Metaverse in China: Chefsache

Chinas Planungsbehörden gehen schnell und ernsthaft an die Thematik heran. Virtual Reality zählt als Schlüsselindustrie. Das Land hat gute Chancen, die globale XR-(Erweiterte Realität)-Industrie anzuführen.

2021 war das Jahr fürs Metaverse, nachdem sich Facebook in Meta umbenannte, war der Begriff in aller Munde. Dabei ist gar nicht klar, was das Metaverse eigentlich ist, der Begriff ist ähnlich vage wie "Cyberspace" oder "Internet". Der KI-Pionier Marvin Minski hätte es vermutlich als "Kofferwort" bezeichnet, also als Begriff, der viele unterschiedliche Bedeutungen enthalten kann.

Auch China war 2021 im Metaverse-Fieber. Suchmaschinen-Gigant Baidu hielt zu Weihnachten 2021 seine jährliche Entwicklerkonferenz in einem virtuellen Stadion ab, das von Baidus Metaverse-App Xirang generiert wurde. Laut Baidu handelte es sich um die bis dahin erste Metaverse-Konferenz in China, an der bis zu 100.000 Menschen teilnehmen konnten.

Ernüchterung

Gerade einmal ein Jahr später scheint auf den Hype schon der Katzenjammer zu folgen: Meta hat in der Zwischenzeit 10 Milliarden Dollar verbrannt, die Bewertung an der Börse auf die Hälfte geschrumpft, der Konzern strich daraufhin kurzerhand 11.000 Stellen.

Neben der noch immer rauen Anmutung, fehlenden Geschäftsmodellen und ausbleibender Nutzerbasis dürften auch die Konkurrenz zwischen konkurrierenden Social-Media-Plattformen, der Erfolg von TikTok, aber auch Apples strengere Regeln für gezielte Werbung in seinem Ökosystem eine Rolle spielen.

Nicht nur Meta enttäuschte, auch Baidus Metaverse-Plattform Xirang blieb hinter den Erwartungen zurück und wird derzeit eingestellt, berichtet der China-Blog thechinaproject. Auch andere chinesische Unternehmen fahren ihr Metaverse-Engagement zurück.

Der TikTok-Mutterkonzern ByteDance hat seine Metaverse-Social-App Party Island eingestellt, die Spielefirma NetEase ihre Abteilung für Multiplayer-Metaverse-Spiele geschlossen. Bereits bei der Vorstellung an Weihnachten 2021 dämpfte Baidus Vize-Präsident Ma Jie allzu große Erwartungen; wie bei Meta war von fünf bis sieben Jahren Entwicklungszeit die Rede.

Chinas Führung hat das Metaverse zur Chefsache erklärt

Der große Unterschied zu den USA ist allerdings, dass in China die Behörden die Entwicklung aufmerksam beobachten und steuern. Chinas führende Wirtschaftszeitung warnte kürzlich davor, "fieberhaft" auf den Metaverse-Zug aufzuspringen.

Ein Artikel in der Economic Daily, einer Zeitung, die vom Staatsrat herausgegeben und von der zentralen Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei Chinas beaufsichtigt wird, legte "Umsicht bei der Expansion in die Metaverse-Industrie" nahe.

Dies geschieht allerdings vor dem Hintergrund eines ernsthaften Engagements in der Branche. Mehr als 30 lokalen Behörden, darunter Peking, Shanghai, Hangzhou, Shenzhen, Hainan und andere haben bereits Richtlinien zur Unterstützung der Metaverse-Entwicklung herausgegeben. Mehr als 18 auf Metaverse- Anwendungen fokussierte Industrieparks wurden eingerichtet.

Am Beispiel von XR-Technologien, einer der Basis-Technologien für das Metaverse wird deutlich, wie schnell und ernsthaft Chinas Planungsbehörden an die Thematik herangehen. XR umfasst Hardware und Software, die sowohl Virtual Reality (VR, eine immersive und interaktive simulierte Umgebung aus der ersten Person) als auch Augmented Reality (AR, immersive und interaktive virtuelle Inhalte, die räumlich an die reale Welt gebunden sind) darstellen kann.

Die Regierung unterstützt die Industrie, ein hoher Beamter des zuständigen Ministeriums für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) sprach Anfang November auf der jährlichen VR-Konferenz des Landes davon, dass Fundraising- und Investitionsvolumen im chinesischen VR-Sektor sei in eine Phase explosiven Wachstums eingetreten dank der Unterstützung der Behörden.

VR gilt seit 2021 offiziell als eine der sieben "Schlüsselindustrien der digitalen Wirtschaft" die Peking im vergangenen Jahr benannt hat. Investitionen in Virtual Reality haben sich in China im Jahr 2021 verdoppelt.

Das Ministerium und vier weitere Behörden haben eine Richtlinie veröffentlicht, werde China dabei helfen, ein "Kraftwerk in Fertigung, Cyberspace, Kultur und digitaler Wirtschaft" zu werden, heißt es in dem Dokument.

Bis 2026 will China die Produktion seiner VR-Industrie auf 350 Milliarden Yuan (47 Milliarden Euro) steigern – das Sechsfache des Vorjahres – mit einem Umsatz von VR-Geräten von über 25 Millionen Einheiten.

Das ist deutlich mehr als die Auslieferungen des letzten Jahres von 3,7 Millionen Einheiten, berichtet die in Hongkong ansässige englischsprachige South China Morning Post. Die Zeitung, die im Besitz der Alibaba Group befindet, gilt als Sprachrohr der Tech-Entrepreneure in China.

Infrastrukturpolitik, Regulierung und Wettbewerb

Der entstehenden VR-Industrie werden sektorale Vorgaben gemacht, neben den erwähnten 25 Millionen Geräten sollen auch 100 innovative und einflussreiche "Backbone-Unternehmen" im VR-Sektor entstehen, auch sollen bis dahin 20 klar definierte Anwendungsfälle etabliert sein.

Die Regierung gibt also kurzfristige, quantitative Ziele an, bis hinunter auf die business-case-Ebene.

Die Situation ist charakteristisch für Chinas digitale Infrastrukturpolitik. Die Spezialistin für die chinesische Innovationspolitik, Elisabeth Economy schreibt1:

Langfristige Planung; intensive Zusammenarbeit mit den dynamischen Unternehmern des Landes, erhebliche gezielte Investitionen in Forschung und Entwicklung; Schutz des chinesischen Marktes vor ausländischer Konkurrenz; und den Erwerb internationaler Talente und Technologien. – [Das sei das] Drehbuch, das China immer wieder erfolgreich zur Anwendung bringe.

So funktioniert die chinesische Digitalpolitik: Nicht nur quirlige Startups und eine Menge Risikokapital, sondern auch agile Regulierungsinstitutionen und konsequente staatliche Förderung sorgen für eine dynamische Innovationslandschaft.

Solche Ansagen führen zu einem "explosiven" Wettbewerb, denn wer das Rennen macht, ist nicht gesagt. Yuan Yang, China-Technologiekorrespondent der New York Times nennt diesen Ansatz: "Zuerst experimentieren, dann regulieren".

Durchbruch bei XR?

Noch fehlen günstige, bequeme und massentaugliche XR-Headsets. Diese gelten als Voraussetzung für einen massenhaften Erfolg des Metaverses. Bislang war es für den Durchschnittsnutzer nicht attraktiv, sich ein XR-Headset zuzulegen: Sie sind zu teuer, zu sperrig und schwer und unbequem zu tragen.

Aber der chinesische XR-Headset-Hersteller Nreal hat möglicherweise einen Durchbruch erzielt. Im August brachte das Unternehmen zwei XR-Headsets in China auf den Markt, Nreal Air und Nreal X, mit Startpreisen von nur 2.299 Yuan (310 Euro) bzw. 4.299 Yuan (580 Euro).

Chi Xu, CEO von Nreal, glaubt, dass im Bereich XR der "iPhone 1 Moment" gekommen sei. Aber jetzt bestehe der eigentliche Kampf um XR nicht nur darin, die Hardware herzustellen, sondern auch ein vollständiges XR-Ökosystem aufzubauen, einschließlich Software, Content und Anwendungen.

Gute Chancen, die globale XR-Industrie anzuführen

China hat gute Chancen, die globale XR-Industrie anzuführen: China verfügt über die Hardware-Lieferketten, genug qualifiziertes Tech-Personal, einen riesigen Binnenmarkt mit einer digital affinen Bevölkerung. Obendrein genießt die Branche volle politische Unterstützung.

Chinas Tech-Giganten haben also beste Voraussetzungen dafür, den heimischen Markt zu beherrschen, und von dort aus – ähnlich wie TikTok – möglicherweise in einem zweiten Schritt auch ausländische Märkte zu erobern.

Auch bei Chinas Metaverse-Bemühungen spiegelt sich die Politik der zwei Kreisläufe, die die Kommunistische Partei ausgegeben hat, wider, und für die die dynamische Digitalwirtschaft eine entscheidende Rolle zu spielen bereit ist.