Militärische Lage der Ukraine: "Können Volk und Partner nicht ewig belügen"

Seite 2: Klitschko zu Selenskyj-Gegenspieler Saluschnyj: "Er hat die Wahrheit gesagt"

Selenskyj wies die Behauptungen von Saluschnyj öffentlich zurück und argumentierte, die Front sei nicht festgefahren, und die Ukraine brauche keine negativen Nachrichten. In diesem Streit unterstützte Klitschko den General: "Er hat die Wahrheit gesagt", sagte Klitschko im Gespräch mit der 20min.ch. "Manche wollen die Wahrheit vielleicht nicht hören, (aber) wir können unser Volk und unsere Partner nicht ewig belügen."

Auf die Frage, ob er Präsident werden wolle, vermied Klitschko eine Antwort und erklärte, dass er in der gegenwärtigen Situation Selenskyj gegenüber loyal bleiben müsse. Bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen hätten der derzeitige Präsident und seine Partei, der Diener des Volkes, laut Umfragen nach wie vor eine breite Unterstützung.

Die Präsidentschaftswahlen müssen im März 2024 abgehalten werden. Die Wahlen zur Erneuerung des Parlaments hätten im Herbst stattfinden sollen, aber nach der Verfassung kann eine Wahl nicht unter Kriegsrecht abgehalten werden. El País schreibt dazu:

Im Sommer diskutierte Selenskyjs Team, ob es eine gute Idee sei, nach der Verfassungsreform Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abzuhalten. Doch obwohl Selenskyj die Wahl wahrscheinlich gewinnen würde, zeigen Umfragen, dass die Bevölkerung aufgrund der Herausforderungen, die die Mehrheit der Stimmen einschränken würden, nicht zu den Urnen gehen will, z. B. weil die von Russland besetzten Gebiete nicht wahlberechtigt wären und auch Millionen von Ukrainern, die ins Ausland gezogen sind, nicht wählen dürften.

Geldgeber drängen auf Demokratie

Doch in den Vereinigten Staaten – neben der Europäischen Union Kiews wichtigster finanzieller und militärischer Unterstützer – würde immer entschiedener eine Stärkung der Demokratie gefordert.

Für Selenskyj bestehe das Problem darin, dass seine Zustimmungswerte immer weiter sinken, je mehr Zeit vergeht. Der Economist veröffentlichte letzte Woche eine Umfrage, die nur 30 Prozent Unterstützung für Selenskyj ergab, verglichen mit 70 Prozent für Saluschnyj.

Der Economist berichtete auch, dass Saluschnyj von der ukrainischen Präsidentschaft unter Druck gesetzt wurde, seine öffentlichen Interviews einzuschränken. Quellen, die dem Oberbefehlshaber nahestehen, sagten dieser Zeitung im April letzten Jahres, dass das Büro des Präsidenten von Saluschnyj verlangte, nicht mit den Medien zu sprechen, um seine Popularität einzuschränken.

Unterdessen untergraben nach dem Bericht von El País Korruptionsfälle und schlechte militärische Ergebnisse an der Front Selenskyjs Popularität. Die im Juni begonnene ukrainische Gegenoffensive ist gescheitert, und der Feind rückt an den Fronten von Donezk und Charkiw vor.

Umfragen zufolge ist die Bevölkerung es leid, Opfer zu bringen, um weiter gegen Russland zu kämpfen. Sowohl Klitschko als auch Honcharenko sind nationalistischere Politiker als Selenskyj und noch weniger geneigt, Russland irgendetwas zuzugestehen.

Widersprüchliche Umfragen in Ukraine

Aber es gibt auch andere Politiker, die die Aufnahme von Friedensverhandlungen befürworten und die zunehmend an Bekanntheit gewinnen. Der prominenteste von ihnen ist Oleksij Arestowytsch, ein ehemaliger Vertrauter von Selenskyj.

Entscheidungen, die auf Vernunft und nicht auf Emotionen beruhen, sind schwer zu treffen, solange russische Truppen in der Ukraine bleiben. Laut einer Gallup-Umfrage vom Oktober letzten Jahres sind 60 Prozent der Bevölkerung dafür, so lange zu kämpfen, bis die Russen aus dem gesamten Gebiet vertrieben sind, darauf verweist auch der spanische Journalist Segura.

Unterstützt werden solche Umfragen von Berichten über russischen Gräueltaten. Viral ging zuletzt ein Video der Hinrichtung von zwei ukrainischen Soldaten, die sich in einem Schützengraben an der Front ergeben hatten.

Die ukrainische Armee hat die Aufnahmen bestätigt, und die ukrainische Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung wegen eines möglichen Kriegsverbrechens eingeleitet.