Musharrafs schmaler Grat

Hunderte Extremisten wurden in den letzten Wochen in Pakistan festgenommen; Indien versucht, die Kommunikation mit allen Mitteln zu stören

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Im Konflikt zwischen Indien und Pakistan bemüht sich der pakistanische Militärmachthaber Pevrez Musharraf merklich, die Spannungen abzubauen. Über Tausend Anhänger extremistische Parteien und Organisationen wurden in den vergangenen Wochen auf seine Anweisung hin verhaftet, die beiden in Kaschmir aktiven Extremistengruppen Lashkar-e-Taiba und Jaish-e-Mohammad und drei weitere Gruppen ließ Musharraf gar verbieten . Erstaunlicherweise blieb die Lage im Land bis jetzt relativ ruhig, die das Lager der islamische Fundamentalisten schont sich noch nicht von der Niederlage der Taliban im Nachbarland Afghanistan erholt zu haben. Angeblich sollen viele Mitglieder der verbotenen Gruppen jetzt in den Untergrund gegangen sein und sich andere Identitäten gegeben haben.

Für Musharraf ist das eine willkommene Chance, einen neuen Anlauf zu gesellschaftlichen Reformen zu wagen. Besonders im städtischen Mittelstand erhält er beim Versuch, den Einfluss der Fundamentalisten zurückzudrängen, Unterstützung. Viele Menschen in Pakistan, dem Land, dessen Präsident älter als sein Staat ist, erhoffen sich im Rahmen der politischen Neukartierung der Region vor allem einen wirtschaftlichen Anschluss an den Westen.

Kamran Niaz, der Sprecher der pakistanischen Außenministeriums, wertete Indiens Reaktion auf die jüngste Ansprache Musharrafs an die Nation zumindest als "nicht negativ". Nach Angaben des Ministeriumssprechers hatte man sich eine freundlichere Reaktion erhofft, "das Wichtige aber ist, dass wir überhaupt eine Antwort bekommen haben."

Das Vorgehen Pakistans kommt zur rechten Zeit, denn nach dem Überfall auf das Bundesparlament in Neu-Delhi (Terroristen mit Laptop, Emails und Handys) wollten Kaschmir-Extremisten indischen Erkenntnissen zufolge einen weiteren Anschlag in der Hauptstadt verüben. Die Polizei teilte am Dienstag mit, sie habe vier Männer verhaftet, die Bomben zur Generalprobe der Parade am Nationalfeiertag Ende Januar hätten legen wollen. Auftraggeber sei erneut die Lashkar-e-Taiba gewesen. Die Polizei in der indischen Hauptstadt teilte mit, die Männer aus dem indischen Teil Kaschmirs seien am Montag in einem Hotel mit Bargeld im Wert von umgerechnet 65.000 Euro und Sprengstoff gefasst worden. Zwei von ihnen seien Mitglieder der Lashkar, die Indien aus dem Süden der Himalaya-Region vertreiben will.

Die Gratwanderung im eigenen Land versucht Islamabad dadurch zu meistern, dass in dem konkreten Konflikt zwar nachgegeben wird, sich an der generellen Kaschmirpolitik aber nichts ändert. Pakistan werde laut Niaz "den Kampf der Menschen in Kaschmir weiter moralisch, politisch und diplomatisch unterstützen". Auch weigert sich die pakistanische Regierung zwanzig von Neu-Delhi benannte mutmaßliche islamische Fundamentalisten auszuliefern, die von der indischen Regierung für den Angriff auf ihr Parlament Mitte Dezember verantwortlich gemacht wird.

Inzwischen hat sich verstärkt auch die Europäische Union in den Konflikt zwischen den beiden Atommächten eingeschaltet. Der indische Ministerpräsident Atal Bihari Vajpayee wurde vom spanischen Außenminister am Montag aufgefordert, auf das Entgegenkommen Pakistans zu reagieren. Spanien hat vor wenigen Wochen die EU-Ratspräsidentschaft angetreten. Auch der EU-Außenbeauftragter Javier Solana hat eine Wideraufnahme der Gespräche zwischen beiden Staaten vorgeschlagen.

Bislang gibt es offenbar nur einen Gewinner der Krise: die Rüstungsindustrie. Als einen "Grund ernsthafter Besorgnis" bezeichnet die pakistanische Regierung die Unterzeichnung eines militärisches Kooperationsabkommens in Höhe von einer Milliarde Dollar zwischen Indien und Israel (Aufrüstung im Kampf gegen den Terrorismus). Die Sorge über diese Aufrüstung sei auch den befreundeten Staaten mitgeteilt worden, hieß es aus Islamabad.

Die dortige Regierung steht in Sachen Rüstungskäufe aber nicht zurück. So hatte Musharrafs Vorgänger Nawaz Sharif Ende 1998 einen Rüstungsdeal mit der damaligen Clinton-Regierung in Höhe von einer halben Milliarde Dollar vereinbart. "Das war das Aberwitzige an dem jüngsten Besuch von Tony Blair in der Region", sagt der aus Pakistan stammende Schriftsteller und Historiker Tariq Ali (Bush hat die ganze Welt zum Hinterhof der USA gemacht). Fast zeitgleich mit Blair hätten britische und US-amerikanische Rüstungsunternehmen sich mit Angeboten übertroffen - an beide Regierungen.

Trotz der sich nun unter internationalem Druck entstehenden Gesprächsbereitschaft bleibt Indiens Regierung skeptisch. Ein Gesprächsangebot blieb bislang aus. Neben der Kappung von Fernsehprogrammen zu Beginn der Krise vor wenigen Wochen (Feindpropaganda unerwünscht) hat Neu-Delhi zudem die Internetverbindungen zwischen Kaschmir und Pakistan unterbrochen. Damit, so hieß es aus Regierungskreisen, solle islamischen Fundamentalisten der Kontakt zu Verbündeten in Pakistan erschwert werden. Seitdem werden Internetcafés von indischem Militär überwacht.

Die Störung von pakistanischen Fernsehprogrammen hatte die indische Regierung damit begründet, dass keine unnötige Unruhe durch Kriegspropaganda erzeugt werden sollte.