Mit samenfesten Sorten die Ernährung sichern

Seite 2: Wenn die Umwelt die Gene beeinflusst

Trockentolerante Maissorten, Kartoffeln, die mit salzigen Böden zurecht kommen – beides brachte die herkömmliche Züchtung bereits hervor. Über mehrere Jahre hinweg werden Pflanzen gezielt auf bestimmte Eigenschaften wie ausgewogener Geschmack und hohe Resistenzen gegen Pilzkrankheiten selektiert.

Im ökologischen Anbau müssen sich die Pflanzen von Afang an selbst gegen Schädlinge und Krankheiten behaupten und lernen, sich zusätzliche Nährstoffe und Wasser zu erschließen. Das erreichen sie am besten, indem sie ein dichteres und tieferes Wurzelwerk ausbilden. Diese Erfahrungen werden im genetischen Gedächtnis abgespeichert. Das wiederum führt zu Änderungen im Erbgut, welche an die nächste Generation weitergegeben werden - auch Epigenetik genannt.

Bis aus der Kreuzungsvielfalt eine Linie selektiert wird, die ihre Eigenschaften zuverlässig weitergibt, gehen sechs bis acht Jahre ins Land. Mehrere Jahre lang wird die Sorte von zahlreichen Biozüchtern in verschiedenen Regionen kultiviert. Bewährt sich die Zuchtlinie in den Anbauversuchen, wird sie als eigenständige Sorte angemeldet. Nach einem zwei Jahre dauernden amtlichen Prüfprozess wird die neue Sorte nach rund 15 Jahren zugelassen.

Öko-Getreidesorten trotzen Dürren und Staunässe

In der Demeter-Getreidezüchtung wird vor allem mit so genannten Populationssorten gearbeitet. Das sind Mischungen besonders widerstandsfähiger Pflanzen diverser Einzelsorten mit Unterschieden in Bezug auf Geschmack, Regionalität und Qualität. Die samenfesten Sorten sollen sich gut an regionale Bedingungen anpassen und stabile Erträge liefern. Anders als Hybride können sie jedes Jahr wieder ausgesät werden. 2017 waren über 30 Sorten aus biodynamischer Züchtung zugelassen.

Der biodynamische Backweizen Aristaro zum Beispiel wurde am Dottenfelder Hof gezüchtet. Er gilt als resistent gegen Steinbrand – ein Pilz, der besonders die Ähren von Weizen befällt.

In der Schweiz züchtet die Getreidezüchtung von Peter Kunz seit 35 Jahren immer neue Getreidesorten bei Weizen, Dinkel, Triticale. Auch Erbsen gehören zum Zuchtsortiment. Winterweizen zum Beispiel braucht im April und Mai besonders viel Wasser, damit sich die Körner voll entwickeln können. Zeichnet sich eine Dürre ab, werden diejenigen Pflanzen markiert, die trotz Trockenheit große Körner ausbilden. Um besser mit Trockenheit umgehen zu lernen, sollen sich die Pflanzen auf spanischen Äckern bewähren.

Darüber hinaus müssen die Kulturen auch mit Staunässe auf den Äckern zurechtkommen. Zu den neuen Herausforderungen im Getreideanbau gehören zudem Pilzerkrankungen wie Schwarzrost, die bei Weizen in Mitteleuropa bisher eher selten sind. Doch sobald die Temperaturen im Schnitt um ein bis zwei Grad steigen, könnte er hier genauso zum Problem werden, wie in Sizilien, Portugal - oder in Kenia. Hier ist Schwarzrost auf Getreidefeldern alltäglich, weshalb ausgesuchte Weizenlinien auf kenianischen Äckern getestet werden. Besteht der Weizen diese Prüfung, wird er auch mit Schwarzrostbefall in Mitteleuropa zurechtkommen.

Mehr Gemüse, Salat und Getreide aus Öko-Züchtung

Während die standortangepassten, genetisch diversen Land- und Hofsorten meist unsystematisch durch bäuerliche Auslese gezüchtet werden, entstehen die Populationssorten durch Selektion bei Fremdbefruchtern. Sie sind mischerbig und etwas weniger homogen als Sorten von Selbstbefruchtern. Aufgrund ihrer vielfältigen Zusammensetzung können sie extreme Witterungsverhältnisse abpuffern, erklärt Robert Kasper.

Seit fünf Jahren kultiviert der Landwirt einige Sorten auf dem mittelhessischen Oberhof. Neben Steinbrandresistenzen sind ihm gesundes Getreide wichtig. Obwohl die Bestände von Jahr zu Jahr variieren, stimmen Erträge und Qualität auch in trockenen Jahren.

Viel mehr Landwirte müssten in die Züchtung lokal angepasster Sorten – ohne synthetische Pestizide und Dünger - eingebunden werden. Das ganze Agrarsystem müsste sich ändern – doch zu viele Machtinteressen stehen dem noch entgegen. Doch es gibt kleine Stellschrauben, an denen man drehen kann. So haben sich im Verein bioverita Bio-Züchter und Bio-Unternehmen im deutschsprachigen Raum mit regionalen Bio-Großhändlern zusammengetan, um biologisch gezüchtete Gemüsesorten mit dem Hinweis "Bio von Anfang an – von der Züchtung bis zum Endprodukt" zu vermarkten.

Getreide von Sorten aus Öko-Züchtung sind bisher seltener zu erkennen, etwa dann, wenn ein Brot aus Lichtkornroggen – eine Sorte der Cultivari Getreidezüchtungsforschung Darzau – als solches gekennzeichnet ist.

Auch Bio-Hersteller fördern die Züchtung samenfester Sorten. Das Naturkostunternehmen Rapunzel zum Beispiel engagiert sich in der Initiative Bio-Saatgut Sonnenblumen. Deren Ziel ist es, Bio-Sonnenblumenkerne für die Ölgewinnung zu züchten. Wenn man weiß, dass Hybrid-Sonnenblumen heute fast ausschließlich von zwei großen Saatgutkonzernen stammen und teilweise sogar patentiert sind, gewinnt die politische Dimension der Initiative noch an Bedeutung.