Münchner Sicherheitskonferenz: Wenn "Russland sich nicht stellt"
Das Wording des Konferenzleiters, der UN-Generalsekretär, auf den niemand hört und die Sicht des Bündnisses, das gegen die Tagung im Luxushotel Bayerischer Hof demonstriert
Kurz vor Beginn der 58. Münchner Sicherheitskonferenz liegen die Nerven blank: Die Russen kommen nicht, aber in anderer Hinsicht vielleicht doch – vielleicht marschieren sie schon in den nächsten Tagen in die Ukraine ein, gab am Donnerstag US-Präsident Joe Biden zu bedenken, nachdem sie am Mittwoch trotz Ankündigung westlicher Medien unter Berufung auf Geheimdienstinformationen nicht einmarschiert waren.
Bidens Stellvertreterin Kamala Harris ist bereits am Donnerstagabend in der bayerischen Landeshauptstadt gelandet und dort von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) begrüßt worden. Vor dem Hintergrund der Eskalation des Ukraine-Konflikts wird Harris neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu den prominentesten Rednern der Konferenz im Luxushotel Bayerischer Hof gehören. Russland ist dort zum ersten Mal seit 1991 nicht mit einer offiziellen Delegation vertreten.
Humor als Waffe oder nur ein Bluff?
Moskauer Offizielle geben sich allerdings in diesen Tagen betont entspannt. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hat laut einem Bericht des deutschsprachigen Auslandssenders RT DE belustigt auf die Gerüchte über russische Invasionspläne reagiert – und unter anderem die New York Times und die britische Tageszeitung The Sun öffentlich gebeten, "den Zeitplan unserer 'Einmärsche' für das kommende Jahr" bekanntzugeben". Sie wolle nämlich ihren Urlaub planen.
Die Teilnahme einer russischen Delegation an der Münchner Sicherheitskonferenz hatte Sacharowa wenige Tage zuvor abgesagt. Das Treffen habe sich "in den letzten Jahren immer mehr zu einem rein transatlantischen Forum gewandelt". Letzteres sei "okay", meinte kurz darauf der Moskauer Politologen Fjodor Lukjanow im Gespräch mit Telepolis. Ihm sei aber nicht klar, "warum es dann überhaupt dort Außenstehende braucht, die mit ihren Aussagen nur nerven".
Konferenzleiter Wolfgang Ischinger erklärte dagegen im ARD-Morgenmagazin, er verstehe, dass Russlands Außenminister Sergej Lawrow es nicht als "vergnügungssteuerpflichtig" empfinde, an diesem Treffen teilzunehmen. Hunderte Entscheidungsträger würden dort aber in diesem Jahr sehr bedauern, "dass Russland sich nicht stellt".
Das Wording erinnert an einen Kriminalfilm: Der Beschuldigte ist untergetaucht und soll sich stellen, um die Chance auf einen fairen Prozess nicht zu verspielen. Als ehemaliger Spitzendiplomat dürfte Ischinger das nicht einfach so dahingesagt haben. Darüber hinaus befand er an diesem Freitagmorgen, es sei "sehr, sehr weit hergeholt", wenn Russland sich durch eine mögliche zukünftige Nato-Mitgliedschaft der Ukraine bedroht fühle. Russland bedrohe seinen westlichen Nachbarn, so Ischinger.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die ebenfalls auf der Konferenz sprechen wird, erklärte vor ihrer Abreise nach München, Russland stelle "mit einem beispiellosen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine" und Forderungen aus dem Kalten Krieg "Grundprinzipien der europäischen Friedensordnung in Frage". Von der Münchner Konferenz werde aber das Signal ausgehen: "Wir sind bereit zu einem ernsten Dialog über Sicherheit für alle."
Nach Informationen von Telepolis müssen übrigens auch Russen, die sonst unabhängig von der offiziellen Delegation gekommen wären, der Konferenz fernbleiben, weil ihr Impfstatus mit dem Vakzin Sputnik V von deutscher Seite nicht anerkannt wird – darunter der Außenpolitik-Experte Andrej Kortunow.
Ein Rufer in der Wüste
30 Staats- und Regierungschefs haben sich zur "Siko" im Bayerischen Hof angekündigt, außerdem mehr als 80 Minister. Eröffnet wird die Konferenz um 13.30 Uhr mit einer Rede von UN-Generalsekretär António Guterres, der schon zu Beginn der Corona-Pandemie zu einem globalen Waffenstillstand aufgerufen und mehrfach die Dringlichkeit der Klimakrise betont hat – und auf den hier vermutlich wieder mal niemand hören wird. Vor mehr als einem Jahr hat er das Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags begrüßt, der von Nato-Staaten ebenso boykottiert wird wie von Russland. Vieles, wofür Guterres steht, wird in München an diesem Wochenende sonst eher bei Gegenveranstaltungen zur "Siko" gefordert.
Ein Bündnis von mehr als 80 vor allem friedens- und umweltbewegten Gruppen und Organisationen, die zu Protesten gegen die Konferenz aufrufen, bestreitet grundsätzlich, dass es bei dieser von Nato-Staaten dominierten Tagung überhaupt um Sicherheit geht. Sie verweisen unter anderem auf die Teilnahme von Vertretern großer Rüstungskonzerne, für die das Wettrüsten ein Geschäftsmodell ist – diese Kritik wurde in den Protestaufrufen auch schon geäußert, als Russland noch offizielle Delegationen dorthin schickte.
In einer Erklärung zum Ukraine-Konflikt fordert das "Aktionsbündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz" auch von westlicher Seite "Deeskalation und ein Ende der Feindbildpropaganda". Um den Konflikt friedlich zu lösen, müsse das völkerrechtlich bindende Minsker Abkommen müsse umgesetzt werden – dazu gehöre eine militärische Pufferzone durch Abzug aller schweren Waffen auf beiden Seiten zwischen der Westukraine und dem Donbass. Alle ausländischen bewaffneten Einheiten und deren Militärtechnik, ebenso wie Söldner, müssten vom Territorium der Ukraine abgezogen werden.
Menschenkette und Friedenskonferenz
Die Protestierenden werden den Konferenzteilnehmern aber nicht allzu nahe kommen. Nur akkreditierte Gäste, Anwohner und Geschäftsleute haben an diesem Wochenende Zutritt zum Areal rund um den Bayerischen Hof. Der Promenadeplatz ist seit 6.00 Uhr an diesem Freitagmorgen bis Sonntag um 17 Uhr gesperrt. Der Trambahn-Verkehr zwischen Karlsplatz und Maxmonument ist eingestellt und wird nach Angaben der Münchner Polizei über den Sendlinger-Tor-Platz umgeleitet.
Das Aktionsbündnis will nach der Kundgebung, die am Samstag um 13 Uhr am Stachus beginnt, das Tagungshotel weiträumig mit einer Protestkette umzingeln.
Parallel zur Sicherheitskonferenz findet im Alten Rathaussaal außerdem die Internationale Münchner Friedenskonferenz statt, die um 19 Uhr an diesem Freitagabend per Livestream im Internet verfolgt werden kann. Zu den Organisatoren gehören unter anderem Greenpeace, die Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Pax Christi.
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