Merkel sieht "historische Bewährungsprobe für Deutschland"

Auf der Bundespressekonferenz äußerte sich die Kanzlerin zu Themen, die vor einigen Monaten offiziell noch nicht miteinander verknüpft wurden: Flüchtlinge und Terror-Anschläge

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Die Kanzlerin Merkel hat etwas Unheimliches. Treffend wiedergegeben wird das mit dem Dauerscherz, wonach jeder Politiker in ihrem Machtbereich ernsthaft dann um seinen Job bangen muss, wenn sie ihm ihr volles Vertrauen ausspricht. Gestern erklärte sie diverse Positionen bei einer vorgezogenen Bundespressekonferenz.

Auch da verblüffte sie mit einer Bewertung, die unheimlich ist, nicht allein weil sie im Kontrast zu früheren Einschätzungen und Bewertungen steht, sondern auch weil der Kontrast zum Verschwinden gebracht wird, so als ob es ihn nie gegeben hätte.

Auf die Frage eines Journalisten - "Können Sie ausschließen, dass es eine Zuwanderung, auch unkontrollierte Zuwanderung wie seit September 2015, in Deutschland nicht mehr geben wird?" - antwortete die Kanzlerin:

Die Zuwanderung des letzten Jahres war allein durch Illegalität - Schmuggler und Schlepper - gesteuert.

Das war im Frühherbst 2015 nicht der Blick, der ihre Politik bestimmte. Damals entstand nicht ohne Grund Begriff, der nun ausgedient hat: "Mama Merkel". Und die Frage, die in jüngster Zeit in vielen Diskussionen an Hitze zugelegt hat - "Wen haben wir da ins Land geholt?" - hat selbstverständlich auch mit der Politik, mit den Aussagen Merkels Anfang September 2015, mit ihrer Selbstdarstellung in den folgenden Tagen und Wochen, ihrem Posing vor den Smartphonekameras etc., zu tun. Das waren nicht nur die Schlepper und Schmuggler, sondern auch das naive Spiel mit einem Pull-Faktor, den die Kanzlerin mitprägte. Den Imageerfolg nahm sie auch gerne mit.

Jetzt verspricht sie, auf Nachhaken des Journalisten - "Die Wiederholung ist also ausgeschlossen?" -, dass die Wiederholung "auf diese Art, wie sie im letzten Jahr war, ausgeschlossen ist". Genau der Satz wird jetzt verlangt, wie das Gratulationsschreiben der FAZ zeigt.

Fehler räumt die Kanzlerin aber nicht ein. Das wäre aber nützlich gewesen, weil dann offensichtlich würde, dass der Regierung wenigstens im Nachhinein klar ist, wo die Fehleinschätzungen der Politik im Herbst letzten Jahres lagen - um jetzt zu präziseren Einschätzungen zu kommen.

"Jetzt" heißt nach den IS-Anschlägen in Würzburg und Ansbach, wo sich, wie der Spiegel schön fürs Medienkino veranschaulicht, "die Risiken auf grausame Weise manifestiert" haben.

Die Kanzlerin hat dafür großkanzlerische Worte, die man ihr angesichts des Postens, den sie hat, nicht weiter übelnehmen muss, Regierungschefs bedienen in ihrer Ratlosigkeit das große Register, wie Holland in Frankreich ständig vorführt. Also sprach Kanzlerin Merkel von einer "historischen Bewährungsaufgabe für Deutschland". Ihr "Wir schaffen das" präsentierte sich jetzt zusammen mit einer neuen Herausforderung, dem "Kampf gegen den Terrorismus".

Aber ich bin heute wie damals davon überzeugt, dass wir es schaffen, unserer historischen Aufgabe - dies ist eine historische Bewährungsaufgabe in Zeiten der Globalisierung - gerecht zu werden. Wir schaffen das. Deshalb werden wir auch die neue Herausforderung, vor der wir jetzt stehen und die mit dem Begriff "islamistischer Terror" umschrieben ist, bewältigen, die richtigen Maßnahmen einleiten und deutlich machen, dass wir unseren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit geben wollen und dass wir auch die Integrationsaufgabe meistern wollen.

Auf Nachfrage zeigte sie sich dazu bereit, den Kampf "Krieg" zu nennen:

Ich glaube, dass wir uns in einem Kampf oder meinetwegen auch in einem Krieg gegen den IS befinden. Das ist unbestritten.

Fraglich ist, wie er zu führen ist. Mal abgesehen vom großen Beschwörungston, im Kleinen, Konkreten zeigt sich wieder das Unheimliche. So sagte Merkel zur Gefahr des Terrorismus:

Wir müssen leider akzeptieren - das wird uns immer wieder auch im arabischen Raum gesagt -, dass viele, viele islamistische Kämpfer aus Europa nach Syrien gekommen sind.

Von einer Regierungschefin könnte man auch erwarten, dass sie sagt, dass man genau dies nicht akzeptiert. Es ging bei der Rede darum, dass die Kanzlerin vor der Öffentlichkeit eine Haltung ausdrückt - wie sie zu den irritierenden Ereignissen der letzten Zeit steht. Man kann darüber streiten, wie viel man von einer solchen Rede zu erwarten hat, Lösungsvorschläge wie bei einer naturwissenschaftlichen Fragestellung hat niemand erwartet. Erwarten könnte man eine andere Entschlossenheit, die grundlegend darauf ausgerichtet ist, bestimmte Phänomene nicht zu akzeptieren.

Mit einer ungenauen, auf längeres Abwarten ausgelegten Haltung wird es schwierig, wie die Kanzlerin selbst andeutet:

Ich will jetzt nicht sagen, dass das damals vor elf Monaten im Zentrum gestanden hat, aber dass dieser internationale Terrorismus, und zwar der islamistische Terrorismus, eine Gefahr ist, die nicht nur in Syrien besteht, sondern die auch bei uns besteht und dass man dadurch zwischen innerer und äußerer Sicherheit längst nicht mehr so unterscheiden kann, wie wir das vielleicht früher konnten oder gedacht haben zu können, ist mir seit Langem klar.

Es geht um die Vermischung von innerer und äußerer Sicherheit. Das wird ein Thema für längere Zeit sein und ein sehr schwieriges. Die bayerische CSU hat da wenig Bedenken, sie setzt auf mehr Polizei, eine bessere Ausrüstung der Polizei, gepanzerte Fahrzeuge etc.. So wird die Polizei mehr und mehr zum Militär im Inneren. Auch die Bundeswehr orientiert sich mehr nach Innen.

Das ist ein hochempfindliches, prekäres Feld. Einerseits mag das zur Stunde den Sicherheitsansprüchen der Bürger entgegenkommen, aber es sind auch Situationen vorstellbar, wo die Aufrüstung der Polizei ein verunsicherndes Moment bekommt (es gibt bekanntermaßen auch ein Problem mit der Gewalt bei der Polizei, auch Bayern hat solche Erfahrungen gemacht). Für Veränderungen, die solche weitreichende Konsequenzen haben, braucht es Gestalter der Politik, die sich im Vorhinein schon klar darüber sind, was sie nicht akzeptieren werden und das in ihren Konzeptionen klar erkennen lassen.

Der Neun-Punkte-Plan, den Merkel gestern vorstellte, ist vor allem vage. Bezeichnend ist, dass McKinsey mit einer Studie zu Rückführungsbemühungen in nordafrikanische Länder helfen soll.