Positionierungen der Parteien und Politiker geben, die nicht verhandelbar sind. Für Merkel ist alles machtpolitisch verhandelbar.