Mosdorf: Behördenschalter in Bürgersteige umwandeln

Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium eröffnete die Internet World in Berlin voller Optimismus und trotzte dem Störtrupp eines Berliner Startups

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Das Internet boomt in Deutschland. Die dieses Jahr immerhin schon über 500 Aussteller aufweisende Internet World ist nur ein Anzeichen für den Netzaufschwung. Wirtschaft, Gesellschaft und der Staat müssen sich aber noch auf gravierende Änderungen einstellen, glaubt Mosdorf. Die Bundesregierung tut seiner Meinung nach alles, um den Wandel voranzutreiben. Doch das ist nicht genug, finden Investoren und Netzunternehmer.

Entwickelt sich Deutschland zum Hightech-Standort? Die am Vormittag durch den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Siegmar Mosdorf, eröffnete Internet-World steht jedenfalls ganz im Zeichen des Optimismus. Florian Langenscheidt von der gleichnamigen Verlagsgruppe sprach bei einer Diskussionsrunde zu der Frage, ob Europa die nächste Internet-Welle anführe, sogar vom "Unternehmerparadies Deutschland" und schlug damit gänzlich unbekannte Töne an. Natürlich müsse noch einiges besser werden, nämlich das Internet billiger und schneller und die von der Telekom versprochene, besonders günstige Flatrate für Schüler (Schröder und Telekom blasen zur Online-Offensive) endlich kommen. Ansonsten habe die Bundesregierung aber begriffen, um was es gehe, nämlich um die konsequente Förderung des Wachstumsmarktes Internet.

Mosdorf fiel es angesichts dieses Lobs leicht, über die Vorzüge der New Economy hier zu Lande zu philosophieren. In seine Keynote wies er wie schon im Jahr zuvor (Netzpolitik an der Wende) auf den "fundamentalen Wandel" hin, der die klassischen Volkswirtschaften ergriffen habe. Deutschland werde in Zukunft seiner Meinung nach eine wichtige Rolle in der Neuen Wirtschaft spielen, da auch die alten Erfolgsbranchen wie etwa die Automobilindustrie verstärkt von dem Wandel erfasst würden. Die eigentliche Revolution komme aber "von unten" und nicht aus den Chefetagen.

Kurze Werbepause: "Greenpeace des Internet" kämpft um Aufmerksamkeit und ein besseres Netz

Seine weiteren Ausführungen über die Netzrevolution musste Mosdorf allerdings kurz unterbrechen: Ein Störtrupp in weißen Klamotten baute sich mitsamt eines meterlangen Protestplakates mit der Aufschrift "1. Internet-Schutzorganisation" vor der Rednertribüne auf. Eine junge Dame plärrte daraufhin mehrere Minuten völlig unverständliche Parolen mit einem Megaphon durch die Halle. Herauszuhören war nur, dass es den Demonstranten wohl um den "Schutz der digitalen Umwelt vor Überschwemmungen" ging und dass "tote Links zum Himmel stinken." Einem freundlichen Mitglied des Organisationsteams der Messe gelang es schließlich, die Gruppe aus dem Raum zu drängen. Später klärte sich auf, dass die mit den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie vertrauten Aktivisten der "Better Internet Orientation Squad for digital environment" (BIOS) angehörten, die ihre Anfang Mai in Berlin gestartete Kampagne gegen Internetverschmutzung vor dem Fachpublikum der "Internet- Professionals" in Szene setzen wollten. Hinter BIOS stehen drei Studenten, die sich dem Schutz der "wichtigsten, knappen Ressource der Informationsgesellschaft: der menschlichen Aufmerksamkeit" verschrieben haben. Auf ihrer Site lassen sich Webseiten "entsorgen", die einzelne User für "Schrott" halten.

Mosdorf lud die Macher von BIOS denn auch gleich zum Plausch ins Ministerium ein und ließ sich ansonsten durch die Showeinlage nicht aus der Ruhe bringen: "Die großen Tanker müssen lernen, dass sie im Zeitraffer Marktanteile verlieren", würden sie sich jetzt nicht auf die neuen Spielregeln einstellen, plauderte der Staatssekretär weiter. Das Internet sei "keine Veranstaltung bloß für Großunternehmen". Auch kleine und mittlere Unternehmen bekämen mit dem Netz ein "Fenster zum Weltmarkt". Trotz der jüngsten Einbrüche auf den Börsen der "New Economy" sprach Mosdorf von der Entstehung "einer neuen Währung auf der Welt", die sich in Börsennotierungen niederschlage. Letztlich belohnten die Investoren damit aber alles, "was an Phantasie hinter bestimmten Dienstleistungen steht."

Die Neue Ökonomie entfaltet sich, so Mosdorf, allerdings nur unter den Voraussetzungen, dass sowohl die Unternehmen, als auch der Staat und die Gesellschaft als Ganze den Wandel akzeptieren und sich selbst verändern. "Deutschland gibt tüchtig Gas", lobte der Staatssekretär in diesem Zusammenhang die Bundesregierung und ihr von der Opposition als "blutleer" kritisiertes Aktionsprogramm zur Informationsgesellschaft (Blutleere Pläne oder intelligente Regulierung?) vom vergangenen Herbst. Das noch einiges zu tun sei, stritt der eine stärkere Dienstleistungsorientierung und höhere Selbständigenquoten fordernde SPD-Politiker allerdings nicht ab: "Wir müssen aus Behördenschaltern Bürgersteige machen", kritisierte Mosdorf den schleppenden Umbau der Verwaltung zur E-Ministration. Als Vorbild lobte er Singapur, wo Bürger beim Einreichen ihrer Steuererklärung fünf Prozent Rabatt auf die Staatsschuld erhalten. Konkrete Pläne, ähnliche Vergünstigungen auch in Deutschland einzuführen, konnte Mosdorf allerdings nicht mit zur Internet World bringen. Nur die dadurch reichlich hohl klingenden Worte, dass die "Bundesregierung alles getan habe", um das Thema Internet ganz oben auf die Agenda zu setzen.

Dass in Deutschland letztlich doch alles etwas länger dauert als in Singapur oder in den USA, macht Mosdorf an einem sich durch alle Parteien hindurch ziehenden "Strukturkonservatismus" fest. Es herrsche die Einstellung vor, dass "alles anders bleiben müsse". Hauptaufgabe der Politik sei es daher, "die Leute mitzunehmen" in die Netzgesellschaft: "Wir dürfen Veränderungen nicht exekutieren, sondern sie erklären", ist sich der Staatssekretär sicher. Zu vermeiden sei vor allem ein Digital Divide, die Spaltung in User und Looser. Mosdorf warb in diesem Zusammenhang dafür, dass man dem inzwischen 30jährigen Internet trotz anderer Sinnsprüche der 68er-Generation trauen könne und es für den Alltagseinsatz tauglich sei - "trotz der Loveletter-Virus-Problematik". Es gebe "noch offene Flanken", gab der Staatssekretär zu, sie seien aber in Griff zu bekommen.

Schlägt dank "Contentrausch" die Phase der deutschen Großverlage?

Die von Mosdorf angeschnittene Kluft ist aber längst schon Teil der Realität, vor allem, wenn sich der Blick auf die transkontinentalen Verschiebungen richtet. Einer Untersuchung der Unternehmensberatung Booz Allen & Hamilton vom März zufolge, liegt Europa in allen Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnik nach wie vor weit hinter den USA zurück. Auch im Sektor E-Commerce liegt das Wachstum jenseits des Atlantiks deutlich höher als in der EU. Einziger Lichtblick in der Studie ist wie üblich der Markt rund ums mobile Telefonieren und der darauf vielleicht einmal aufbauende M-Commerce. 65 Prozent der deutschen Manager, die das Handelsblatt jüngst zu diesem Thema befragte, sehen Europa im Vergleich mit den USA zwei bzw. drei oder vier Jahre im Internetbereich zurückliegen.

Sich nur in diese Zahlen festzubeißen, ist für Langenscheidt allerdings der falsche Weg. Bei einem Wettrennen, glaubt der Verleger, sei es nicht sinnvoll, ständig auf den Abstand zum Vordermann zu starren. "Wir sollten uns lieber eine andere Sportart wählen und uns auf unsere eigene Stärken besinnen", lautet der erfrischende Vorschlag Langenscheidts. Die lägen vor allem in der kulturellen Vielfalt Europas. Seine Verlagsgruppe selbst will in einem Joint-Venture mit Holtzbrinck mit der "Wissen online" bietenden Community Xipolis.net mit gutem Beispiel vorausgehen, wie man finanzielles Kapital aus dem kulturellen Werten ziehen kann. Dort gebe es Experten für jegliches Sachgebiet sowie "Erklärungen aus einer Riesendatenbank". Bei einem "Test" der Neuen Zürcher Zeitung fiel Xipolis.net allerdings bereits durch: Statt "lebendigem Wissen", wie der Anspruch laute, würden nur veraltete Artikel aus der "Profi-Datenbank" ausgespuckt. Wie sich das Angebot so gegen Konkurrenten wie die kostenlos ihre und die zahlreicher anderer Medienangebote öffnenden Archive der Encyclopaedia Britannica durchsetzen soll, erscheint fraglich.

Wo bleibt die IG Net? Oder: Freie Arbeit für Netzmillionäre

Trotzdem sieht auch Mosdorf "große Chancen" in der Vermarktung von europäischen Inhalten. "Wir sind in der Contentphase angekommen", glaubt der Staatssekretär. Da habe Europa einiges zu bieten. Mosdorf spricht vom "Leapfrogging", von der Möglichkeit, an bestimmten Entwicklungen vorbeizuspringen und so die Führung zu übernehmen. Diese Chance sieht er auch im Bereich der nächsten technischen Phase des Internet, dem mobilen Netz. Doch auch mit ISDN hatte sich Europa schon mal ganz weit vorne gefühlt, weil sich diese Leitungstechnik in den USA einfach nicht durchsetzen wollte. Doch dafür gibt es heute über drei Millionen DSL-Anschlüsse zwischen New York und Kalifornien, während ganz Europa trotz aller Telekom-Werbung bisher nur auf 300.000 DSL-Nutzer kommt.

Ein Problem bei der Umgestaltung der deutschen Politik- und Unternehmenslandschaft zur New Economy hat außerdem Gert Köhler ausgemacht. Der Geschäftsführer der 3i-Technologieholding, die Firmen wie Intershop oder Brokat mit Risikokapital groß gezogen hat, fürchtet um die Möglichkeiten, Mitarbeiter fürs Schuften in Internet-Startups zu motivieren. Stock-Options müssten in Deutschland nämlich viel zu hoch versteuert werden, höher als normale Kapitalgewinne. Für viele Netz-Firmen bedeute dies, dass sie die "Währung" Aktienanteile deutlich vorsichtiger einsetzen müssten als ihre amerikanischen Pendants. Köhler forderte daher den Aufbau einer "IG Net statt einer IG Metall". Eine solche Gewerkschaft sollte dafür kämpfen, dass Arbeiter in Startups "so lange arbeiten können, wie sie wollen." Im Gegenzug sollte eine entsprechend Beteiligung an dem Unternehmen möglich sein, ohne dieses Kapital wie bisher gesondert versteuern zu müssen.