Mit der Kamera am Rand der Gesellschaft

Der bengalische Fotograf G.M.B. Akash aus Dhaka hat einen ungewöhnlichen Blick auf die Missstände in seinem Land

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Die Motive des preisgekrönten Fotografen sind Kinderarbeit, Sexarbeiter, Schiffsabwraker, Bombenopfer, Transvestiten. Bilder, die weder von den Medien, noch von den zerstrittenen Parteien oder der Bevölkerung gerne gesehen werden. Denn Bangladesch gehört zu den Ländern, in denen die Pressefreiheit am schärfsten missachtet wird.

Foto: G.M.B. Akash

Von der Straße abbiegen, um hinter die Fassaden zu blicken

Als Dokumentarfotograf hat G.M.B. Akash eine ausgefallene Methode. Er sucht sich seine Motive, indem er „von der Straße abbiegt und hinter die Fassade blickt“, erklärt der „GEO“-Journalist Jens Schröder bei einem Vortrag über die Arbeit seines Kollegen Akash im Gruner & Jahr-Haus in Hamburg. Jens Schröder begleitete Akash für eine Reportage im Auftrag des „GEO“-Magazins über den Grameen Bank Gründer und Friedensnobelpreisträger Professor Muhammad Yunus, der mit dem Projekt Entwicklungsbanken in Bangladesh an nicht kreditwürdige, bengalische Bürger Mikrokredite in Höhe von 50 bis 100 Dollar vergibt. Soziale Armut vollzieht sich in Bangladesch schnell, wozu auch Überflutungen, Dürrekatastrophen und andere Naturkatastrophen beitragen. Ein anderer Faktor ist die allgegenwärtige Korruption im Land, besonders in der Politik, der Wirtschaft und den Medien, die sich dann auch durch die Gesellschaft zieht. Der fehlende Zugang zu Krediten zur Existenzsicherung sowie die schlechte Versorgung mit Gesundheits- und Erziehungsdienstleistungen ist ein bedeutender Grundstein, aus dem die absolute Armut großer Bevölkerungsteile resultiert.

Zuerst wurde jedoch das Magazin „GEOlino“ auf Akash aufmerksam, als dieser im März 2006 eine Auftragsarbeit erledigen und das Leben der Koranschüler in einer Madrasa darstellen sollte. Geplant war eine positive Geschichte, die Akash im Nachhinein in Verruf brachte und ihn zwang, sein Land für ein Jahr zu verlassen. In der Koranschule sah er zufällig einen Jungen, der am Boden saß und um dessen Füße eine Eisenkette geschlungen war. Der achtjährige Arafat hatte versucht, zweimal aus der Madrasa in Dhaka wegzulaufen, um seine Mutter zu besuchen und war daraufhin angekettet worden. Akash sah den angeketteten Jungen und machte „klick, klick“, um die „Wahrheit und Missstände in der Koranschule im Umgang mit Kindern zu dokumentieren“. Akash erhielt 2006 für das Foto den dritten Platz des Press Award for Daily Life in Amsterdam.

Verfolgt wegen des Fotos eines Koranschülers in Ketten

Aufgrund der zwar verfassungsrechtlich garantierten, aber staatlich eingeschränkten Pressefreiheit in Bangladesch schickte Akash das Foto an ein amerikanisches Magazin und wurde dafür 2005 zunächst in den USA ausgezeichnet. Als aber das nepalesische Magazin Himal sein Foto auf der Titelseite druckte, da keine andere Zeitung in Dhaka bereit war, es zu veröffentlichen, kannte nun auch jeder in Bangladesch das verbotene Foto. Die Folge war, dass er und seine Familie Drohanrufe bekamen. Wenn er weiter fotografiere, würde man ihn töten.

Als eine unbekannte Männergruppe im traditionellen, muslimischen Gewand panjabi-paijama gekleidet ihn Zuhause aufsuchte, floh Akash mit seiner Frau. Er schickte eine Nachricht an die „GEO“- Redaktion, die daraufhin Gelder der Sternstiftung, von „GEO“ und der Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte sammelte, um ein einjähriges Exil des Dokumentarfotografen in Hamburg zu ermöglichen. Seit Januar 2007 ist Akash mit seiner Frau Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.

G.M.B. Akash

Kinderarbeit und Dorgensucht vor der Linse

Doch Akash kritisiert bei seinem Vortrag über seine Arbeit in Bangladesch, dass er unfreiwillig berühmt geworden sei und noch „dazu aus den falschen Gründen“. Er selbst ist „praktizierender Moslem und wollte mit dem Bild über den Koranschüler nicht den Islam kritisieren », wie ihm häufig ungerechtferigter Weise unterstellt werde. „Überall können die Menschenrechte verletzt werden, nicht nur in einer Koranschule“, sagt Akash. Deshalb gilt sein eigentliches Interesse „allen Menschen in Bangladesch, die am Rande der Gesellschaft leben, im Besonderen den Kindern“.

Entgegen der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, welche jedem Kind das Recht auf Überleben, Gesundheit und Bildung garantiert, ist es in Bangladesch als der ärmsten Region der Welt kein ungewöhnliches Bild, dass Kinder, statt in der Schule zu sitzen und zu lernen, arbeiten müssen, um ihre Familien zu unterstützen. Gemäß Unicef müssen 4,9 Millionen Kinder in der Region täglich 10 bis 12 Stunden für einen Hungerlohn von 10 Cent oder sogar unentgeltlich in Ziegel- und Fahrradfabriken, auf Müllhalden, in Nähmaschinenateliers oder Bäckereien bis zur körperlichen Erschöpfung schuften. Damit geraten die Kinder in den Teufelskreis von Armut, Mangelernährung, Analphabetismus und geringe Lebenserwartung.

Ich will auf die miserable Arbeitssituation der Kinder mit meiner sozialkritischen Dokumentarfotografie hinweisen. Ich möchte erreichen, dass die Kinder wenigstens zwei Stunden pro Tag während der Arbeit zur Schule gehen können und nicht nur 5 bis 10 Dollar pro Monat verdienen, sondern bei gesunden Arbeitsbedingungen gut bezahlt werden.

G.M.B. Akash

Als er hinter die Fassaden einer Fahrradfabrik blickte, wo er fast einen ganzen Monat verbrachte, um zunächst das Vertrauen der Kinder bei ihrer Arbeit zu gewinnen, bevor er sie in ihren von Öl verschmierten Körpern fotografierte, bemerkte er, wie schutzlos sie bei der Arbeit waren. Der Fabrikbesitzer, der ihn meist hinauswerfen oder schnell wieder loswerden wollte, hatte keine Schutzvorkehrungen wie beispielsweise Arbeitsschutzkleidung getroffen. Häufig schlafen die Kinder, die sich gewerkschaftlich nicht organisieren können, auch in den Fabriken, damit sie maximal ausgebeutet werden können. Entweder schlafen sie nach der Schicht direkt auf dem dreckigen Boden ein,oder sie verkriechen sich zum Schlafen auf leere Anhänger von Lastwagen.

Ob es die schwere Akkordarbeit in den Nähmaschinenateliers ist oder die Tatsache, dass Kinder auf ihrem Kopf bis zu fünf Steine übereinander gestapelt tragen oder auf den dampfenden Müllbergen morgens um vier Uhr herumklettern, um Verwertbares zu finden, die Kamera von Akash zeigt ungeschönt, dass die Gesichter der Kinder denen der Erwachsenen bereits gleichen. Häufig sind sie noch „durch Drogenkonsum ausgelaugt, wozu sie die Arbeitgeber animieren, damit sie noch länger unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten können“, kritisiert Akash. Die Kinder kämen dann häufig von der Droge nicht mehr los.

Foto: G.M.B. Akash

Aidsausstellung in Dhaka bewirkte Sinneswandel

G.M.B. Akash, der seine drei Vornamen nicht gerne nennt, war jedoch nicht von Anfang an Dokumentarfotograf. Er hatte 1996 gerade sein Wirtschaftsstudium beendet, als ihm sein Vater, der als Soldat für die Regierung arbeitete, die erste Kamera schenkte. Obgleich Akash ein Mittelstandskind ist, war er zu arm, um sich Filmmaterial zu kaufen. Die ersten Bilder entstanden nur in seinem Kopf.

Ich hatte zwar kein Geld für Filmmaterial, aber ich musste auf den Auslöser drücken, um Bilder zu machen und nicht verrückt zu werden.

Seinen ersten Film kaufte er sich dann von einem eingesparten Mittagessen. Danach arbeitete er als Pressefotograf. Dies war anfangs für die englische Zeitung „New Age“, die, wie die bengalische Journalistin und Autorin Monowara Begum Moni in ihrem Buch Massenmedien in Bangladesch und deren Pressefreiheit schreibt, eine von 100 Tageszeitungen allein in Dhaka ist, wo er schnell zum Chefredakteur avancierte. Doch seine Bilder hatten noch keinen kritischen Unterton. Er lichtete zunächst Hochzeiten und Veranstaltungen in Firmen ab und machte Werbung. Einen Sinneswandel erlebte er auf einer Aidsausstellung in einer Galerie in Dhaka. Die Fotos aidskranker Kinder und ihrer Familien zeigten ihm, dass all seine Vorurteile über die tödliche Krankheit falsch waren.

Ich sah, dass eine Mutter ihrem aidskranken Sohn eine Medizin gab, aber Angst vor Körperkontakt hatte. Ich erkannte gleichzeitig die Macht des Bildes und entschied mich für die Dokumentarfotografie, um das soziale Elend der Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben, zu zeigen.

Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht, da seiner Ansicht nach Fotografen in Bangladesch nicht nur ein schlechtes Image haben, sondern auch sehr schlecht bezahlt werden. Denn obgleich Akash Bildchefredakteur einer großen Tageszeitung in Dhaka war, verdiente er nicht mehr als 100 Dollar im Monat und hatte keinen Schreibtisch. Inzwischen genießt er internationale Anerkennung. Seine Bilder gehen durch die Welt. Magazine wie „GEO“, „Der Spiegel“, „El Mundo“, „Newsweek“ drucken mit Vorliebe seine gesellschaftskritischen Bildreportagen. Im Dezember will er in seine Heimat zurückkehren und sich dort wieder den Vergessenen der Gesellschaft widmen. „Durch die Bilder werden sie manchmal ein Teil von mir.“