Motassadeq zum zweiten Mal verurteilt

Gericht ließ Anklage wegen Beihilfe zum Massenmord fallen und verurteilte ihn wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung

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Der 3. Strafsenat des Hamburger Oberlandesgerichts (OLG) verurteilte Mounir El-Motassadeq am vergangenen Freitag zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und ordnete die Vollstreckung des Haftbefehls an, der im April 2005 vorläufig ausgesetzt worden war. Der Vorsitzende Richter Ernst Rainer Schudt sah es als erwiesen an, dass Motassadeq zum engen Kreis um Mohammed Atta gehört habe, das fundamentalistische Gedankengut Al-Qaidas teile und grundsätzlich zum Dschihad bereit gewesen sei. Das leitete der Richter aus der Tatsache ab, dass Motassadeq sich in einem Al-Qaida-Camp habe ausbilden lassen. Er habe aber nicht zum „ganz harten Kern“ um Atta gehört, der in die Attentatspläne eingeweiht gewesen sei, so Schudt in seiner Begründung.

Mounir El-Motassadeq wurde am 27.11.2001 aufgrund der Ermittlungen im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 verhaftet. Ab dem 22.10.2002 musste er sich vor dem Hanseatischen OLG wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen verantworten. Am 19. Februar 2003 wurde er wegen dieser Vorwürfe zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob diesen Schiedsspruch am 4. März 2004 jedoch wieder auf und verwies den Fall an einen anderen Senat des Hamburger OLG )Grenzen der Wahrheitsfindung). Am 10. August 2004 begann daraufhin vor dem 4. Strafsenat des OLG die Neuauflage des Prozesses (Prozess gegen Motassadeq eröffnet). In 70 Verhandlungstagen wurden mehr als 100 Zeuginnen und Zeugen verhört, ein Islamwissenschaftler und andere Experten, z.B. ein Vertreter der 911-Commission vorgeladen, Aktenberge durchkämmt und Videos eingesehen.

Schudt attestierte dem Senat eine „ausführliche“ und „vorsichtige Beweisführung“ bei dem „großkalibrigen Verfahren“. Der Strafsenat habe vor einer möglichen Revision die Augen nicht verschlossen, sich davon aber „auch nicht irre machen lassen“. „Wir waren es den mehr als 3.000 Opfern schuldig, nach Hinweisen auf die Verstrickung des Angeklagten in die Attentate zu suchen. Genauso waren wir es dem Angeklagten schuldig, nach Hinweisen für dessen Unschuld zu suchen“, erläuterte Schudt in seiner Urteilsbegründung.

Die Theorie der Bundesanwaltschaft, dass die Pläne für die Anschläge in Hamburg entwickelt worden seien und Osama bin Laden lediglich um Unterstützung gebeten worden sei, habe ihn nicht überzeugt, so Schudt. Die Anschläge hätten mehr als 300.000 Dollar gekostet, einer etwa zweijährige Vorbereitungszeit erfordert und einer „größeren Mannschaft, als Atta sie stellen konnte“, bedurft. Die Bundesanwaltschaft ist inzwischen von dieser Theorie auch abgerückt und geht nunmehr davon aus, dass Atta und Co sich in Afghanistan „als Massenmörder verdungen“ haben, wie Bundesanwalt Kraus in seinem Plädoyer in der vergangenen Woche sagte.

Schudt charakterisierte die „terroristische Vereinigung“ um Atta als einen Kreis von etwa 10 - 15 muslimischen Studenten, die sich in der Moschee und privat trafen, sich gegenseitig unterstützten und bis 1998 völlig unauffällig gewesen seien. Dann habe die Radikalisierung begonnen, die ersten von ihnen hätten die Reise ins Al-Qaida-Ausbildungslager nach Afghanistan angetreten. Danach sei die lockere Verbindung durch die „islamistische Perspektive“ ersetzt worden und übrig geblieben seien sieben Freunde, die sich „zunehmend radikalisierten und abkapselten“. Fünf von ihnen seien in Afghanistan gewesen. Dazu gehörten auch der Angeklagte Motassadeq und der kürzlich von allen Vorwürfen frei gesprochene Abdelghani Mzoudi (Mzoudi-Prozess: Freispruch vom BGH bestätigt).

In einem Nebensatz relativierte Schudt seinen Freispruch für Mzoudi. Die Beweislage habe sich erst im Laufe des zweiten Prozesses gegen Motassadeq erhellt, sagte er. Diese sieben Personen seien die nach dem Prinzip „global denken – lokal handeln“ operierende terroristische Vereinigung, der „harte Kern“ um Mohammed Atta gewesen. Aber, so Schudt weiter, innerhalb dieses „harten Kerns“ habe es noch einen „ganz harten Kern“ gegeben: diejenigen, die in die Pläne eingeweiht gewesen seien. Und dazu hätten Motassadeq und Mzoudi nicht gehört.

Mit dem Urteil vom vergangenen Freitag ist weltweit erste Prozess im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht beendet. Die Bundesanwaltschaft hatte die Höchststrafe beantragt, die Verteidigung Freispruch. Motassadeqs Anwälte kündigten bereits an, Einspruch gegen das Urteil einzulegen, die Bundesanwaltschaft behält sich vor, „die Revision zu prüfen“, wie Bundesanwalt Walter Hemberger sagte. Motassadeq wird den weiteren Verlauf zunächst aus der U-Haft beobachten müssen, bei ihm klickten gleich nach der Verhandlung die Handschellen. Er hatte kürzlich angekündigt, im Falle eines Freispruchs die BRD freiwillig zu verlassen. Deshalb witterte Richter Schudt Fluchtgefahr und ließ ihn umgehend inhaftieren.