Moscheeanschläge: schleichende Kristallnacht

Seite 3: 4. Interpretation der empirischen Daten

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Die Anschläge

Da das Informationsaufkommen lückenhaft ist, ist eine exakte Auswertung der Daten nicht möglich, aber immerhin sind Tendenzaussagen möglich. Obwohl eine Gesamtdarstellung nicht möglich ist, umfasst die obige Auflistung immerhin 122 Vorfälle (ohne die Zusatzkategorie "Sonstige"), die sich gegen mindestens 92 Moscheen in 82 Städten und Gemeinden richteten. Zwölf Moscheen wurden gleich mehrfach angegriffen. Außerdem wurde einmal ein Moschee-Verband (DITIB) direkt attackiert. Glücklicherweise haben die Angriffe keine Menschenleben gefordert; auch der Sachschaden hielt sich mit vielleicht zwei oder drei Millionen Euro in überschaubaren Grenzen. Der historische Vergleich mit der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 wirkt zunächst stark übertrieben; auch fehlt die Schockstarre, die der damalige Gewaltexzess auslöste. Heute ist es eher ein leiser Zerstörungsprozess, der wie eine Krebsgeschwulst das Land allmählich mit Gewalt-Metastasen überzieht und überall seine Spuren hinterlässt.

Obwohl sich der Schaden bisher in Grenzen hielt, dürfen die Gefahren eines Brandes oder gar einer Explosion nicht unterschätzt werden, da viele provisorische Moscheen im Erdgeschoss von Wohnhäusern untergebracht sind. Bei separaten Moschee-Gebäuden mit Kuppeldach und Minarett besteht die Gefahr darin, dass der Imam bzw. Hodscha mit seiner Familie auf dem Areal wohnt. Außerdem haben die Moscheegemeinden i. d. R. nur eine Größe von 300 bis 400 zahlenden Mitgliedern, die alle laufenden Vereinsausgaben durch freiwillige Spenden finanzieren müssen. Wenn keine Brandschutzversicherung abgeschlossen wurde, lähmt die Beseitigung des Schadens das Gemeindeleben für Monate oder gar Jahre.

In den letzten Jahren war viel vom "islamistischen Terrorismus" die Rede. Schaut man sich die empirischen Befunde für die BRD an, dann bezieht sich dies weniger auf einen Terrorismus von Islamisten, sondern vielmehr auf einen Terrorismus gegen Moslems!

Im Einzelnen handelte es sich um folgende Angriffe:

  • 29-mal Steinwürfe (o. ä.)
  • 6-mal Einbrüche mit Vandalismus
  • 58-mal Brandanschläge
  • 4-mal Schusswaffengebrauch
  • 11-mal Bombendrohungen
  • 3-mal "Bomben"-Anschläge (o. ä.)
  • 11-mal Sonstige / Unbekannt

Hinzu kommen - gemäß Literaturlage - mindestens 47 Moschee-Schändungen in 39 Orten im gleichen Zeitraum. Rechnet man Anschläge und Schändungen zusammen, dann verteilen sich die Übergriffe - Doppelnennungen ausgenommen - in insgesamt 106 Städten und Gemeinden Vorfälle gegeben.

Die Moscheeanschläge verteilen sich auf alle alten Bundesländern mit Schwerpunkten in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Hingegen gab es in den neuen Bundesländern (Ausnahmen: Berlin-Ost und Gera) kaum Angriffe. Dies spricht hingegen nicht automatisch für eine allgemeine Weltoffenheit und Toleranz der ostdeutschen Bevölkerung. Der zugrunde liegende Tatbestand ist ein anderer: wo keine Moscheen sind, können auch keine angezündet werden.

Die Moscheeangriffe erfolgten oft am Wochenende in den Nächten vom Freitag auf Samstag oder Samstag auf Sonntag. Allerdings lässt sich kein "bevorzugter" Zeitpunkt festlegen: Entweder die Angriffe erfolgten im Schutz der Dunkelheit gegen 2.00 bis 4.00 Uhr, nachdem man sich "Mut" angesoffen hatte, oder in aller Herrgottsfrühe. Allerdings gab es auch zwei Angriffe am helllichten Tag.

Die Täter verfügten i. d. R. kaum über technische Kenntnisse. Nur in Ausnahmefällen wurde eine selbstkonstruierte Bombe eingesetzt. Bei Brandsätzen verwendeten die Angreifer alles Brennbare, was gerade greifbar war: vom Mofa-Kraftstoff bis zum Nagellackentferner. Die Lunten wurden in Einzelfällen aus einem T-Shirt oder Klopapier gefertigt. Dies spricht weniger für eine generalstabsmäßige Vorgehensweise nach dem Handbuch für Werwolf-Jagdeinheiten, sondern klingt eher nach einem Terrorausflug ins Grüne. Die ausländischen Brandstifter, Kurden oder Armenier etc, waren technisch versierter, als deutsche Neonazis.

Nicht in allen Fällen wurde bekannt, zu welcher religiösen bzw. politischen Dachorganisation die attackierte Moscheegemeinde gehörte. Daher kann folgende Verteilung nur einen groben Überblick geben:

  • 24-mal Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (DITIB)
  • 3-mal Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ)
  • 2-mal Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG)
  • 3-mal Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ)
  • 1-mal Lahore Ahmadiyya Gemeinde
  • 1-mal Islamische Gemeinschaft der Iraner
  • 1-mal eine kurdische Moschee
  • 1-mal Moslembruderschaft bzw. IZM
  • 1-mal Einladung zum Paradies (EZP)
  • 1-mal Avrupa Türk-İslam Birliği (ATIB)
  • 2-mal Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu (ADÜTDF)
  • 2-mal Salafisten

Auffallend ist, dass in 29 Fällen die Moscheegemeinden angegriffen wurden, die eine relativ gemäßigte Auffassung des Islams (DITIB, AMJ, ATIB, ADÜTDF) vertreten; allerdings sind dabei zwei politisch extremistische Gemeinden der ADÜTDF mitgerechnet. Nur achtmal wurde eine islamistische Moscheegemeinde (VIKZ, IGMG, IZM, EZP und die Al Nur Moschee in Berlin) attackiert.

Besteht ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen gegen deutsche Moscheen und dem internationalen Terrorismus der Al-Qaida? Diese Frage muss wohl eher verneint werden. Schließlich gab es die ersten Angriffe auf Moscheen bereits 1981, also zwanzig Jahre vor dem "11. September".

Unterteilt man den Untersuchungszeitraum in Dekaden und wählt den 11. September als Stichtag, dann ergibt sich folgende Anschlagsverteilung:

  • 11.9.1971 bis 10.9.1981: 2 Vorfälle
  • 11.9.1981 bis 10.9.1991: 9 Vorfälle
  • 11.9.1991 bis 10.9.2001: 30 Vorfälle
  • 11.9.2001 bis 10.9.2011: 81 Vorfälle
  • 11.9.2011 bis 10.9.2021: ?

Die Auflistung zeigt, dass es in den zehn Jahren nach dem "11. September" mehr als doppelt so viele Anschläge gegeben hat, wie in den zehn Jahren vor dem "11. September". Allerdings ist völlig offen, ob dies eine Reaktion auf den internationalen dschihadistischen Terrorismus war, oder ob dies nur dem trendmäßigen Zuwachs entsprach. Schließlich gab es bereits in den neunziger Jahren eine Verdreifachung der Vorfälle gegenüber den achtziger Jahren. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich nur einer der bisher 120 Anschläge gegen eine Moschee (die Berliner Al Nur Moschee) richtete, die als Dschihadisten-Treffpunkt bekannt ist. Die Zukunft wird zeigen, ob die von Dekade zu Dekade zunehmenden Angriffe auch in den kommenden Jahren weitern zunehmen werden oder ob dieser Trend gebrochen werden kann.

Die Moscheegemeinden selbst können sich nur passiv schützen: Einbau von bruchsicherem Glas, IR-Überwachungskameras, die mit Bewegungsmeldern kombiniert werden, Glasbruch- und sonstige (stille) Alarmanlagen oder Brandmeldesysteme, etc..

Die Täter

Soweit bekannt liegt bei 32 Moscheeangriffen ein Täterbekenntnis (Kommandoerklärung, Hakenkreuzschmiererei, etc.) vor bzw. konnte ein Täter ermittelt werden. Davon wurde ein Tatverdächtiger vor Gericht freigesprochen. In den verbleibenden 31 Fällen ergibt sich folgende Verteilung:

  • 20-mal Skins bzw. Neonazis
  • 5-mal Kurden
  • 1-mal Armenier
  • 1-mal nationalistische Türken
  • 1-mal Psychopath
  • 3-mal Sonstige

Mindestens dreimal waren der oder die Täter gleich an zwei Aktionen gegen Moscheen beteiligt; ein weiterer zeichnete für drei Moscheeanschläge verantwortlich. Die Täter agierten als Einzeltäter oder in kleinen Gruppen. Immer waren Männer dabei, in Ausnahmefällen auch Frauen, die eine mehr oder weniger aktive Rolle spielten. Die jüngsten Täter waren 15 Jahre alt. Nur in fünf Fällen waren die Täter nachweislich alkoholisiert (einmal Jugendliche, viermal Neonazis), so dass sich die Täter i. d. R. nicht auf einen Rausch herausreden konnten.

Zumindest in Einzelfällen bestanden persönliche Verbindungen der Täter zur NPD. Die ist kein Zufall: Während die NPD die türkischen Faschisten der "Grauen Wölfe" umwarb und noch im Oktober 2002 Kontakte zur islamistischen Hizb ut-Tahrir (HuT) pflegte, hat sie gleichzeitig versucht, sich der Protestbewegung gegen Moschee-Neubauten anzuschließen, um aus ihrer politischen und gesellschaftlichen Isolierung herauszukommen, Allerdings ist auch diese "Pro Deutschland"-Bewegung geprägt durch politische Richtungskämpfe, persönliche Intrigen und die Unfähigkeit ihrer vermeintlichen Exponenten. So konnte es der NPD kaum gelingen, politisch naive Leute aus der so genannten "bürgerlichen Mitte" für sich zu vereinnahmen.

Aber es wäre zu einfach, bei jedem Moscheeanschlag ein xenophobes oder islamophobes Motiv zu unterstellen. Zu den Tätern gehörten zuweilen auch linksextremistische Ausländer (Türken, Kurden oder Armenier) oder rechtsextremistische Türken.

Die Strafverfolgung

Was die Polizei anbelangt, so sind aufgrund der Quellenlage nur sehr allgemeine Feststellungen möglich. Wie bei anderen Straftaten sind die polizeilichen Ermittlungsergebnisse höchst unterschiedlich: Manchmal konnten Täter auf frischer Tat oder kurz danach festgenommen werden, aber viele Anschläge blieben bis heute unaufgeklärt. In mehreren Fällen, in denen die Polizei die Täter in Kreisen der PKK vermutete, konnte sie diese nicht überführen. Darüber hinaus fällt auf, dass Polizeibeamte eine Verwicklung von Neonazis wiederholt abstritten oder zumindest relativieren wollten. Für den Polizeiapparat kann dies nur kontraproduktiv sein, da die Polizei in den letzten Jahren bemüht war, "gute" Gesprächskontakte zu den Moscheegemeinden aufzubauen, da man bei der Bekämpfung des dschihadistischen Terrorismus auf vertrauliche Warnhinweise aus den Moscheen angewiesen ist.

Auch eine genaue Analyse der Gerichtsverfahren ist nicht möglich, zumal bei Strafverfahren vor den Jugendschöffengerichten bei den Amtsgerichten der Datenschutz eine besondere Bedeutung hat. Zwar geht das Jugendstrafrecht zurecht von dem Erziehungsgedanken aus und betont das Ziel der Resozialisierung, allerdings hat man den Eindruck, dass von den Richtern die "schwere Kindheit" und das Entwicklungsdefizit der Angeklagten in Verfahren gegen Skinheads bzw. Neonazis besonders betont wurde, während die Tat als bloß "jugendtypische Verfehlung" verharmlost wurde. So zeigten die Gerichtsverfahren wiederholt, dass die tumben Versuche der Richter, das Maß an Schuld der Täter so gering wie möglich einzustufen, nur noch von der Unverfrorenheit der Täter übertroffen wurden, ihre Schuld gänzlich zu leugnen.

Demgegenüber kennt die Justiz bei der Urteilsfindung auch den Gedanken der Abschreckung bzw. Generalprävention. Darauf hat man hier wohl verzichtet. Außerdem sind die Gerichte eigentlich gehalten, bei der Strafzumessung die Umstände und Beweggründe (§ 46) und "alle Tatsachen" (§ 244) zu berücksichtigten, also z. B. auch die politische Motivation des Täters zu hinterfragen. Dies ist aber gerade bei Tätern aus dem rechten Spektrum oft nicht der Fall gewesen. Stattdessen bemühten sich die Gerichte nicht nur um eine Bagatellisierung sondern auch "Depolitisierung" des Tatgeschehens. In einem Fall rief die rechtsstaatliche Laschheit der Justiz gegenüber den Neonazis sogar bei den Rechtsextremisten Kritik hervor: Die Milde des Gerichts gegenüber ihrem angeklagten "Kameraden" werteten sie als Indiz dafür, dass dieser möglicherweise ein V-Mann des Verfassungsschutzes sei, der geschont werden sollte.

Anscheinend begreift sich die Justiz als ein Instrument der Kriegführung, das bei seiner Schuldverteilung sehr wohl zwischen "Freund" und "Feind" unterscheidet: Allerdings werden in dieser verzerrten Wahrnehmung die deutschen Täter zum "Freund" und das moslemische Zielobjekt ist der "Feind". Anscheinend wollten die Richter keine Lehren aus der Geschichte der Weimarer Republik ziehen. Womöglich denkt man bei Gericht, die Geschichte sei bekanntlich schon lange her und kein Zeitzeuge könne noch vernommen werden.

Die Frage, inwieweit Moscheeanschläge von linksextremistischen PKK-Anhängern anders "beurteilt" wurden, als Moscheeanschläge von rechtsextremistischen Kameraden, kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht beantwortet werden.

Eskalationsgefahren

Glücklicherweise haben die 122 Angriffe keine Menschenleben gefordert; auch der Sachschaden hielt sich mit vielleicht ein bis zwei Millionen Euro in überschaubaren Grenzen. Allerdings darf dies nicht unterschätzt werden. Die Moscheegemeinden haben i. d. R. nur eine Größe von 300 bis 400 zahlenden Mitgliedern, die alle laufenden Vereinsausgaben durch freiwillige Spenden finanzieren müssen. Wenn keine Brandschutzversicherung abgeschlossen wurde, kann die Beseitigung des Schadens das Gemeindeleben für Monate lähmen.

Dennoch sind sie Angriffe auf Moscheen nur ein kleiner Teil der Gewalt gegen Ausländer und Moslems in Deutschland. Die Brandanschläge gegen Asylbewerberwohnheime, Wohnhäuser von Ausländern oder türkische Geschäfte hatten viel gravierendere Folgen: Erinnert sei hier nur an die Anschläge auf die Wohnhäuser in Mölln am 23. November 1992 mit 3 Toten und in Solingen am 29. Mai 1993 mit 5 Toten. Bei einem Brand in einem Altbau in Ludwigshafen (Danziger Platz 2) am 3. Februar 2008 starben gleich neun Menschen, darunter mehrere Kinder. Der Brand wurde wahrscheinlich durch einen Schwelbrand im Keller ausgelöst, jedenfalls wurde keine Spuren eines Verbrechens gefunden. Allerdings konnte die genaue Ursache nie geklärt werden. Ein paar Türken aus Ostanatolien wollten damals den deutschen Berufsfeuerwehrleuten die Einsatztaktik zur Brandbekämpfung bei Großbränden in Altbauten vorschreiben, indem sie als erstes den Einsatzleiter der Feuerwehr krankenhausreif schlugen. Solche "temperamentvollen" Panikreaktionen sollte man völlig unterlassen! Darüber hinaus stellten die türkischen Massenblätter "Hürriyet" und "Millyet" die Deutschen unter NS-Generalverdacht. Angesichts dieser aufgeheizten Stimmung verzichtete die Staatsanwaltschaft auf eine Anklage gegen den Mob wegen schweren Landfriedensbruchs.

Man stelle sich die Reaktionen in der Öffentlichkeit vor, sollten bei einem Anschlag auf eine deutsche Moschee mehrere Gläubige ums Leben kommen. Wer heute Moscheen anzündet, der zündet morgen vielleicht auch Moslems an! Außerdem haben Angriffe auf Moscheen immer eine besondere politische Brisanz. In diesem Zusammenhang sei nur an die inszenierte Affäre um die Mohammed-Karikaturen und den versuchten Vergeltungsschlag der beiden Kölner Kofferbomber gegen zwei Regionalzüge der Deutschen Bundesbahn im Jahre 2006 erinnert. Verschiedene Szenarien sind denkbar, in denen sich Nationalsozialisten, Dschihadisten, Polizisten und Antifaschisten gegenseitig aufschaukeln. Es heißt, nach einem schweren Terroranschlag wäre die Bundesrepublik "eine andere Republik".

Der amtierende Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, erklärte 2009:

Wer allein die Straftaten Rechtsradikaler in den letzten Jahren gegen Muslime zählt, zusätzlich die Moscheeanschläge berücksichtigt, wird erkennen: Wir müssen alle etwas gegen diese Islamfeindlichkeit in unserem Land tun.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit