Mit dem Verfassungsschutz gegen Querdenker?

Gestoppter Demonstrationszug "Versammlung für die Freiheit!" von Querdenken 711 am 29. August 2020 in Berlin. Bild: Gerddanigel/CC BY 3.0

Die Frage, wie mit einer in Teilen irrationalen Bewegung umzugehen ist, sollte sich auch die Linke stellen. Diskussionsverweigerungen dürften die Verschiebung nach rechts fördern

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Die Querdenker-Bewegung besteht erst einige Wochen und kann wohl schon einen Rekord verbuchen. Die Führungsriege der Gruppierung Querdenken 711 in Baden-Württemberg wurde vom dortigen Verfassungsschutz zum Verdachtsfall erklärt. Der CDU-Innenminister des Landes, Thomas Strobl, sieht Anhaltspunkte für "extremistische Bestrebungen":

Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg hatte bereits zwei hellwache Augen auf die 'Querdenken'-Gruppierung, und er hat nun - sobald die Voraussetzungen für eine Beobachtung vorlagen _ schnell und entschlossen gehandelt.

Innenminister Baden-Württemberg, Thomas Strobl

Dabei wird ausdrücklich betont, dass nicht die Mitläufer bei Querdenker-Aktionen, sondern die Führungsriege beobachtet werden. Doch diese Unterscheidung lässt sich in der Praxis gar nicht durchhalten. Die Führung ist ja kein abgeschotteter Kreis, der sich nicht verändert. Wenn einzelne Personen davon beobachtet werden, wird auch registriert, wie diese mit anderen Personen aus der Bewegung interagieren oder wer neue Führungsaufgaben übernimmt.

Zudem hat allein die Beobachtung der führenden Akteure Auswirkungen auf Personen, die bei den Aktionen der Querdenker-Bewegung mitlaufen. In der Vergangenheit gab es Medienreaktionen, weil in Berlin eine Staatsanwältin, anderswo war es ein Polizist außerhalb seiner Dienstzeit, an den Protesten teilgenommen haben. Der Druck gerade auf Personen im Staatsdienst wird wachsen, wenn nun die Führungsriege unter Beobachtung des Inlandsgeheimdienstes steht.

Die hellwachen Augen des Verfassungsschutzes

Nun ist Strobl der konservative Hardliner im Kabinett des einzigen grünen Ministerpräsidenten. Die Aktion Bleiberecht wirft ihm, gestützt auf ein juristisches Gutachten, vor, die Menschenrechte von Geflüchteten in den dortigen Erstaufnahmelagern des Landes zu verletzen. Doch es gibt vonseiten der Grünen keinen Protest gegen die Beobachtung der Querdenker-Bewegung.

Anders ist es bei der Linkspartei. Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, hatte sich in einer Pressemitteilung dagegen ausgesprochen, die Querdenker-Bewegung mit geheimdienstlichen Mitteln zu bekämpfen. Sie bezeichnet den Verfassungsschutz, der als Geheimdienst außerhalb der demokratischen Kontrolle steht, selber als Teil des Problems.

Auch die hessische Politikerin der Linken, Janine Wissler, die in einer trotzkistischen Gruppe aktiv war, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, fand in der konservativen Tageszeitung Die Welt klare Worte zum Agieren der Geheimdienste. Auf die Frage, ob sie aus der Gruppierung Marx 21 vor ihrer Kandidatur zum Parteivorsitz ausgetreten sei, antwortet Wissler:

Nein, beim Bundesamt für Verfassungsschutz handelt es sich um eine Behörde, die über Jahre hinweg von Hans-Georg Maaßen geleitet wurde, der ein rechter Verschwörungstheoretiker ist. Ich habe fünf Jahre lang im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags in die Abgründe dieser Behörden schauen können.

Der sogenannte Verfassungsschutz hat rechten Terror jahrelang verharmlost, entweder aus Unfähigkeit oder absichtlich. Seine Einschätzung ist für mich kein Maßstab.

Janine Wissler, Die Welt

Das muss dann natürlich auch gelten, wenn sich die Geheimdienste mal nicht um linke Gruppen kümmern.

Wer ist die Querdenken-Bewegung?

Dass die Querdenken-Bewegung dazu nicht gehört, ist unstrittig. Ebenso klar ist, dass dort esoterische und irrationale Einflüsse unverkennbar sind. Manche erinnern daran, dass Baden-Württemberg historisch eine Hochburg von solchen irrationalen Bewegungen gewesen ist und ziehen Verbindungen bis zur Romantik.

Auch wurde beobachtet, dass sich Teile der esoterischen Szene, die sich bisher noch im Umfeld der Grünen bewegten, mittlerweile neu orientieren. Das könnte sich sogar im Wählerverhalten ausdrücken. Nach einer Untersuchung des Baseler Soziologen Oliver Nachtwey und seiner Kollegen Nadine Frei sowie Robert Schäfer wollen 30 Prozent der Querdenken-Anhänger bei der kommenden Bundestagswahl ihre Stimme der AfD geben.

Noch bei der letzten Wahl vor drei Jahren hätten 21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt, die AfD habe nur 14 Prozent bekommen. Soziostrukturell handele es sich um eine eher ältere und gebildetere Bewegung. Das Durchschnittsalter betrage 47 Jahre, 31 Prozent haben Abitur, 34 Prozent einen Studienabschuss, der Anteil Selbstständiger sei höher als in der Gesamtbevölkerung.

Eine Bewegung, die von links kommt und nach rechts geht

Querdenken sei "eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich", so Nachtwey. Dieser Befund deckt sich mit Beobachtungen von Aktionen aus dem Umfeld der Querdenken-Bewegung.

So gibt es ein Video über einen Stuttgarter Schweigemarsch am 22. November dieses Jahres von Gegnern der Coronamaßnahmen. Interessant ist, dass dort durchaus ein Querschnitt der Bevölkerung zu sehen ist, Menschen allen Alters, eher dem Mittelstand zugehörig.

Aufschlussreich sind auch die Kurzinterviews, die dort mit einzelnen Teilnehmern des Schweigemarsches geführt wurden. Die Frage nach den eigenen Wünschen gehört dazu. Wenn man die Antworten der Menschen hört, die sich interviewen ließen, könnte man kurz zusammengefasst sagen, es handele sich um einen grünenwählenden Mittelstand, der sehr individualistisch ist und für den "Klassenkampf" eher ein Fremdwort ist.

Es ist nicht verwunderlich, dass ein solches eher mittelständisch geprägtes Klientel auch nach rechts offen ist. Eine solche Rechtsentwicklung wird oft durch besondere gesellschaftliche Einschnitte verstärkt.

In der Zeit der Weimarer Republik trug die hohe Inflation nach 1923 und die Angst vor einer Wiederholung zu einer Rechtsverschiebung von Teilen des Mittelstands bei. In dieser Zeit wuchsen auch die esoterischen Bewegungen nicht nur in Baden-Württemberg stark an. Einige von ihnen, nicht alle, wurden später Unterstützer des Nationalsozialismus.